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GastkommentarAndreas Kuhlmann: Klimaschutz könnte zum Katalysator für eine Annäherung Chinas, der USA und Europas werden

Angesichts ambitionierter Klimaziele bietet sich die Chance, dass die Akteure an einen Tisch kommen. Voraussetzung ist allerdings, dass Biden die US-Wahl gewinnt.Andreas Kuhlmann 23.10.2020 - 13:20 Uhr Artikel anhören

Andreas Kuhlmann ist Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (Dena).

Foto: dena/Christian Schlüter

Der Fortschritt ist eine Schnecke. Das klingt negativer, als es ist, denn die inkrementelle Verbesserung einer Vielzahl von Prozessen und Produkten ist eine Kernkompetenz der deutschen Industrie. Viele kleine, dafür aber permanente Verbesserungen bringen dauerhaften Fortschritt. Sie haben Deutschlands Unternehmen bei einer Vielzahl von Produkten die weltweite Spitzenposition gebracht.

Inkrementelle Veränderungen aber werden nicht ausreichen bei alledem, was sich die Politik vorgenommen hat. Das betrifft in besonderer Weise die Erreichbarkeit der Klimaschutzziele, die sich zuletzt mit zunehmender Geschwindigkeit verschärft haben.

Der Green Deal der Europäischen Union erhöht den Druck auch für Deutschland erheblich. Kritiker rechnen bereits vor, dass das aktuelle deutsche Ziel – Treibhausgasneutralität im Jahr 2050 – nicht kompatibel mit den Vorgaben aus dem Pariser Klimaabkommen ist. Das gilt für die Zielvorgabe gemäß dem Vorschlag der EU-Kommission, aber noch einmal ganz erheblich mehr für das, was das Europäische Parlament mehrheitlich für möglich hält.

In einer Welt voller Handelskonflikte und geopolitischer Herausforderungen, die überdies inmitten einer globalen Gesundheitskrise steckt, erscheint dieses Ziel als unerreichbar, zumal wenn das Zugpferd die besagte Schnecke ist.

Allerdings geht es manchmal doch schneller. Ereignisse und Entwicklungen treten unerwartet ein, und plötzlich zeigt sich, dass viele Dinge erheblich schneller gehen können als angenommen. Auf so einen „Moment of Time“ bewegen wir uns gerade zu. Umso wichtiger ist es, sich der Entwicklungen bewusst zu sein und Vorbereitungen zu treffen.

Der chinesische Präsident Xi Jinping hat in seiner Rede vor der UN am 22. September für viele überraschend das Ziel für China ausgegeben, bis zum Jahr 2060 „carbonneutral“ zu sein. Angesichts Chinas Ausgangsposition ist das möglicherweise noch spektakulärer als das Ziel der EU.

Hoffnungsschimmer für den Klimaschutz

Auch in den USA ist einiges in Bewegung geraten. Joe Biden, aussichtsreicher demokratischer Kandidat für das Präsidentenamt, wirbt für den „Biden Plan for a Clean Energy Revolution and Environmental Justice“. Kernziel des Programms: 100 Prozent saubere Energie und „net-zero-emissions no later than 2050“.

Ein Hoffnungsschimmer für den Klimaschutz – und darüber hinaus. Im Hintergrund gibt es ganz andere, tiefer greifende Probleme zwischen den drei mit Abstand wichtigsten Industrieregionen der Welt. In den USA spricht man mit Blick auf China ganz offen vom Krieg der Systeme.

In der EU, deutlich zurückgenommener, immerhin vom systemischen Rivalen. Viele grundlegende Fragen des Miteinanders im 21. Jahrhundert sind offen: Reziprozität bei Handelsbeziehungen, hegemoniale Ambitionen, Menschenrechte, Handelsbeschränkungen, Sicherheit und der freie Markt an sich.

Betrachtet man die Diskussion der vergangenen Jahre, dann stellt man fest: Der in Sonntagsreden oft bemühte universalistische Anspruch, der insbesondere für eine erfolgreiche Klimapolitik erforderlich wäre, ist immer mehr einem Partikularismus der Handelsblöcke gewichen.

Das betrifft auch das geplante „CO2-Grenzausgleichssystem“. Dieser Grenzmechanismus soll treibhausgasintensive EU-Importe in die EU bepreisen und so für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen. Bereits vor der Implementierung wird der sogenannte Klimazoll von vielen Experten kritisch bewertet. Dabei ist allen vernünftigen Akteuren klar, dass Partikularismus nicht die Lösung sein kann, sondern zu einem gigantischen Problem für die Zukunftsfragen des 21. Jahrhunderts wird.

Bei Energiewende war China bislang verlässlich

Angesichts der ambitionierten Klima-Ankündigungen von Biden, Xi und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen böte sich also eine Chance zur Annäherung: Gerade die klimapolitische Vereinbarkeit der Zielsetzungen ist Anlass, alle Akteure an einen Tisch zu bekommen und das Konglomerat an Problemstellungen in einem Gipfelprozess zu adressieren und aufzulösen. Alle müssten Interesse an einem konstruktiven Miteinander haben – denn nur multilateral können die globalen Herausforderungen gemeistert werden.

Am Schluss kommt es darauf an, was wirklich passiert. Die Schritte seit Xis Eröffnungsrede in Davos 2017 sind eher ernüchternd, doch bei Energiewende und Klimaschutz war China bislang durchaus verlässlich. In den USA ist der Druck groß, das Bekenntnis in Bidens Plan ist eindeutig.

Und die EU? Bei aller Kritik in Sachen Klimapolitik ist die EU von allen Regionen am Weitesten. Hier gibt es enorme Expertise und Erfahrungen. In jedem Fall haben wir zu diesem Prozess einiges beizutragen.

Die EU-Kommissionspräsidentin will die CO2-Emissionen in der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent reduzieren.

Foto: Reuters

So könnte eine gemeinsame Klimapolitik zur Auflösung der Krisen des 21. Jahrhunderts beitragen. Klar allerdings ist, dass ein solcher Moment vorbereitet sein muss. Dialoge zur Klimapolitik reichen nicht aus, es bedarf einer konsequenten Umsetzung.

Dafür muss sich die EU in anderen offenen Fragen möglichst rasch gemeinsame Positionen erarbeiten. Erste Erkenntnisse wurden in den vergangenen Jahren gewonnen, hier gilt es anzusetzen. Damit die EU, wenn der Moment da ist, planvoll und sicher handeln kann. Dass sie dazu in der Lage ist, hat sie immer wieder gezeigt.

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Es wäre ein ultimativer Erfolg des Pariser Klimaabkommens, wenn es über die Klimapolitik hinaus die Grundlage für die politische Architektur des 21. Jahrhunderts sein würde. Ein Wegweiser für die große Transformation, die weit über die post-fossile Wirtschaft hinausgeht, die der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltfragen (WBGU) vor knapp zehn Jahren beschrieben hat.

Es braucht eine gemeinsame Lösung für ein ökonomisches und klimafreundliches Miteinander. Die Grundzüge für einen solchen Gipfel sind bereits klar erkennbar. Die EU sollte sich darauf vorbereiten, zu einem solchen Gipfel zu laden. Eine Sternstunde im besten Sinne von Stefan Zweig deutet sich an. Sie zu nutzen bedarf Entschlossenheit und Urteilskraft. Zunächst aber haben die Wählerinnen und Wähler in den USA das Wort.

Mehr: Deutschland im Wasserstress: Nutzungskonflikte nehmen zu.

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