Gastkommentar: Corona zeigt: In der Autoindustrie gibt es immer noch zu enge Verflechtungen

Thomas R. Köhler ist Geschäftsführer der Technologieberatung CE21 und Research Professor am Center for International Innovation der Hankou University im chinesischen Wuhan.
Hyundai in Korea, Nissan in Japan, Fiat-Chrysler in Serbien. Das sind nur drei von vielen Unternehmen außerhalb Chinas, die bereits Produktionsstopps wegen fehlender Zulieferteile aus dem Reich der Mitte angekündigt haben.
Auch in Italien hinterlässt das Coronavirus im Lager der Autobauer bereits Spuren. So hat die zeitweise Schließung des norditalienischen Standorts Codogno des Zulieferers MTA Auswirkungen auf Fiat-Chrysler-Standorte ebenso wie auf Fabriken von Renault, BMW und Peugeot. MTA selbst spricht von „irreparablen Folgen“ und warnt vor zukünftigen Auswirkungen auf Land-Rover, Iveco und andere.
Diese Beispiele werfen erneut ein Schlaglicht auf die engen Verflechtungen in der Autobranche. Einer Branche, die aus vergangenen Vorfällen nichts gelernt zu haben scheint. Denn es bedarf keines Virus-Schocks, um das zerbrechliche Gebilde einer globalisierten Just-in-time-Lieferkette ins Wanken zu bringen.
Dazu reicht beispielsweise auch:
All diese Fälle von Kiekert bis Corona verdeutlichen einen systemischen Fehler bei der Gestaltung der Wertschöpfungsketten dieser und anderer Branchen, der sich aus einseitiger kostenfixierter Einkäuferdenke ergibt.
Das Credo dort: Weniger Eigenfertigungstiefe ist gut, geringere Kosten sind besser! Optimierungswahn trieb jahrzehntelang seltsame Blüten mit immer mehr Teilen von Zulieferern und Erfolgsmeldungen wie: „nur zehn Prozent Eigenfertigungstiefe beim Porsche Cayenne“ (2004). Zeitweise kann eine solche Strategie rein wirtschaftlich betrachtet gut und richtig sein, mittelfristig aber ins Desaster führen.
Die Coronakrise zeigt uns jetzt in aller Klarheit: Die Fokussierung auf einzelne Zulieferer oder auf Zulieferstrukturen in einzelnen Weltregionen erhöht das Risiko für Produktionsstillstände. Es wäre falsch, der Branche Untätigkeit bei der Risikobewertung vorzuwerfen. Denn seit dem Fall Kiekert und der Insolvenz einzelner Schlüsselzulieferer haben die Erstausrüster (OEMs) zweifellos dazugelernt.
So existieren nun fast überall Vorgaben für IT-Systeme und Cybersicherheit bei den Lieferanten oder im Bereich der wirtschaftlichen Soforthilfen für in Not geratene Zulieferer. Doch die Reichweite dieser Maßnahmen ist begrenzt, viel weiter als bis zum ersten Zulieferer der Lieferkette wird sie nicht reichen. Was deren weitere Strukturen – oft in vier oder fünf Ebenen – dann machen, ist ebenso offen wie riskant für den Endabnehmer.
Es bedarf zudem nur eines einzelnen unvorhergesehenen Vorfalls („unknown unknowns“), um festzustellen, ob man die gesamte Lieferkette auch tatsächlich im Griff hat.
Die Antwort auf die Frage nach der richtigen Risikobewertung in einer Welt voller neuer Gefahren – von Klimawandel über Pandemie bis Handelskrieg – kann nur sein, jetzt Resilienz in den Vordergrund zu stellen. Oder anders gesagt: Für jedes Schlüsselteil muss man mindestens zwei Zulieferer in unterschiedlichen Weltregionen mit ausreichend Back-up-Kapazitäten für einen Lieferausfall vorhalten. Das wird vom teuren Extra zur Notwendigkeit.






Ebenso wie ein weiterer Durchgriff auf die weiteren Lieferstrukturen, um nicht auf einer tieferen Ebene auf eine neue Achillesferse zu stoßen, die zum Produktionsstopp führen würde. Es ist an der Zeit, sich von der einseitigen Kostenoptimierung auf Kosten der Lieferanten zu verabschieden.
Ob das teuer wird? Vielleicht! Notwendig ist es auf jeden Fall. Nicht nur in der Automobilbranche.
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