Gastkommentar: Die Schuldenbremse ist kein Garant für ein Spitzenrating
Die Schuldenbremse spaltet die deutsche Politik. Diejenigen, die die Bremse unverändert beibehalten wollen, führen unter anderem ins Feld, eine Aufweichung oder Abschaffung gefährde das deutsche Rating. Nach dem Fitch-Downgrade der USA auf AA+ von AAA im August dauerte es nicht lange, bis deutsche Politiker behaupteten, der US-Downgrade sei der Beweis dafür, wie wichtig die deutsche Schuldenbremse sei. Ansonsten drohe auch uns die Relegation. Dann würden die Zinsen auf die Staatsschuld ansteigen. Wichtige Investitionen seien dann nicht mehr finanzierbar.
Das hört sich plausibel an. Aber leider stimmt an dieser These nichts. Der US-Downgrade hat die Refinanzierungskosten des US-Schatzamtes keineswegs spürbar erhöht. Das überrascht nicht. Denn die historischen Ausfallwahrscheinlichkeiten sind sowohl für AAA, als auch für AA nahe null. Investoren verstehen das. Politiker nicht immer.
Deutschlands Problem ist seine Wachstumsschwäche
Weiterhin ist es nicht korrekt, dass die Ratingagenturen die deutsche Schuldenbremse als einen zentralen Faktor für das AAA-Rating betrachten. Tun sie nicht. Der fiskalische Spielraum Deutschlands ist nicht das Problem, der ist üppig. Falls dem Rating der Bundesrepublik Unbill droht, kommt sie aus der Richtung Wachstumsschwäche. Und die wiederum ist das Resultat des demografischen Niedergangs, von Bürokratie und Investitionsstau.
Die absehbaren Belastungen für die öffentlichen Haushalte werden bis zum Ende des Jahrzehnts stetig anwachsen und könnten bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. Höhere Zinsausgaben, Kosten der alternden Bevölkerung und mehr Geld für Verteidigung kommen zu einer notwendigen Investitionsoffensive hinzu. Denn längst ist Deutschland bei Digitalisierung, öffentlicher Infrastruktur und Bildung nur noch europäisches Mittelmaß. Wir leben von der Substanz. Das Wachstumspotenzial sinkt in Richtung Nulllinie.
Deswegen tritt nicht nur der Sachverständigenrat für eine Lockerung der Schuldenbremse ein, um „Zukunftsinvestitionen“ möglich zu machen. Ganz klar, auch der Staat muss mit eiserner Hand gegen Verschwendung vorgehen. In der Realpolitik lassen sich aber solche Größenordnungen nicht glaubwürdig einsparen.
Die deutsche Stagnation wird auch durch den Verzehr des öffentlichen Kapitalstocks verursacht
Die großen Agenturen machen in ihren Ausführungen glasklar, worauf ihr Fokus liegt. So schrieb etwa die Ratingagentur Moody’s im Februar 2024: „Eine wesentliche und anhaltende Verschlechterung der Wirtschaftskraft Deutschlands würde sich negativ auf die Kreditwürdigkeit auswirken.“ Die deutsche Stagnation liegt eben auch am Verzehr des öffentlichen Kapitalstocks, dessen Ursache wiederum zumindest teilweise in der restriktiven deutschen Finanzpolitik zu suchen ist, die sowohl Steuer- als auch Schuldenerhöhungen kategorisch ausschließt.
Ein dogmatisches Beharren auf der Schuldenbremse in einer Zeit massiver Investitionsbedürfnisse macht ein deutsches Downgrade deshalb wahrscheinlicher.
Weder der US-Downgrade letztes Jahr noch die Herabstufung durch S&P im Jahr 2011 wurde primär durch die US-Verschuldung veranlasst – auch wenn der Schuldenstand der USA durchaus Grund zur Sorge gibt. Vielmehr waren die gesellschaftliche Spaltung und die damit einhergehende Reduzierung der wirtschaftspolitischen Handlungsfähigkeit die zentralen Auslöser der US-Herabstufungen. Amerikanische Verhältnisse herrschen bei uns glücklicherweise (noch) nicht, auch wenn die Polarisierung hierzulande zuletzt bedenklich zugenommen hat.
Wenn Bürgerinnen und Bürger den Eindruck gewinnen, dass der Staat nicht mehr liefert, nimmt der Verdruss zu, die politische Mitte schrumpft, und die populistischen Ränder erfahren Zulauf. Regieren und Reformen werden dann noch schwerer.
Der wegen zu geringer Investitionen beobachtbare Qualitätsverlust bei Schulen, Schienen und in zahlreichen anderen Infrastrukturbereichen verstärkt die zentrifugalen Kräfte in der Gesellschaft. Auch hier könnte eine maßvolle Lockerung der Schuldenbremse entgegenwirken und Deutschlands Bonität untermauern.
Moody’s schreibt, dass sein AAA-Rating an die Erwartung geknüpft sei, dass die Regierung auch bei künftigen Schocks den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt gewährleisten könne. Ich füge hinzu: Das gibt es nicht zum Nulltarif. Deutschland muss dringend investieren.
Die Reform der Schuldenbremse ist kein Allheilmittel und auch nicht ohne Risiko. Wenn sie aber klug ausgestaltet wird, sodass sie Investitionen befördert, Wachstum anregt und Politikverdrossenheit entgegenwirkt, stärkt das die Faktoren, die das Fundament des deutschen Topratings ausmachen. Die Schuldenbremse ist kein Garant für ein Spitzenrating. Im Gegenteil.
Der Autor:
Moritz Kraemer ist Chefvolkswirt der LBBW Bank in Stuttgart und ehemaliger Global Chief Ratings Officer Sovereigns bei S&P.