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GastkommentarEin Digitalministerium sollte sich schnell selbst überflüssig machen

Die Digitalisierung ist ein zentrales Transformationsprojekt unserer Zeit. Ein Ministerium mit dem richtigen Change-Verständnis kann Entwicklungen beschleunigen, meint Marianne Janik. 08.10.2021 - 04:00 Uhr Artikel anhören

Die Autorin ist Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland.

Foto: Microsoft

Ein digitales Wirtschaftswunder für Deutschland – das wollen fast alle. Strittig ist hingegen, ob die neue Bundesregierung dafür ein Digitalministerium braucht. Die Befürworter meinen: Ja, nur mit diesem starken Motor kommen wir digital voran. Die Gegner sagen: Nein, Digitalisierung ist eine Aufgabe für alle Ministerien und muss deshalb überall vorangetrieben werden.

An beiden Positionen hat sich seit Jahren nichts Grundsätzliches geändert, und an beiden ist viel dran. Mit einem einfachen Ja oder Nein lässt sich die Frage deshalb kaum beantworten.

Mein Vorschlag lautet: Ein Digitalministerium müsste eigentlich überflüssig sein – wir sollten es aber dennoch errichten, um es später wieder abschaffen zu können. Das mag zunächst paradox klingen. Doch das entspricht der Logik erfolgreicher Transformationsprojekte: Gute Change-Teams wissen, dass sie auf Zeit arbeiten und ihr wichtigstes Ziel darin besteht, sich überflüssig zu machen. Nicht anders ist die Situation beim Digitalministerium.

Der Bund hat eine E-Government-Strategie, eine KI-Strategie, eine Datenstrategie, eine Hightech-Strategie, eine Blockchain-Strategie, eine Open-Data-Strategie – und dennoch einen erheblichen Umsetzungsrückstand. Was jetzt zählt, ist Tempo. Der Staat hat es in der Hand, dieses Tempo vorzugeben.

Er setzt den rechtlichen Rahmen für den Einsatz von Technologien, kann aber als einer der größten IT-Einkäufer und -Anwender auch die Verbreitung von Technologien steuern. Ein konkurrenzfähiger Standort braucht eine moderne Verwaltung, die mit Technologie Maßstäbe setzt: schnelle, effiziente Abläufe und Genehmigungen, bessere Daseinsfürsorge für Bürger*innen und Unternehmen.

Jetzt ist die Zeit der Projekte

Die Zeit der Papiere ist vorbei – jetzt muss die Zeit der Projekte folgen. Nur in der praktischen Anwendung können wir dazulernen. Auch wenn der Staat nicht wie ein Unternehmen funktioniert: Beim Transformationsmanagement kann die öffentliche Hand sich den privaten Sektor durchaus zum Vorbild nehmen.

Die erfolgreiche Umsetzung von Change-Projekten erfordert klare Führung, was nicht zu verwechseln ist mit hierarchischen Anweisungen und Mikromanagement. Gute Führung definiert strategische Ziele und verknüpft sie mit konkreten Vereinbarungen zur Umsetzung – und mit dem Vertrauen in Teams, eigenständig Lösungen zu finden. Diese operative Handlungsfähigkeit herzustellen ist die eigentliche Kernaufgabe, die von der Politik bewältigt werden muss.

Und hier gibt es erhebliche Fallstricke für ein Digitalministerium. Denn der Wunsch nach einem solchen Haus reflektiert auch die Sehnsucht nach Sicherheit und einer starken Persönlichkeit, die weiß, was zu tun ist, um Deutschland an die digitale Spitze zu führen.

Unternehmen hingegen reagieren auf eine immer komplexere Umwelt mit weniger Hierarchien, selbstorganisierten Teams und mehr Agilität.

Ein Digitalministerium mit dem richtigen Change-Verständnis kann Entwicklungen beschleunigen. Eine zentralisierte, hierarchisch-bürokratische Instanz würde sie aber eher blockieren. Die inhaltliche Gestaltung des Change-Managements für Deutschland ist viel entscheidender als die formale.

Kooperation fördert Innovation

Wer mit anderen kooperiert, kommt schneller voran und höher hinaus. Zahlreiche Unternehmen haben die Bedeutung von Kooperationen als Treiber für Innovationen erkannt. Sie arbeiten immer öfter mit Partnern aus anderen Branchen zusammen, mit Start-ups und Forschungseinrichtungen. Partnerschaften und Pragmatismus helfen uns, in Deutschland schnellere Fortschritte zu erzielen.

Wo digitale Lösungen bereits verfügbar sind, kostet es nur Zeit und Geld, eigene Alternativen nachzubauen. Vorhandene Lösungen eigenen Wünschen anzupassen und darauf basierend eigene Innovationen zu entwickeln bringt Fortschritt. Eine Kultur der Offenheit bildet für Organisationen – Staaten wie Unternehmen – die Grundlage, um die Potenziale von Innovation und gemeinsamer Entwicklung auszuschöpfen.

Offene Ökosysteme zu fördern und selbst ein aktiver Teil von ihnen zu werden sollte daher Priorität haben. Anschluss an die Open-Source-Community mit ihrem größten verfügbaren Pool an IT-Entwickler*innen zu finden ist dabei ein wichtiger Baustein. Microsoft investiert deshalb seit einigen Jahren gezielt in diesen Bereich, um Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit dieser Community zu schaffen.

Die Automobilindustrie ist seit Jahrzehnten wirtschaftlicher Motor unseres Landes – und kann es auch in Sachen Digitalisierung sein. Die großen deutschen Hersteller gehen die Transformation inzwischen mit großer Entschlossenheit an. Sie haben IT-Einheiten aufgebaut, bilden Digitalexpert*innen aus, kooperieren mit Technologieunternehmen und entwickeln gemeinsame, herstellerübergreifende Digitalplattformen. Als führende Automobilhersteller beanspruchen sie mittlerweile, auch bei der Auto-IT Weltklasse zu sein.

Nötig ist digitales Selbstvertrauen

Dieses digitale Selbstvertrauen – das Bewusstsein der eigenen Stärken und das Zutrauen, führende digitale Lösungen selbst entwickeln zu können – ist beispielhaft für das ganze Land. Auch wenn uns Studien immer wieder unsere Defizite aufzeigen, sollten wir unsere Stärken nicht aus dem Blick verlieren. Trotz aller berechtigten Kritik: Deutschland ist kein digitales Entwicklungsland. Die Angst, abgehängt zu werden, wird uns nicht an die digitale Weltspitze bringen. Stattdessen brauchen wir Vertrauen, es dorthin schaffen zu können.

Die Digitalisierung Deutschlands ist ein zentrales Transformationsprojekt unserer Zeit. Das Change-Management dafür muss von Anfang an als offene Querschnittsrolle angelegt sein. Im Silo kann dieses Projekt nicht gelingen: Wer an die Spitze kommen will, muss in der Breite denken und handeln.

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Beispiel Bildung: Auch hier ist digitale Kompetenz die Basis für eine erfolgreiche Transformation. Die Zuständigkeit für Schulen und Hochschulen liegt bei den Ländern. Zudem ist die Einbindung der beruflichen Aus- und Weiterbildung unverzichtbar, um allen Menschen den Zugang zu digitalen Zukunftsqualifikationen zu eröffnen. Ein Digitalministerium des Bundes kann nicht alles allein leisten. Und sollte deshalb für niemanden ein Grund sein, sich nicht mehr für erfolgreiche Digitalisierung zuständig zu fühlen.
Die Chancen aus der Digitalisierung zu verwirklichen ist nicht nur eine Schlüsselfrage, sondern eine Schicksalsfrage für unser Land. Wir leben von der Substanz. Noch leben wir davon recht gut. Die nächsten zwei bis drei Jahre werden entscheidend dafür sein, den Anschluss in Sachen Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen. Ein Digitalministerium mit der richtigen Ausgestaltung kann dabei helfen, diese Entwicklungen zu koordinieren und zu beschleunigen.

Erfolgreich aber wird es dann gewesen sein, wenn wir vor einer künftigen Wahl diskutieren, ob wir ein Digitalministerium eigentlich noch brauchen. Dann haben wir es geschafft, die Digitalisierung Deutschlands voranzubringen und ihre Möglichkeiten für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft auszuschöpfen.
Die Autorin: Marianne Janik ist Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland.

Mehr: Es ist Zeit für ein Digitalministerium

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