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GastkommentarTransformation braucht Führung

Für den klimaschonenden Umbau der Wirtschaft benötigt die Ampelkoalition eine neue Kommunikationsstrategie, analysiert Ralf Strehlau. 07.01.2022 - 04:15 Uhr Artikel anhören

Der Autor ist Präsident des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberater.

Foto: obs/BDU Bundesverband Deutscher Unternehmensberater

„Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann auch bekommt“ – es ist ein starkes Versprechen, das Bundeskanzler Olaf Scholz den Deutschen gegeben hat. So viel steht schon jetzt fest: Es dürfte für ihn nicht leicht werden, das Versprechen zu halten. Als Chef der selbst ernannten „Fortschrittsregierung“ muss Scholz nicht nur die Coronapandemie bewältigen. Er muss auch die andere, mindestens ebenso so große und komplexe Herausforderung meistern: den Umbau der Wirtschaft.

Gerade hat der Bundesverband der Deutschen Industrie die Machbarkeitsstudie „Klimapfade 2.0“ vorgelegt. Sie zeigt, dass sich in den Sektoren Industrie, Verkehr, Gebäude und Energiewirtschaft bis 2045 Treibhausneutralität erreichen lässt. Sie zeigt aber auch, wie ambitioniert diese Aufgabe ist: Möglichst schnell müssen nicht weniger als 21 politische Hebel in Bewegung gesetzt werden, von Klimaschutzverträgen über grüne Leitmärkte und Kaufanreize für Elektroautos bis zum Bau von Wasserstoffpipelines.

Wir stehen vor einer Transformation, die in ihrer historischen Dimension nur mit der industriellen Revolution zu vergleichen ist. Die Wirtschaft, nein, das ganze Land braucht dieses Projekt. Ein Scheitern können wir uns nicht leisten. Leider stimmen die bisherigen Erfahrungen mit politischen Großprojekten nicht gerade optimistisch. Dabei hat Deutschland durchaus kein Erkenntnisproblem. Ob beim Impfen, dem Ausbau erneuerbarer Energien oder der Digitalisierung der Verwaltung: Wir wissen, was zu tun ist. Das, woran es hapert, ist die praktische Umsetzung.

Für die braucht man erst mal klare, leicht vermittelbare Ziele und eine detaillierte Implementierungsstrategie. All das aber ist für weite Teile der Bevölkerung beim Klimaschutz und dem digitalen Wandel nicht erkennbar und in den persönlichen Auswirkungen auch kaum nachvollziehbar. Um unnötige Ängste und Widerstände gegen Veränderungen aus dem Weg zu räumen, brauchen wir also so schnell wie möglich mehr Klarheit.

Politik kann sich an der Wirtschaft orientieren

Sicher, Veränderung fällt oft schwer. Führungskräfte aus der Wirtschaft wissen das aus eigener Erfahrung. Unternehmen, die erfolgreich sein wollen, müssen sich immer wieder neu ausrichten, manchmal auch neu erfinden. Die gute Nachricht: Es gibt viele Beispiele dafür, dass dies gelingen kann: Siemens übertrifft nach einem großen Umbau die eigenen Gewinnprognosen, SAP treibt nach einem Kurswechsel das Geschäft in der Cloud voran, BASF reduziert seinen CO2-Fußabdruck mit Chemcycling. Auch wenn Politik in mancher Hinsicht anders funktioniert: Die neue Bundesregierung kann sich hier einiges abschauen.

Der vielleicht wichtigste Hebel ist die Kommunikation. Menschen überzeugen, mitnehmen, motivieren – nur so gelingt Veränderung. Das wird auch in manchen Unternehmen sträflich unterschätzt. Ein Grund: Für Vorstände, die sich schon monatelang mit neuen Strategien beschäftigt haben, ist bereits alles klar, wenn der Lernprozess der Mitarbeiter erst beginnt.

Auch die Ampelkoalitionäre haben sich wochenlang hinter verschlossenen Türen auf Strategien und Projekte verständigt – während die Bevölkerung nach wie vor bestenfalls ahnen kann, wohin die Reise geht. Kaum jemand liest 177 Seiten Koalitionsvertrag. Kanzler und Minister müssen die Menschen jetzt darauf vorbereiten, was sie erwartet. Schnell, transparent und auf möglichst vielen Kanälen. Je umfassender die Transformation, desto größer der Informationsbedarf.

Bei einem Jahrhundertprojekt wie dem ökologischen Umbau der Volkswirtschaft müssen die einzelnen Projekte kontinuierlich über Jahre erläutert werden. Diese Erläuterungen dürfen sich nicht auf Talkshow-Auftritte im Fernsehen beschränken, sie müssen vielmehr auch und gerade diejenigen erreichen, die keine Traditionsmedien nutzen. Also: Kommunikation auch bei Instagram, bei Tiktok, auch auf Englisch und Türkisch.

Abgeordnete müssen in die Problemviertel gehen

So wie kluge Vorstände ihre Strategie in der Maschinenhalle erklären, müssen Politiker in die Problemviertel gehen. Dorthin, wo diejenigen leben, die zu den Veränderungsverlierern gehören oder gehören könnten, wenn ihnen nicht rechtzeitig Alternativen angeboten werden. Die Transformation muss auf Marktplätzen erklärt werden, bei Bürgerfesten und in Versammlungen. Mit anderen Worten: in den Wahlkreisen.

Der neue Bundestag hat 736 Abgeordnete, mehr als jemals zuvor. Über diese Größe des Parlaments ist viel geklagt worden, nun könnte sie einmal ein Gutes haben. Dann nämlich, wenn der Bundestag zum Transmissionsriemen der Veränderung wird: 416 Abgeordnete gehören den Parteien der Ampelkoalition an. Wenn jeder nur einmal im Monat öffentlichkeitswirksam für den Transformationsprozess wirbt, sind das im Jahr 5000 Auftritte.

Ein Dialog im großen Stil wird auch dazu führen, dass Bürger selbst Ideen und Perspektiven entwickeln. Auch das kennen wir aus Unternehmen: Die Betroffenen sind sich über ihre Situation oft viel besser im Klaren, als die Führungskräfte annehmen. Sie wissen oft genau, was schiefläuft, und nicht selten haben sie sich Gedanken darüber gemacht, wie es besser gehen könnte. Die Politik muss nur die Bereitschaft haben zu fragen und zuzuhören.

Bei Ankündigungen darf es freilich nicht bleiben. Den Worten müssen schnell Taten folgen. Zögern führt zu Vertrauensverlust, Umsetzungsmängel erschüttern die Glaubwürdigkeit. Die wortreich beschworene Ausstattung der Gesundheitsämter mit moderner Software hat sich in eine Lachnummer verwandelt, weil auch in der vierten Pandemiewelle immer noch gefaxt wird.

Unverzichtbar ist der direkte Draht zum Chef

Die Tatsache, dass über Weihnachten und Silvester erneut keine verlässlichen Fallzahlen zur Verfügung standen und die Labore noch immer zu wenig auf Virusvarianten testen, macht fassungslos. Das große Problem in der Pandemie sei, dass man sich „verzettelt“ habe, kritisiert der Virologe Christian Drosten. Das ist schlimm genug. Noch schlimmer wäre, wenn sich die Fehler beim Großprojekt Klimatransformation wiederholen.

Unverzichtbar bei Veränderungsvorhaben ist der direkte Draht zum Chef. Nur so bekommt ein Projekt die nötige Durchschlagskraft. Und manchmal braucht es ein Machtwort, das sich auch über Hierarchien hinwegsetzen und Widerstände in der Bürokratie auflösen kann.

Mit der Installierung eines Expertenrats und dem Corona-Krisenstab hat die Regierung eine gute Entscheidung getroffen, die zu Recht begrüßt wurde. Beide Gremien sind direkt ans Kanzleramt angebunden. Auch der Umbau zur klimaresilienten Volkswirtschaft muss Chefsache werden. Die Regierung sollte hier einen Transformationsrat einsetzen, mit erfahrenen Managerinnen und Managern aus Unternehmen, Verwaltung und Unternehmensberatungen, Ingenieuren und Klimaforscherinnen.

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Die einen wissen, was passieren muss. Die anderen, wie es erreicht werden kann. Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch, hat der Bundeskanzler versprochen. Wir, Herr Scholz, bestellen nicht. Wir fordern ein.

Mehr: Der Staat braucht ein neues Selbstverständnis.

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