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Asia TechonomicsAutos nur für Reiche: In Singapur ist das besser, als es klingt

In dem Stadtstaat sind Fahrzeuge Luxus: die Zulassung kostet fast 80.000 Euro. Doch viele Bürger unterstützen das – die Einnahmen fließen in den Nahverkehr.Mathias Peer 13.07.2022 - 15:31 Uhr Artikel anhören

In der wöchentlichen Kolumne schreiben Handelsblatt-Korrespondenten im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.

Foto: Klawe Rzeczy

Bangkok. Wer in Singapur lebt, braucht nicht einmal einen extravaganten Geschmack, um für sein Fahrzeug ein kleines Vermögen hinzublättern. Für einen bescheidenen Toyota Corolla müssen Bewohner des südostasiatischen Stadtstaats umgerechnet knapp 100.000 Euro einkalkulieren. In Deutschland würden sie für den Betrag gleich vier Autos erhalten.

Dahinter steckt ein Plan. Die Regierung versucht, den Bürgern das Autofahren so gut es geht auszureden. Die finanziellen Abschreckungsversuche werden dabei immer härter: Im Zentrum der Strategie steht ein Zulassungsdokument – das Certificate of Entitlement –, das jeder Autobesitzer braucht. Seine Anzahl ist streng limitiert und wird in einem Bieterverfahren erworben.

Der dabei ermittelte Marktpreis erreichte vergangene Woche ein Rekordhoch: Für die wertvollste Zulassungskategorie wurden erstmals mehr als 110.000 Singapur-Dollar (78.000 Euro) fällig. Noch vor zwei Jahren machte dieser Kostenpunkt vergleichsweise harmlose 35.000 Singapur-Dollar aus.

Mit dem enormen Preisanstieg scheint nun besiegelt, dass sich in der Finanzmetropole nur noch die wirklich Wohlhabenden ein Auto leisten können. Auf den ersten Blick mag das wie eine riesige soziale Ungerechtigkeit wirken.

Doch es zeigt sich, dass es durchaus Vorteile hat, ein Privatfahrzeug nicht länger als De-facto-Menschenrecht zu betrachten. Megastaus zur Rushhour und gesundheitsgefährdende Feinstaubbelastung wie in anderen asiatischen Großstädten bleiben den Singapurern jedenfalls erspart.

42 Milliarden Euro für die Infrastruktur

Und auch die Autolosen kommen ans Ziel. Denn mithilfe der geschröpften Autofahrer kann es sich der Stadtstaat leisten, seinen öffentlichen Nahverkehr, der schon jetzt Weltklasse ist, weiter auszubauen.

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In den vergangenen zehn Jahren nahm das Land 1000 zusätzliche Busse und 200 weitere Züge in Betrieb. Bis 2030 soll das U-Bahn-Netz, das derzeit aus fünf Linien besteht, um drei Linien erweitert werden. Acht von zehn Haushalten werden in dem knapp sechs Millionen Einwohner großen Land dann weniger als zehn Minuten Fußweg entfernt von einer Haltestelle wohnen, lautet das Versprechen.

Umgerechnet 42 Milliarden Euro werden dafür in den kommenden Jahren in die Bahninfrastruktur investiert. Mit 1,4 Milliarden Euro pro Jahr bezuschusst die Regierung außerdem den Betrieb von Bus und Bahn, um die Ticketkosten vergleichsweise günstig zu halten.

Eine 16 Kilometer lange Fahrt kostet lediglich 1,30 Euro. Eine Autofahrt ins Stadtzentrum kann zur Rushhour fast das Zehnfache kosten – weil der Stadtstaat bei den Autofahrern auch mit einem Mautsystem abkassiert, das Fahrten je nach Uhrzeit unterschiedlich teuer macht.

Der Stadtstaat arbeitet an einer autofreien Zukunft.

Foto: Bloomberg

Singapurs System lässt sich zweifelsohne nicht ohne Weiteres auf andere Länder übertragen – als dicht besiedelter Stadtstaat hat das Land andere Voraussetzungen als die meisten Staaten in Europa. Doch können Verkehrspolitiker durchaus von dem Beispiel lernen: Singapur zeigt, dass finanzielle Anreize funktionieren, wenn es darum geht, die Straßen überfüllter Innenstädte zu entlasten – sofern es genug attraktive Alternativen zum Individualverkehr gibt.

Weitere Teile der Serie Asia Techonomics:

Umfragen belegen in der Metropole inzwischen deutlich, dass gerade junge Menschen immer weniger Lust auf den Autokauf haben. Sie wollen sich den Luxus nicht leisten, müssen es aber auch nicht.

Die Vision einer gänzlich autofreien Zukunft rückt damit näher. Singapur arbeitet zudem schon an den nächsten Schritten. Aus dem Geschäftsviertel im Stadtteil Jurong Lake wollen die Behörden ein Musterprojekt in Sachen Nachhaltigkeit machen, in dem Autos allenfalls eine Randbedeutung zukommt: 85 Prozent der Wege sollen künftig zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden.

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Noch weiter geht man in dem Neubauviertel Tengah, das im kommenden Jahr bezugsbereit sein soll. Autos sind aus dessen Zentrum komplett verbannt, die Straßen verlaufen unterirdisch. Proteste dagegen gibt es nicht, im Gegenteil: Die Wohnungsprojekte in dem Viertel meldeten bereits wenige Tage nach dem Vermarktungsstart eine Nachfrage, die das Angebot um mehr als das Doppelte überstieg.

In der Kolumne Asia Techonomics schreiben Nicole Bastian, Dana Heide, Sabine Gusbeth, Martin Kölling und Mathias Peer im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in der dynamischsten Region der Welt.

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