Direkte Demokratie: Wenn Bürger sich ihr Geld zurückholen
Der französische Premierminister Gabriel Attal führt die Parlamentsfraktion von „Renaissance“, der Partei des Präsidenten Emmanuel Macron. Mit gerade einmal 35 Jahren hat Attal seine politische Zukunft noch vor sich. Jüngst hat er vorgeschlagen, die Bürger sollten künftig über die Verwendung eines Teils ihrer Steuern direkt entscheiden.
Weshalb dieser Vorschlag? Weil er mehrheitsfähig ist und lagerübergreifend attraktiv. Sowohl Konservative wie auch Liberale und Linke erwärmen sich dafür, nicht nur in Frankreich, sondern weltweit. Liberalen gefällt, dass staatlicher Dirigismus etwas beschränkt, bürgerliche Freiheit erweitert wird. Linke freuen sich über mehr Gelder für benachteiligte Gruppen und dass diese stärker in die Politik einbezogen werden.
Die Beteiligung von Bürgern an Steuern und Budgets hat eine lange Geschichte. Je nach Definition beginnt sie 1403 mit der ersten Landsgemeinde im Schweizer Kanton Appenzell, 1789 mit freiwilligen patriotischen Abgaben während der Französischen Revolution oder 1989 mit einem Bürgerbudget im brasilianischen Porto Alegre.
Idee des Bürgerhaushalts: Wie sollen Steuern verwendet werden?
In Deutschland nahmen Bürgerhaushalte, bei denen unverbindlich Meinungen ausgedrückt werden, ab den 2000er-Jahren rasch zu, gingen ab 2013 aber wieder stark zurück. Bürgerbudgets, bei denen es um einen festen Teilbetrag des Haushalts geht, nehmen dagegen zu. Es ist in der Bundesrepublik aber immer noch ein Nischenthema. Die größte teilnehmende Stadt ist Leipzig, der Finanzrahmen beläuft sich hier aktuell auf eine halbe Million Euro.
Eine völlig andere Dimension haben die partizipativen kommunalen Budgets in Frankreich. Jeder Bürger von Paris, egal ob Franzose oder nicht, kann seit zehn Jahren Projekte vorschlagen und später aus den beliebtesten eine Auswahl treffen. Die Sieger teilen sich einen Gesamtbetrag von aktuell 83 Millionen Euro für Aufgaben wie Renaturierung, Alternativen zum Autoverkehr oder Werkstätten im Kiez. Die Region Île de France um Paris stellt gar rund 100 Millionen Euro jährlich für Bürgerbudgets bereit.
Wieder anders sind die sogenannten Participatory Budgets oder People’s Budgets in den USA. Hier setzten sich Aktivisten in Großstädten wie Los Angeles, Chicago oder Minneapolis in den vergangenen Jahren verstärkt dafür ein, etwa die öffentliche Sicherheit neu zu denken. Beispielsweise wollen sie Polizeibehörden, die durch Gewalt aufgefallen sind, Geld entziehen.
» Lesen Sie auch: Was taugt der Bundeshaushaltsentwurf für 2025?
Außerdem setzen sie sich gegen eine Gentrifizierung der Innenstädte ein. Hier sind die Budgets ein Ansatz, den auf der Straße entstandenen Protest in die lokale Verwaltung zu tragen und eine Umwidmung von Geldern zu erzwingen.
Näher an der Vorstellung Attals ist die Praxis in Spanien. Seit 1979 kann jeder Steuerzahler frei über einen Teil seiner Einkommensteuer verfügen. Er legt fest, ob der an die katholische Kirche geht, an Nichtregierungsorganisationen für soziale Zwecke oder Entwicklungszusammenarbeit oder ins staatliche Budget. Auf diese Weise entscheiden die Bürger über mehrere Hundert Millionen Euro jährlich. Seit 1986 wendet Italien ein ähnliches System an.
Deutschland verzichtet noch weitgehend auf die Bürgerbeteiligung bei Steuern und Budgets, obwohl solch ein Ansatz Politik und Bürger besser verbinden und das Vertrauen stärken könnte. Diese Erfahrung macht Carsten Herzberg, Projektleiter der Initiative Jugendbeteiligung bei Bürgerbudgets (Jubu) in Brandenburg: „Wenn wir mit Jugendlichen arbeiten, präsentieren sie den Verantwortlichen im Rathaus Vorschläge, das schafft Nähe und Vertrauen.“
Langfristig wirke das rechtspopulistischen Erzählungen wie „Die da oben machen, was sie wollen“ entgegen. Herzberg beobachtet einen Streueffekt: Fast die Hälfte aller Brandenburger lebe inzwischen in Kommunen mit Bürgerbudgets.
Ob Brandenburg, Paris oder Chicago: In Gesellschaften, die zunehmend in abgeschlossene Resonanzräume zerfallen, können partizipative Budgets ein wenig mehr Zusammenhalt bewirken.