Europa-Kolumne: Olympia als Expo für den Überwachungsstaat: Wie sich die Winterspiele auf Europa auswirken

Der Autor: Jede Woche analysiert Moritz Koch, Leiter des Handelsblatt-Büros in Brüssel, im Wechsel mit anderen Brüsseler Korrespondenten in der EU-Kolumne Trends und Konflikte, Regulierungsvorhaben und Strategiekonzepte aus dem Innenleben der Europäischen Union. Denn wer sich für Wirtschaft interessiert, muss wissen, was in Brüssel läuft. Sie erreichen ihn unter: koch@handelsblatt.com
Europa verfolgt die Olympischen Spiele in Peking mit einer Mischung aus Grusel und Faszination, wobei der Grusel deutlich überwiegt.
Über einen diplomatischen Boykott, wie etwa von den USA, Großbritannien und Kanada aus Protest gegen die Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Staatspartei beschlossen, wurde auch in Brüssel diskutiert. Für eine gemeinsame Position der EU fand sich keine Mehrheit, aber nur wenige europäische Länder lassen sich hochrangig in Peking vertreten.
Der Umgang mit China zählt zu den größten Herausforderungen Europas. Wichtiger als die Frage, ob man den autoritären Machthabern mit dem symbolischen Fernbleiben staatlicher Würdenträger die Laune verdirbt, ist dabei, wie sich Europa zu der politischen und technologischen Revolution stellt, die von Peking ausgeht.
China hat in den vergangenen 30 Jahren einen rasanten Aufstieg erlebt, der Arbeiter- und Bauernstaat ist zum Hochtechnologieland geworden. Zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Kriegs gibt es eine ideologische Alternative zur westlichen Demokratie, die ökonomisch attraktiv ist. Chinas kommunistischer Partei ist es gelungen, Wohlstand und Freiheit zu entkoppeln – und damit westliche Gewissheiten über den Systemkonflikt mit autoritären Mächten zu zerstören.
Das Selbstbewusstsein, das sich daraus speist, zeigt sich auch bei den Olympischen Spielen. Sie sind eine Expo für die Diktatur der Zukunft, eine Weltausstellung für Hightech-Überwachung. Nie war die Realität George Orwell so nah wie im China Xi Jinpings.
Die Omnipräsenz von KI-gesteuerten Kameras und Gesichtserkennung schürt Ängste in Europa – weckt aber auch Begehrlichkeiten. Wenn man die Ereignisse in China allein durch das Prisma der Rivalität zwischen Autoritarismus und Demokratie betrachtet, über sieht man, wie verlockend die chinesischen Überwachungsmethoden auch für europäische Sicherheitsbehörden sind.
Gefahr der Massenüberwachung auch in Europa
Bestrebungen, verstärkt Gesichtserkennung einzusetzen, etwa zur Terrorabwehr, gibt es längst auch in der EU. Die Grünen im EU-Parlament haben diese Initiativen jetzt in einer Studie zusammengetragen.
Piraten-Politiker Patrick Breyer, der sich der Grünen-Fraktion angeschlossen hat, mahnt: „Es besteht die reelle Gefahr, dass biometrische Massenüberwachung in Europa über die Olympischen Spiele salonfähig gemacht werden soll.“ Insbesondere Frankreich, das derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat, sei in Europa ein „Vorreiter dieser Überwachungstechnologie“.






Die EU-Kommission will die massenhafte Gesichtserkennung zwar im Grundsatz verbieten, aber ihr Vorschlag zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz sieht wichtige Ausnahmen vor, etwa wenn es darum geht, Terroranschläge zu verhindern und Schwerverbrecher zu finden. Das Gesetzesvorhaben wird nun im Parlament beraten. Das Risiko des Missbrauchs spielt in den Verhandlungen eine zentrale Rolle.
Zuletzt haben Berichte über den Einsatz der Spionagesoftware Pegasus in Polen und Ungarn verdeutlicht, dass die digitale Totalüberwachung nicht nur für Funktionäre der chinesischen Kommunistischen Partei attraktiv ist. Ohnehin ist der Übergang zwischen Demokratie und Autoritarismus fließend, wie das Beispiel beider Länder zeigt.





