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GeoeconomicsDie Zeitenwende ist auf Sand gebaut

Das große Versprechen des Kanzlers ist in Arbeit, aber nicht auf Dauer angelegt. Dafür bräuchte es einen echten Bewusstseinswandel.Claudia Major 15.09.2023 - 12:20 Uhr
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Claudia Major ist eine deutsche Politikwissenschaftlerin und Forschungsgruppenleiterin für Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Foto: Klawe Rzeczy, Getty, PR

„Wir erleben eine Zeitenwende (…). Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor. Im Kern geht es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf (…) oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen“ – so hat es Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kurz nach Beginn des Ukrainekriegs formuliert. Und er versprach: „Was für die Sicherung des Friedens in Europa gebraucht wird, das wird getan.“

Das ist eine riesengroße Aufgabe. Denn es geht um eine umfassende Neuaufstellung: von der Energieversorgung bis zur Bildungspolitik mit Blick auf den Umgang mit Fake News und Propaganda. Entscheidend für den Erfolg der Zeitenwende ist der Verteidigungsbereich.

Nicht nur, weil sich die Regierung selbst so hohe Ziele gesetzt hat – „was gebraucht wird, wird getan“ – und die Erwartungen von Deutschlands Partnern daher umso größer geworden sind. 

Sondern vor allem, weil die Bedrohung nicht mit diesem Krieg Russlands endet. Dieser ist lediglich der Auftakt zu einer neuen Sicherheitsordnung, in der die Bedeutung militärischer Macht steigt. Bislang schließen wir vor allem Lücken in der Bundeswehr, aber das schiere Ausmaß dessen, was notwendig wäre, ist noch nicht eingepreist.

Eine nachhaltige Zeitenwende hieße, dass Deutschland diese in den Zielen, in den Strukturen und in den Ressourcen verankert. Aber bislang scheinen die Anpassungen nicht dauerhaft – sondern auf Sand gebaut, mit dem Risiko der schnellen Vergänglichkeit. Das liegt vor allem daran, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit dieses Wandels nicht sehr ausgeprägt ist.

Sondervermögen ist bald aufgebraucht

Mit Blick auf Ziele, Strukturen und Ressourcen lassen sich Entscheidungen treffen, wenn es politisch gewollt ist. Es gibt ja Ziele: Der Kanzler hat im September 2022 postuliert, die Bundeswehr müsse „zur am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa“ werden. Das würde gut zwei Dekaden dauern.

>> Lesen Sie hier: Jeder will Sicherheit, doch keiner will zahlen

Doch die Bundesregierung fährt wie schon vor dem Krieg auf Sicht: Das Versprechen, zwei Prozent für Verteidigung auszugeben, kann sie nur für zwei bis drei Jahre einhalten. Das ermöglicht das berühmte Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro.

Der normale Verteidigungshaushalt Deutschlands ist allerdings gar nicht gestiegen. Ist das Geld aus dem Sondervermögen aufgebraucht, ist Deutschland noch weiter vom Zwei-Prozent-Ziel entfernt als heute. Denn bis 2025 werden die zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in absoluten Zahlen wohl höher liegen. Das Ziel, die am besten ausgestattete Streitkraft in Europa zu werden, ist also finanziell nicht hinterlegt.

Folgen hat das schon heute. Mit der unsicheren Finanzierung kann die Bundeswehr keine umfassende und lang andauernde Neuaufstellung planen. Allein komplexe Rüstungsprojekte brauchen zwölf bis 15 Jahre von der Beauftragung bis zur Auslieferung. Natürlich ist das Ziel von Verteidigung nicht, einfach nur Geld auszugeben. Aber ohne Geld werden die Ziele nicht erreicht.

Warum entsteht der Eindruck, die notwendigen Veränderungen hätten geringe Priorität?

Ähnlich sieht es bei den Strukturen aus. Nachdem im ersten Jahr wenig passiert ist, hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Reformen angestoßen: Er richtete wieder einen Planungsstab ein und arbeitet an der Optimierung des Planungs- und Beschaffungswesens, um die Verantwortungsdiffusion zu überwinden und schneller Ergebnisse zu erreichen. Viele Baustellen sind zudem noch offen, etwa die Anpassung der Struktur der Bundeswehr.

Der wichtigste und schwierigste Bereich für eine dauerhafte Verankerung der Zeitenwende kommt aber zu kurz: der Mentalitätswandel – oder wie Pistorius sagte: die Veränderungsbereitschaft. 

Es geht darum anzuerkennen, dass sich die sicherheitspolitische Lage fundamental geändert hat, dass es eine militärische Bedrohung auch für Deutschland gibt, dass andere Länder die von Deutschland gewollte liberale Weltordnung bewusst, auch militärisch, infrage stellen und dass Deutschlands Beitrag für Europas Verteidigung entscheidend ist. 

Europa als Trittbrettfahrer

Vieles deutet darauf hin, dass nach einem revolutionären Veränderungsmoment kurz nach dem russischen Überfall das deutsche System wieder in einen Bewahrungsrhythmus verfallen ist. Ein bisschen Wandel, aber es soll nicht wehtun. Mehr Geld, aber nicht langfristig.

Bundeskanzler Scholz will die Bundeswehr „zur am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa“ machen.

Foto: imago images/Björn Trotzki

Viele hoffen offensichtlich, dass doch wieder alles irgendwie gut wird. Das liegt auch daran, dass die Ukraine sich und Europa überragend verteidigt, Russland zurückdrängt und damit das Bedrohungsgefühl wieder weicht.

Das bedeutet aber auch, dass Europa Trittbrettfahrer ist. Die Ukraine verteidigt gerade die Sicherheit des Kontinents, und der größte Unterstützer dabei sind die USA. Zudem koppelt die Bundesregierung ihre militärische Unterstützung für die Ukraine an die der USA. 

So hat Berlin die Lieferung von deutschen Kampfpanzern an amerikanische Zusagen gebunden. Das ist nicht die viel beschworene europäische Souveränität, die zum Beispiel im Koalitionsvertrag angestrebt wird, sondern wieder ein Auslagern von Strategie und Aufwand an die USA. 

Verwandte Themen Europa Bundeswehr Deutschland USA Ukraine Olaf Scholz

Diese Art des mentalen Outsourcings erlaubt uns, verteidigungspolitische Themen zu vermeiden, behindert aber die notwendige mentale Neuaufstellung.

Natürlich ändert sich ein Land nicht in 18 Monaten. Es braucht eine Generation, um neues Denken zu verankern. Aber nach 18 Monaten kann man absehen, ob eine Wende eingesetzt hat und so verankert ist, dass sich der Kurs halten lässt. Danach sieht es gerade nicht aus.

Mehr: Russland legt alte Denkweisen nicht ab – und überschätzt sich deshalb

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