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Globale TrendsEs ist nicht immer die Wirtschaft, Dummkopf!

Bislang bestimmte die wirtschaftliche Lage der Wähler das politische Bewusstsein. In den USA und Großbritannien wird diese Regel jetzt auf den Kopf gestellt.Torsten Riecke 03.04.2024 - 15:42 Uhr
Die Regierungen in Großbritannien unter Rishi Sunak (l.) und in den USA unter Joe Biden (r.) bangen um ihre Wiederwahl. Foto: AP

London. Die Leute wählen mit dem Geldbeutel. Dass das wirtschaftliche Wohlbefinden ausschlaggebend für das Kreuz auf dem Stimmzettel sei, galt bislang als eines der wenigen ehernen Gesetze der Politik. Niemand hat das besser auf den Punkt gebracht als James Carville. „It’s the economy, stupid“ war das Erfolgsrezept, mit dem der heute 79-jährige Wahlstratege Bill Clinton zweimal zur US-Präsidentschaft verhalf.

Vor allem in den USA, aber in Ansätzen auch in Großbritannien wird diese Politweisheit gerade auf den Kopf gestellt. Der Vergleich zwischen dem wirtschaftlichen Wohlbefinden – gemessen zum Beispiel am Verbrauchervertrauen – und der Zustimmung zu US-Präsident Joe Biden zeigt ein verblüffendes Ergebnis: Nicht die Wirtschaftslage bestimmt das politische Bewusstsein, sondern die politische Haltung entscheidet über die wirtschaftliche Wahrnehmung.

Anders lässt sich kaum erklären, warum mit der US-Wirtschaft auch das Verbrauchervertrauen in Amerika stetig wächst, während gleichzeitig die Beliebtheit von Biden in den Wahlumfragen sukzessive sinkt. Bidens Wahlstrategen rätseln seit Monaten darüber, warum der wirtschaftliche Aufschwung die Wahlchancen ihres Kandidaten nicht beflügelt.

Carville hat darauf kürzlich eine einfache, aber treffende Antwort gegeben: „Wenn jetzt jemand sagen würde: ‚Ich bin ein glücklicher Mensch‘, würden viele antworten: ,Was ist mit dem Kerl los? Siehst du nicht das Böse in dieser Welt?‘“, erklärte der Politprofi der „New York Times“.

Republikaner in den USA fühlen sich ärmer

Das führt zum Teil zu grotesken Verzerrungen, wenn es darum geht, die eigene wirtschaftliche Lage einzuschätzen. So klagt eine Mehrzahl der Amerikaner über Einkommenseinbußen, obwohl die offiziellen Statistiken steigende Löhne und Gehälter ausweisen.

Zugleich fühlen sich Republikaner von den Einkommensverlusten stärker betroffen als Demokraten. Das deutet zumindest darauf hin, dass der Blick in den eigenen Geldbeutel von einer politischen Brille verzerrt wird.

In den USA hat der Identitäts- und Kulturkampf das Land stärker zerrissen als anderswo. Aber auch in Großbritannien gibt es erste Anzeichen, dass der Zusammenhang zwischen Wohlstand und Wahlabsichten nachlässt.

Nach einer regelmäßigen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov ist die Wirtschaft im Königreich zwar nach wie vor das wichtigste Thema. Über ein Drittel der Briten sorgt sich jedoch inzwischen mehr über die illegale Einwanderung von Bootsflüchtlingen, deren Zahl mit besserem Wetter wieder steigt.

Wie in Deutschland ist die Debatte über die Einwanderung auch auf der Insel stark von Identitätsfragen und kulturellen Vorbehalten geprägt. So fragte die frühere britische Innenministerien Suella Braverman vom rechten Tory-Flügel kürzlich, ob es ausreiche, „homosexuell oder eine Frau zu sein und Angst vor Diskriminierung in seinem Herkunftsland zu haben, um Schutz zu erhalten“.

Die Aufnahme von Menschen wie diesen vermutlichen Migranten, die von einem Schiff der Border Force aufgegriffen wurden, sehen viele Briten kritisch. Foto: AP

Der Streit über das in Großbritannien erfundenen „Ruanda-Modell“, das eine Abschiebung von Asylsuchenden in ein vermeintlich sicheres Drittland vorsieht, wird inzwischen mehr ideologisch als pragmatisch geführt.

In Deutschland stimmt der Nexus noch

Hierzulande sieht sogar mehr als die Hälfte der Befragten in der Migrationsfrage das Topthema. Die hohen Umfragewerte für die AfD, für die es in Großbritannien trotz des Zulaufs zur rechten Reform UK-Partei bislang kein politisches Pendant gibt, spiegeln die verschobenen Wählerpräferenzen wider.

Viele Deutsche sind allerdings nicht nur mit der Einwanderungs-, sondern auch mit der Wirtschaftspolitik der Ampel unzufrieden. Es zeigt sich eine enge Korrelation zwischen wirtschaftlichem Verdruss und politischer Abneigung.

In Großbritannien wird der Vorrang der Wirtschaft über andere Themen im Wahljahr getestet werden. Die Rezession, in die das Königreich Ende vergangenen Jahres gerutscht war, scheint schon wieder vorbei zu sein. Die Inflation dürfte bald unter die Zwei-Prozent-Marke sinken. Und dennoch sagt die jüngste Umfrage der Denkfabrik „Best for Britain“ eine vernichtende Niederlage für die regierenden Tories voraus.

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Erstpublikation: 03.04.2024, 10:01 Uhr.

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