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Globale TrendsLondon steuert auf neuen Konflikt mit Brüssel zu

Nachdem der Streit zwischen London und Brüssel über Nordirland beigelegt ist, droht bereits die nächste Auseinandersetzung. Diesmal geht es um die Abschaffung Tausender EU-Regeln.Torsten Riecke 08.03.2023 - 10:44 Uhr Artikel anhören

Handelsblatt-International-Correspondent Torsten Riecke analysiert jede Woche in seiner Kolumne interessante Daten und Trends aus aller Welt. Sie erreichen ihn unter riecke@handelsblatt.com

Foto: Klawe Rzeczy

London. Wo sonst hätte Rishi Sunak seinen bislang größten Triumph als britischer Premierminister besser feiern können als im Schatten von Schloss Windsor? Am vergangenen Wochenende lud er alle 355 Unterhaus-Abgeordneten seiner Konservativen Partei in dasselbe Luxushotel ein, wo er wenige Tage zuvor der EU wichtige Zugeständnisse über den Handel mit Nordirland abgerungen hatte. „Wir haben den Brexit zum Erfolg geführt“, war die Botschaft, mit der Sunak die in Umfragen weit hinter Labour zurückliegenden Tories aufmuntern wollte.

In Brüssel „hält man die Bälle dagegen flach“, wie ein Diplomat es ausdrückt, und lässt den britischen Premier seinen „überverkauften“ Erfolg genießen. Wenn Sunak sich mit dem Nordirland-Deal in seiner EU-skeptischen Partei durchsetzt, so kalkulieren die EU-Strategen, könne man den leidigen Brexit-Streit endlich hinter sich lassen. Außerdem könne „ein neues Kapitel“ der Zusammenarbeit aufgeschlagen werden, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Das könnte sich jedoch bald als Wunschdenken erweisen, denn die nächste Kollision zwischen London und Brüssel ist bereits absehbar: Bis Ende des Jahres will die britische Regierung mehr als 3000 Gesetze und Regeln aus der Zeit der EU-Mitgliedschaft entweder ändern oder, sollte die kurze Zeit dafür nicht ausreichen, automatisch streichen. So will es der sogenannte „Retained EU Law Bill“, der bereits im Parlament in Westminster eingebracht wurde.

Die Deregulierungswelle wird in London als „Brexit-Dividende“ gefeiert, mit der man sich endlich aus den „Fesseln der EU befreien“ könne. Darin steckt die unausgesprochene Drohung, EU-Standards zum Beispiel bei genmodifizierten Lebensmitteln zu unterlaufen, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.

„Der Gesetzentwurf der britischen Regierung zur Beibehaltung des EU-Rechts könnte die hohen Standards und den wichtigen Schutz für die Lebensmittelindustrie drastisch reduzieren“, warnt die schottische Regionalregierung.

Nordirland-Deal würde Problem verschärfen

Aber auch EU-Standards zum Daten-, Arbeits- und Verbraucherschutz stehen zur Disposition. In Brüssel wird seit Langem befürchtet, die Briten könnten nach ihrem EU-Austritt einen Deregulierungswettbewerb nach unten beginnen.

Der vor Kurzem beschlossene Nordirland-Deal würde das Problem sogar noch verschärfen. Räumt er dem Regionalparlament in Belfast doch ein Mitspracherecht bei der Anwendung von neuen EU-Regeln in der nordirischen Provinz ein.

>> Lesen Sie hier: Historischer Pakt oder kleine Anpassung? Was der Nordirland-Deal bedeutet

Sollte Brüssel also seine Standards etwa bei der Lebensmittelkontrolle oder beim Einsatz von Chemikalien verschärfen und London dabei nicht mitziehen, reichen die Stimmen von 30 unionistischen Parlamentariern in Belfast, um die Initiative in einem Teil des Binnenmarkts zum Stillstand zu bringen.

Diese „Notbremse“ des Parlaments in Stormont könnte sich in Kombination mit dem expliziten Wunsch der harten Brexit-Verfechter in London, von EU-Regeln abzuweichen, als eine politische Zeitbombe entpuppen. Der Brexit hat Fliehkräfte freigesetzt, die sich auch durch noch so geschickte Reparaturanleitungen wie das neue „Windsor Framework“ für Nordirland nicht bändigen lassen.

Auch Briten fürchten geringere Lebensmittelstandards

Zwei Punkte könnten ein weiteres Abdriften des Inselreichs vom europäischen Kontinent zumindest bremsen. Der hohe Zeitdruck, mit dem die britische Regierung das „Fegefeuer“ für EU-Recht durch das Parlament pauken will, überfordert nicht nur die staatliche Bürokratie.

Die Deregulierungswelle wird in London als „Brexit-Dividende“ gefeiert.

Foto: via REUTERS

Er verunsichert auch Unternehmen, Aufsichtsbehörden und Investoren. „Die Geschwindigkeit, mit der die Regierung beabsichtigt, beibehaltenes EU-Recht zu überprüfen, ist ein Rezept für schlechte Rechtsetzung“, kritisiert die britische Law Society. Die Handelskammer im Königreich fordert bereits eine Verlängerung bis 2026.

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Die andere Bremse sind die britischen Wähler. Entgegen dem Eindruck auf dem Kontinent ist es keineswegs so, dass die Mehrheit der Briten nur darauf wartet, sich von vielen Schutzregeln aus der EU-Zeit zu befreien. So hat die Aussicht auf ein Handelsabkommen mit den USA Ängste geweckt, in Großbritannien könnten bald Lebensmittelimporte mit chemischen Zusatzstoffen auf den Tisch kommen, die in Europa verboten sind. Und das betrifft nicht nur die berüchtigten „Chlorhühnchen“.

Mehr: Beginnt in Großbritannien jetzt der Reueprozess?

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