Globale Trends: Wie die BRICS-Staaten weltweit wirtschaftspolitisch an Einfluss gewinnen


BRICS-Treffen 2019 in Brasilien: Wladimir Putin (zweiter von rechts) zusammen mit den Staats- und Regierungschefs aus Südafrika, China, Indien und Brasilien.
Die Machtverschiebungen in der Weltwirtschaft seien wie der sich verändernde Rennkalender in der Formel 1, erklärte einmal der britische Werbeguru Martin Sorrell: Immer mehr Autorennen fänden in den „schnell wachsenden Märkten“ von Schwellenländern statt. Dazu zählte der Gründer der weltweit größten Werbeagentur WPP ausdrücklich die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.
Den Staats- und Regierungschefs der BRICS-Staaten, die bei ihrem Gipfeltreffen in Johannesburg kräftig um neue Mitglieder für ihren Wirtschaftsklub werben, dürfte das Bild gefallen: Ausgerechnet die Rennserie mit den schnellsten Autos der Welt, einst Ausdruck der technologischen Überlegenheit des Westens, wetteifert um die Gunst von Staaten, die sich vom wirtschaftsliberalen Modell der Industrieländer abwenden.
Die Anekdote zeigt, dass der Einfluss der BRICS-Länder und ihrer antiliberalen Wirtschaftspolitik nicht nur daran gemessen werden sollte, ob es den Staats- und Regierungschefs in Johannesburg gelingt, Länder wie Argentinien, Saudi-Arabien und Indonesien als neue Mitglieder anzuwerben.
Die Tatsache, dass mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung schon heute in den BRICS-Staaten leben und dort über ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung produzieren, hat die Weltwirtschaftsordnung bereits stärker verändert als alle Mitgliederzahlen.
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Deutlich wird das bei einem handelspolitischen Blick auf den BRICS-Klub. Üblicherweise werden Macht und Einfluss von Wirtschaftsblöcken daran gemessen, wie eng sie in diesem Bereich miteinander verflochten sind.
Die BRICS-Länder haben es aufgrund ihrer wirtschaftlichen Unterschiede jedoch bis heute nicht geschafft, eine gemeinsame Freihandelszone zu bilden. Eine gemeinsame Währung hat schon Jim O’Neill, der das BRICS-Label prägte, als Schnapsidee abgetan.
BRICS-Ideologie hat Einfluss auf Wirtschaftspolitik des Westens
Die beiden Handelsexperten André Brotto Reigado und Simon Evenett von der Hochschule St. Gallen zeigen jedoch in einem aktuellen Briefing, dass es den BRICS-Staaten dennoch gelungen ist, einen erstaunlich kohärenten Mix aus Industriepolitik und Protektionismus zu verfolgen.
Dieses antiliberale Paradigma, das die Überlegenheit marktwirtschaftlicher Steuerung bewusst infrage stellt, gewinnt inzwischen weit über den Kreis der fünf Kernmitglieder hinaus an Einfluss und färbt sogar auf die Wirtschaftspolitik westlicher Industrienationen ab.
„Dies ist von entscheidender Bedeutung für Unternehmen, die in die BRICS-Märkte eintreten oder dort expandieren wollen, und für ausländische Regierungen, die Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit BRICS-Mitgliedern aufnehmen wollen“, schreiben die beiden Autoren und verweisen unter anderem darauf, dass die BRICS-Staaten für fast ein Drittel der weltweit praktizierten protektionistischen Handelsverzerrungen verantwortlich seien.
Protektionismus statt Freihandel auch bei der G7
Staatliche Subventionen für heimische Anbieter sowie nicht tarifäre Handelshemmnisse wie Exportlizenzen sind dabei die wichtigsten Interventionen, die unter dem Strich alle Bemühungen um eine Marktöffnung zunichtemachen. „Jedem Dollar an Importen in BRICS-Länder, der von Reformen für einen erleichterten Marktzugang profitiert, stehen nach unseren Berechnungen 1,17 Dollar gegenüber, die durch Hindernisse verloren gehen.“
Der offensichtliche ökonomische Unsinn des Protektionismus der BRICS-Staaten hält die sieben führenden westlichen Industrienationen (G7) jedoch nicht davon ab, diesem Trend zu folgen: Auch in den meisten G7-Ländern gilt inzwischen Protektionismus statt Freihandel, Decoupling statt Globalisierung, „we first“ statt Multilateralismus. „Was bei der G7 vor sich geht, spiegelt Veränderungen in der globalen Ordnung nach dem Verlust der US-Dominanz wider“, sagt Masamichi Adachi, UBS-Chefökonom in Japan.
Bei aller Uneinigkeit und allen Unterschieden zwischen den BRICS-Staaten: Auf den Minimalkonsens, dass das frühere liberale Marktparadigma des Westens nicht mehr Vorbild für den Rest der Welt sein soll, können sich die Regierungen von Peking über Delhi und Moskau bis nach Brasilia einigen.






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Und auch in anderen Ländern des globalen Südens sind die Zweifel am westlichen Wirtschaftsmodell längst so groß, dass die dortige Politik nach Alternativen sucht. Dieses wirtschaftspolitische Vakuum nicht einfach den BRICS-Staaten zu überlassen ist die eigentliche Herausforderung für die G7-Länder.





