Kolumne: Asia Techonomics: Der Streit um den zweitgrößten Smartphone-Markt eskaliert

In der wöchentlichen Kolumne schreiben Handelsblatt-Korrespondenten im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.
Bangkok. In einem der wichtigsten Smartphone-Märkte der Welt wird es für Chinas Tech-Konzerne immer ungemütlicher. In Indien haben die Behörden diese Woche einen Mitarbeiter des chinesischen Smartphone-Herstellers Vivo in Gewahrsam genommen – zusammen mit drei weiteren Personen, die laut den Ermittlern in Verbindung mit dem Unternehmen stehen.
Vordergründig geht es um den Vorwurf, dass unerlaubt Milliardensummen nach China geflossen sind, um Steuern aus dem Indiengeschäft zu hinterziehen. Im Hintergrund schwelt jedoch ein noch größerer Konflikt: Gestritten wird um die Dominanz im – gemessen an der Zahl der verkauften Geräte – zweitgrößten Smartphone-Markt weltweit.
Noch vor Kurzem war klar, wer in Indien das Sagen hat: Vor drei Jahren kamen die chinesischen Hersteller Xiaomi und BBK Electronics mit ihren Marken Vivo, Oppo und Realme auf einen Anteil von mehr als 75 Prozent an den Verkäufen. Inzwischen haben sie nach Daten des Marktforschers Canalys mehr als 20 Prozentpunkte verloren – und kontrollieren nur noch knapp mehr als die Hälfte des Marktes. Xiaomi musste seine langjährige Marktführerschaft zuletzt an den südkoreanischen Konkurrenten Samsung abgeben.
Der Einbruch der chinesischen Hersteller ging einher mit einer Flut an Negativschlagzeilen: Weil Xiaomi gegen Finanzvorschriften verstoßen haben soll, froren Indiens Behörden knapp 700 Millionen Dollar an Vermögenswerten des Konzerns ein. Oppo warfen Finanzermittler im vergangenen Jahr vor, Importzölle nicht vorschriftsgemäß bezahlt zu haben. Bei den aktuellen Festnahmen rund um Vivo geht es indischen Medien zufolge um den Verdacht der Geldwäsche.
Polizei wirft Xiaomi Beteiligung an chinesischer Propaganda vor
Indien beklagt aber nicht nur, dass die chinesischen Smartphone-Firmen ihre finanziellen Verpflichtungen vernachlässigt hätten. In einem vergangene Woche öffentlich gewordenen Polizeidokument wird zudem behauptet, Xiaomi, Vivo und andere chinesische Tech-Konzerne hätten unerlaubt Gelder für eine „Verschwörung“ zur Verbreitung chinesischer Propaganda in Indien bereitgestellt.
Dabei geht es um die Finanzierung des regierungskritischen indischen Nachrichtenportals Newsclick, dessen Chef in der vergangenen Woche ebenfalls festgenommen worden war. Die Verbindungen des Medienunternehmens nach Peking würden derzeit überprüft, hieß es in Neu-Delhi. Sowohl Newsclick als auch Xiaomi bestritten jegliches Fehlverhalten. Auch Vivo teilte nach der Festnahme des eigenen Mitarbeiters mit, man halte sich an die rechtlichen Vorschriften.
Gerichtlich geklärt sind die Anschuldigungen in Indien bisher nicht. Damit ist auch weiterhin offen, inwieweit Chinas Gegenvorwurf zutrifft, dass Indien mit den Fällen Protektionismus betreibe. Doch dass der Streit über Chinas Tech-Konzerne neben einer juristischen auch eine politische Komponente hat, ist kaum übersehbar: So begannen die Verfahren unmittelbar nach den tödlichen Zusammenstößen zwischen indischen und chinesischen Soldaten an der umstrittenen Grenze im Himalaja im Jahr 2020. In deren Folge hatte die Regierung in Neu-Delhi auch Hunderte chinesische Smartphone-Apps – darunter die Video-App Tiktok – verboten und die Bestimmungen für Investitionen chinesischer Unternehmen verschärft.
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Nun sieht sich die Regierung in Neu-Delhi in einer Position der Stärke: Die Debatte über das Verhalten der chinesischen Tech-Unternehmen will sie nutzen, um die eigene Elektronikindustrie weiter anzuschieben: So forderte sie vor wenigen Wochen die chinesischen Hersteller auf, bei ihren Indiengeschäften künftig lokale Investoren einzubinden und Führungspositionen mit indischen Staatsbürgern zu besetzen, wie lokale Medien berichteten. Zudem sollen sie nach dem Willen der Behörden auch verstärkt Komponenten in Indien herstellen, anstatt diese wie bisher aus China zu beziehen.
Angesichts des starken Drucks, unter dem die Unternehmen mit ihren Indiengeschäften bereits stehen, scheint die Bereitschaft zum Einlenken groß zu sein: Ende September verkündete Xiaomi eine Partnerschaft mit dem indischen Auftragsfertiger Dixon zur Produktion von Smartphones in der indischen Hauptstadtregion Delhi. Dixon-Manager sprachen von einem Meilenstein für die „Make in India“-Initiative, mit der die Regierung Fabriken ins Land locken will.
Im Smartphone-Geschäft hatte sie damit zuletzt Erfolg. Gestützt von Subventionen fuhren internationale Hersteller ihre Produktion in Indien hoch. In diesem Jahr erwartet die Branche 270 Millionen Geräte „made in India“ – 20 Millionen mehr als im Vorjahr. Zumindest auf dem Subkontinent scheint das Ende der chinesischen Smartphone-Dominanz nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
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