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Kolumne GeoeconomicsEuropa-Rede: Scholz ist gar nicht so weit entfernt von Macron

Der deutsche Kanzler und der französische Präsident streben beide die europäische Souveränität an. Allerdings dürfte Scholz’ Ansatz in vielen Teilen Europas auf mehr Zuspruch stoßen.Jana Puglierin 10.05.2023 - 13:49 Uhr
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Es bleibe zu hoffen, dass der Kanzler seinen eigenen Lehren folgt.

Foto: IMAGO/Starface

Olaf Scholz (SPD) hat seine zweite große Rede zur Lage und Zukunft der Europäischen Union gehalten – am Europatag vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. Im Mittelpunkt stand die Verortung der EU in einer multipolaren Welt. Die Rede gibt viel Aufschluss über das allgemeine außenpolitische Koordinatensystem des Bundeskanzlers und seine Sicht auf die sich wandelnde internationale Ordnung.

Anders als US-Präsident Joe Biden (oder Bundesaußenministerin Annalena Baerbock) sieht Scholz den bestimmenden Faktor der Zukunft nicht im Wettbewerb westlicher Demokratien gegen autoritäre Systeme. Die ordnenden Pole sind für ihn auch nicht ausschließlich die Vereinigten Staaten und China.

Scholz glaubt, die Welt des 21. Jahrhunderts wird multipolar sein und viele verschiedene Zentren haben. Sowohl in seiner Rede als auch in der anschließenden Diskussion verwies er darauf, dass die Europäer in der Welt von morgen vor allem eines sind: eine zunehmend geringere Minderheit. Daraus ergibt sich für ihn, dass sie nur dann überhaupt noch global Einfluss nehmen können, wenn sie sich zusammenschließen und Europa als ihren Handlungsrahmen begreifen.

Zusätzlich brauchen sie Partner – womit wir bei einem weiteren Motiv wären, das Scholz antreibt. Immer wieder hat er demonstriert, dass ihm in besonderem Maße an einem Austausch mit Ländern in Afrika, Asien und Südamerika gelegen ist. Als Gastgeber des G7-Treffens im Juni 2022 lud er Indien, Südafrika, Indonesien, Argentinien und Senegal nach Elmau ein. Gerade erst ist er aus Äthiopien und Kenia zurückgekehrt, auch in Südamerika und Südostasien war er in den vergangenen Monaten.

Scholz möchte diese Länder, die er in Straßburg als „neue wirtschaftliche, demografische und politische Schwergewichte“ bezeichnet, zu Verbündeten Europas machen. In diesem Zusammenhang lässt er in seiner Rede durchblicken, dass er sich bei den Freihandelsabkommen der EU mehr Pragmatismus – und folgerichtig einen weniger wertegeleiteten Ansatz – wünscht, weil sonst zukünftig andere „die Regeln [diktieren] – mit niedrigeren Umwelt- und Sozialstandards“.

Scholz ist politisch nicht weit weg von Macron

Während Frankreichs Präsident Emanuel Macron auf seiner Rückreise aus Peking zuletzt von der EU als „drittem Pol“ zwischen den USA und China sprach, lässt Scholz keinen Raum für den Verdacht der Äquidistanz. Die Vereinigten Staaten sieht er als Europas „wichtigste Verbündete“. China ist für ihn „Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale“, mit Betonung auf den beiden Letzteren. Er unterstützt die „De-Risking“-Strategie der europäischen Kommissionspräsidentin – solange sie „klug“ ist.

Dr. Jana Puglierin ist Head of Office and Senior Policy Fellow am European Council on Foreign Relations (ECFR).

Foto: Handelsblatt

In der Sache aber ist sein Anspruch an Europa nicht sehr weit von demjenigen Macrons entfernt. Scholz sieht die Notwendigkeit einer „geopolitischen EU“, als Bollwerk gegen Herausforderungen von außen. Er möchte sie in die Lage versetzen, ihre Sicherheit, Unabhängigkeit und Stabilität in einer Welt zu bewahren, in der einzelne europäische Nationalstaaten sich nicht allein behaupten können. Der Kanzler vermeidet in seiner Rede klugerweise den spaltenden Begriff „strategische Autonomie“.

Praktisch geht es ihm darum, dass die Europäer mehr in ihre Sicherheit und Verteidigung, ihre zivile Resilienz, ihre technologische Souveränität, in zuverlässige Lieferketten und in ihre Unabhängigkeit bei kritischen Rohstoffen investieren – um, wie er sagt, „unseren transatlantischen Freunden bessere Verbündete“ zu werden.

Gleichzeitig und ohne dass Scholz es explizit macht, ist genau dies auch der Arbeitsplan, um sich auf die Möglichkeit vorzubereiten, dass sich die USA zukünftig nicht mehr so stark in Europa engagieren könnten. Wenn die Europäer umsetzten, was Scholz vorschlägt, würde dies zu ebenjener größeren europäischen Souveränität führen, die auch Macron anstrebt – allerdings ist Scholz’ Framing gerade in Nord-, Mittel- und Osteuropa wesentlich anschlussfähiger.

>> Lesen Sie hier: Macrons China-Aussagen sind ein Fauxpas – dürfen aber auch nicht überinterpretiert werden

Nun bleibt nur zu hoffen, dass der Kanzler seinen eigenen Lehren folgt. Wenn er in Straßburg sagt, „Europas Zukunft liegt in unserer Hand“, dann gilt das für Deutschland aufgrund seines politischen und wirtschaftlichen Gewichts noch mehr als für andere Länder.

Für eine EU, die stärker mit einer Stimme spricht, braucht es eine zusammenführende Kraft. Diese Kraft ist Berlin in den letzten Monaten zu wenig gewesen. Eine Grundvoraussetzung wäre allerdings, dass sich die Bundesregierung in der Europapolitik zukünftig wieder stärker auf eine gemeinsame Linie einigt – und sie Brüssel nicht wie bei der Debatte um den Verbrennungsmotor zur Bühne koalitionsinterner Auseinandersetzungen macht.

Verwandte Themen Olaf Scholz Europäische Union China Europa

Dr. Jana Puglierin ist Head of Office and Senior Policy Fellow am European Council on Foreign Relations (ECFR).

Mehr: Kanzler Scholz fordert umfassende Freihandelsagenda der EU

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