Kolumne „Out of the box“: Bürokratie lähmt uns – doch es gibt einen Ausweg

Die Bürokratie ist so etwas wie der Endgegner des wahren Lebens. Sie erstickt Wirtschaft und Unternehmergeist mit Schachtelsätzen, Paragrafenbergen und Freigabeprozessen schon im Keim. Und Deutschland gilt in dieser Disziplin als Weltmeister aller Klassen – unser Beitrag zum Weltkulturerbe. Allein 20.000 Bauvorschriften nennen wir unser geistiges Eigentum.
Die Bürokratie scheint das einzige Lebewesen auf dem Planeten, das nicht Charles Darwins Gesetz von „survival of the fittest“ unterworfen ist. Einmal in die Welt gesetzt, macht sie sich breit – starrsinnig und unveränderlich – bis in alle Ewigkeit. Egal, welche Ideen Harvard, McKinsey oder Vorstandsvorsitzende ausbrüten, die Bürokratie lässt sie an sich abperlen und macht weiter wie bisher. Auf dem Weg in den Fortschritt ist sie der große Bremsklotz. Woher nur bezieht sie diese gewaltige Beharrungskraft?
Bürokratie ist Macht. Sie definiert, wer was darf, wer was bekommt und wer wen kontrolliert. Von außen kaum angreifbar, lässt sie sich schwer in die Schranken weisen – nicht mal durch Beschimpfungen oder Personalwechsel.
Ein gigantischer Mechanismus, der von Zwergen bedient wird, wie der französische Schriftsteller Honoré de Balzac es vor zweihundert Jahren formulierte. Das macht sie so widerstandsfähig. In den USA könnte ausgerechnet sie die letzte Wagenburg gegen Donald Trump und seine „Executive-Order-Exzesse“ werden.
Bürokratie signalisiert Legitimation. Jeder, der es durch den bürokratischen Dschungel bis zum Gewerbeschein oder akademischen Titel gebracht hat, ist in den Augen der Öffentlichkeit offiziell ermächtigt. Diese allgemeine Akzeptanz durch das Stempelkissen wird zum bürokratischen Selbsterhaltungsmechanismus. Ich habe eine Genehmigung, also bin ich.
Bürokratie zwingt das Unkalkulierbare in Routinen. Je sprunghafter die Zeiten, desto intensiver verströmt sie das Gefühl von Sicherheit und Stabilität. Mit gelernten Befehlsketten, spezialisierten Abteilungen und standardisierten Aufgaben. Schema F – als Insel langweiliger Konsistenz im Meer der täglichen Aufgewühltheit. Man weiß, was kommt, auch wenn’s mühsam wird.
Bürokratie ist gelernte Sozialisation. Von Kindesbeinen an haben wir jede Menge bürokratische Trainingslager durchlaufen: Grundschule, Musikschule, Tanzschule, Fahrschule, Sportverein, Universität, Einwohnermeldeamt: Wir kennen uns aus. Sie hat das Leben in Struktur gebracht und damit uns von Geburt an geprägt. Wir können uns ein Leben ohne Bürokratie kaum noch vorstellen. Wir lassen sie uns geschätzte 70 Milliarden Euro kosten – Tendenz steigend.
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Um der Bürokratie wirkungsvoll zu Leibe zu rücken, hilft nicht die große Keule, sondern drei kleine Erfrischungsstäbchen. Das persönliche Erlebnis ist der Anfang von allem. Wer am eigenen Leib erlebt, wie unkompliziert Dinge sein können, spürt den Unterschied und die Sehnsucht. Statt Bedienungsanleitung genügt Apples iPhone die Einschalttaste. Von einem Erlebnis der befreienden Art führt kein Weg zurück. Es macht ungeahnte Kräfte frei – die Antriebsenergie, die es für einen gelungenen Start braucht.
Die Bürokratie auszuhebeln, ist eine Aufgabe, die selbst Herkules an seine Grenzen bringt. Fangen Sie lieber klein an. Die trivialen Dinge lassen sich am einfachsten ändern und erzeugen die größte Wirkung: Gelegenheiten, die Meetings, die Agenda, die E-Mails und Co. bieten, um Wahrnehmung, Verhalten und Unternehmen zu verändern.
Gelingt es Ihnen, nur zehn Prozent einzusparen, hat jeder im Unternehmen in der Woche einen halben Tag gewonnen. Das macht Freude.
Sprechen Sie klipp und klar. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz geht uns nicht so leicht von der Zunge. Bürokratie fühlt sich in Nebelwolken am wohlsten. Während die zehn Gebote seit zweitausend Jahren mit 297 Worten auskommen, braucht die Verordnung der EG-Kommission über den Import von Karamellen über 26.911. Vermeiden Sie Worthülsen, sie sind stets leer und entfalten keinen Wirkungstreffer. Nennen Sie die Dinge beim Namen. Mit der Klarheit kommt die Kraft.

Mit Emotionalität, kleinen Schritten und klaren Worten kann Bürokratie nicht gut umgehen. Probieren Sie es aus – auch wenn Sie noch kein Formular dafür haben.
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