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RentenreformDie Rentenversicherung ist keine Autoversicherung

Sozialversicherungen basieren auf dem Solidaritätsprinzip. Wer dieses Prinzip aushebelt, macht die Sozialkassen zum Spielball von Lobbyismus.Bert Rürup 19.12.2025 - 04:11 Uhr Artikel anhören
Rentenbescheid: Einer Umfrage zufolg hält eine klare Mehrheit die deutsche Rente langfristig für nicht sicher. Foto: dpa

Düsseldorf. Wer sein Auto versichern will, der muss eine Fülle von teils durchaus privaten Fragen beantworten: Namen, Alter und Geschlecht der Fahrer, Wohnort, Fahrleistung, Fahrzeugtyp und vieles mehr. Daraus ermitteln die Versicherer ein nahezu individuelles Risikoprofil und bestimmen auf dessen Basis eine risikoadäquate Prämie. Gleiches gilt für die privaten Kranken-, Lebens- und Rentenversicherungen. Einzahler mit aus der Perspektive des Versichertenkollektivs hohen Risiken leisten hohe Beiträge, bei niedrigen Risiken sind es hingegen geringe.

Aus guten Gründen gilt dieses Prinzip in unseren Sozialversicherungen nicht. Jede gesetzliche Krankenkasse muss grundsätzlich jeden aufnehmen, unabhängig davon, ob er oder sie schwer krank oder kerngesund ist und welche erwarteten Kosten daraus kurz- oder langfristig resultieren können. Bei allen Zweigen der Sozialversicherungen richtet sich der Beitrag allein nach dem jeweiligen beitragspflichtigen Einkommen.

Anders als in der gesetzlichen Krankenversicherung, in der jedem Mitglied prinzipiell gleiche Leistungen zustehen, richten sich die Leistungen der Arbeitslosen- und vor allem der Rentenversicherung nach der Höhe der Beitragszahlungen, also nach dem beitragspflichtigen Einkommen. Hier gilt das Äquivalenzprinzip. Vereinfacht gesagt gilt: Wer hohe Beiträge zahlt, erhält eine dementsprechend höhere Rente als jene Versicherten mit geringeren Beitragszahlungen.

Dabei ist es für die Höhe der Rente gleichgültig, ob ein Versicherter 20 Jahre lang den doppelten Durchschnittslohn verdient und Beiträge davon entrichtet hat oder 40 Jahre zum Durchschnittslohn gearbeitet hat. Eine Umverteilung von den Besserverdienenden zu den Beziehern kleiner Renten über differenzierte Beitragssätze ist nach Maßgabe des geltenden Äquivalenzprinzips nicht vorgesehen, sieht man von der 2021 eingeführten Grundrente ab.

Nun gibt es gute Gründe, dieses Äquivalenzprinzip zu hinterfragen und die Renten von langjährigen Geringverdienern höher festzusetzen als die von Durchschnitts- oder Gutverdienern – wie dies aus verteilungspolitischen Gründen in vielen anderen Ländern üblich ist.

Risikoäquivalenz versus Solidaritätsprinzip

Würde die Politik hingegen Vorschlägen folgen, Versicherte etwa entsprechend ihrer Ausbildung unterschiedlich zu behandeln, wäre dies womöglich der Anfang vom Ende der solidarischen Rentenversicherung. Wenn für Akademiker, die durchweg später in das Arbeitsleben eintreten als Facharbeiter, ein höheres Renteneintrittsalter gelten soll, dann müsste dies erst recht für Promovierte gelten, während Schulabbrecher oder Ungelernte mit einem früheren Rentenbezug belohnt werden müssten. Ganz zu schweigen von Abgrenzungsproblemen, beispielsweise, wenn Personen nach einer Ausbildung einige Jahre gearbeitet haben und sich dann für ein Studium entschließen.

Nun ist unbestritten, dass das verfügbare Einkommen einen signifikanten Einfluss auf die Lebenserwartung hat. Personen aus dem oberen Quartil der Einkommensverteilung werden um bis zu sechs Jahre älter als Mitglieder aus dem unteren Viertel. Allerdings gibt es noch eine Reihe weiterer Faktoren, die die Lebenserwartung maßgeblich beeinflussen.

So leben nicht nur Männer deutlich kürzer als Frauen. Auch Menschen, deren Eltern oder Großeltern früh verstorben sind, haben oft eine unterdurchschnittliche Lebenserwartung. Der Beruf spielt ebenfalls eine Rolle: Dachdecker und Köche sterben früher als Verwaltungsangestellte. Zudem weiß man, dass Rauchen und Übergewicht die Lebenserwartung verkürzen.

Ferner gibt es große regionale Differenzen: Laut einer Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung ist die Lebenserwartung im Süden und Südwesten Deutschlands am höchsten. Sie unterscheidet sich in den 402 Landkreisen bei den Männern um mehr als fünf Jahre; bei Frauen gibt es Unterschiede von fast vier Jahren.

Heute geborene Frauen im Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt werden im Mittel 81,8 Jahre alt, während Frauen im Landkreis Starnberg südwestlich von München erwarten können, im Mittel 85,7 Jahre alt zu werden. Auch bei den Männern fanden die Forscher ein Nord-Süd-Gefälle. In Bremerhaven beträgt die Lebenserwartung heute geborener Männer im Mittel 75,8 Jahre, im Landkreis München dagegen 81,2 Jahre.

Im Sinne einer Risikoäquivalenz wie in privaten Versicherungen wäre es daher fair, wenn ein Beitrags-Euro eines rauchenden, übergewichtigen männlichen Kochs aus Bremerhaven höher in der Rentenversicherung gewichtet würde als der einer gesundheitsbewussten Ärztin aus Starnberg, deren beide Elternteile ein „biblisches“ Alter erreichten. Die Folge wäre, dass identische Beiträge zu sehr unterschiedlichen Renten führen würden.

Mehr Versicherte, mehr Ansprüche

Nun mag jedes dieser Kriterien für sich gut begründbar sein, doch ginge bei der Berücksichtigung die Verlässlichkeit der gesetzlichen Rentenversicherung verloren, und das System würde zum Spielball von Interessengruppen. Lobbyisten würden versuchen, ihre Klientel etwa aufgrund einer geringeren Lebenserwartung als benachteiligte Gruppe darzustellen, um eine höhere Rente für sie herauszuschlagen. Individuell rational wäre es zudem, vor dem Renteneintritt eine Umschulung zum Koch oder Dachdecker zu machen.

Tatsächlich sind all die Vorschläge, die dieser Tage durchs politische Berlin wabern, nichts anderes als Nebelkerzen, die verschleiern sollen, worum es bei einer Rentenreform im Kern gehen kann. Denn umlagefinanzierte Rentenversicherungen haben eben nur drei Stellschrauben: Beitragssatz, Rentenniveau und Renteneintrittsalter – sowie als zusätzliche Finanzierungsoption den Bundeszuschuss.

Wer hingegen den Versichertenkreis ausdehnen will, sollte berücksichtigen, dass dadurch neue Leistungsansprüche erwachsen. Für das bisherige Versichertenkollektiv lohnend wären „gute Risiken“, also Personen mit einer wahrscheinlich niedrigeren Lebenserwartung. Die Aufnahme schlechter Risiken, also etwa recht langlebiger Beamter, wäre hingegen langfristig ein schlechtes Geschäft.

Gleiches gilt für die Option, auf Einkunftsarten wie Kapitalerträge Beiträge zu erheben. Auch hierdurch entstünden neue künftige Ansprüche – tendenziell von schlechten Risiken, also recht wohlhabenden und damit langlebigen Versicherten.

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Altersvorsorge

Es ist unbestritten, dass das Risiko von Altersarmut besteht und in den kommenden Jahren steigen wird. Gleichwohl ist Armut unter Rentnern deutlich weniger verbreitet als unter der Gesamtbevölkerung. Allein die Tatsache, dass eine Person nur eine geringe gesetzliche Rente bezieht, ist kein Indikator für Armut oder Armutsgefährdung. Denn viele „Kleinstrentner“ beziehen Alterseinkommen aus anderen Quellen.

Wer wirklich Altersarmut vorbeugen und sie bekämpfen will, der sollte sich für einen Ausbau der Grundrente starkmachen. Das wäre zielgenau und vergleichsweise kostengünstig. Der nunmehr von der Regierung eingeschlagene Weg ist mit Sicherheit ein Irrweg, bei dem sich nur die Frage stellt, wer und wann den Mut besitzt, den Fehler einzuräumen und die Umkehr einzuläuten.

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