Steuern: Klingbeils Balanceakt zwischen SPD-Idealen und Finanzzwängen
Düsseldorf. Lars Klingbeil wäre nicht SPD-Vorsitzender, wenn er nicht die Klaviatur beherrschen würde, deren Klang viele sozialdemokratische Herzen höherschlagen lässt. So kokettierte er im ZDF-Sommerinterview mit Steuererhöhungen für Reiche zur Schließung der beachtlichen Lücken im Bundeshaushalt. „Da wird keine Option vom Tisch genommen“, sagte er.
„Ich finde, es ist etwas, wo sich gerade Menschen mit hohen Einkommen, hohen Vermögen auch fragen müssen: ,Welchen Teil tragen wir dazu bei, dass dieses Land gerechter wird.'“
Klingbeil ist aber nicht nur Co-Vorsitzender der SPD, sondern auch Bundesfinanzminister – und in dieser Funktion zeichnet er verantwortlich für den Monatsbericht seines Hauses. In der jüngsten Ausgabe konnte man lesen, dass Deutschland 2024 mit 49,7 Prozent die dritthöchste Staatsquote seiner Nachkriegsgeschichte verzeichnete.
Diese Kennziffer setzt die Staatsausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Nur in den Jahren der Coronapandemie 2020 und 2021 lag sie noch höher. Laut Prognose des Sachverständigenrats wird die Quote in diesem Jahr auf 50,3 Prozent steigen und im kommenden Jahr auf 51 Prozent, sodass auch die Pandemie-Rekorde fallen werden.
Die oft geäußerte These vom „kaputtgesparten Staat“ wird also nicht durch Fakten gestützt: Es gab in der Vergangenheit sehr wohl umfangreiche Ausgabenprogramme – allerdings war es auch eine politische Entscheidung, weniger Mittel für Militär und Infrastruktur auszugeben und stattdessen vorrangig die Sozialausgaben zu erhöhen.
Steuerliche Belastung ist hoch
Die Einnahmeseite ist nicht das zentrale Problem. Nach der jüngsten Steuerschätzung nimmt der Fiskus in diesem Jahr Steuern in Höhe von 980 Milliarden Euro ein – etwa 11.500 Euro pro Kopf. Hinzu kommen Sozialabgaben von etwa 800 Milliarden Euro. In der Summe belaufen sich die Einnahmen aus Steuern und Abgaben auf etwa 40 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Damit rangiert die Bundesrepublik nach Angaben des Bundesfinanzministeriums (BMF) „im oberen Mittelfeld“ der 38 Staaten der internationalen Wirtschaftsentwicklungsorganisation OECD.
Steuern und Abgaben beeinflussen die Wirtschaftsdynamik eines Landes, da sie Eingang in Entscheidungen von Unternehmen und Konsumenten finden. Hohe Steuern auf Unternehmensgewinne machen Investitionen im Inland weniger lohnend und können Abwanderungen ins Ausland attraktiver machen. Hohe Steuern auf Löhne dämpfen den Arbeitseifer, weil Freizeit relativ betrachtet billiger wird und der Anreiz zur Schwarzarbeit steigt. Allgemeine Steuern auf den Verbrauch verringern die Kaufkraft und dämpfen somit den privaten Konsum.
Im BMF-Monatsbericht ist auch zu lesen, dass die Steuern auf Gewinne von Kapitalgesellschaften mit 30,06 Prozent „in Deutschland im internationalen Vergleich hoch“ sind. Lediglich in Japan und Malta sei die tarifliche Unternehmensteuerbelastung höher. Die Mehrheit der OECD-Staaten besteuere Gewinne von Kapitalgesellschaften mit weniger als 25 Prozent. Größere Industrienationen wie Frankreich, Kanada, die USA oder Großbritannien erheben Unternehmensteuersätze zwischen 25 und 27 Prozent.
Ein Blick auf die Gesamtbelastung, also auf Unternehmensebene sowie bei den Anteilseignern, zeigt, dass Gewinne in Deutschland mit 48,5 Prozent besteuert werden. Das BMF kommentiert dies mit den Worten: „Auch hier liegt Deutschland hinter Dänemark, dem Vereinigten Königreich, der Schweiz und den Niederlanden im oberen Bereich.“
Im internationalen Vergleich unattraktiv
Unstrittig ist, dass die Höhe der Unternehmensteuern im globalen Standortwettbewerb eine gewichtige Rolle spielt. Denn privatwirtschaftliche Investitionen werden oft dort getätigt, wo die höchste Nach-Steuer-Rendite zu erwarten ist. Dies war zuletzt immer seltener in Deutschland. Und die wenigen Großinvestitionen ausländischer Konzerne, die es in der jüngsten Vergangenheit gab, wurden durchweg mit hohen staatlichen Subventionen erkauft.
Nicht besser steht der Steuerstandort Deutschland da, wenn man die Belastung von Arbeitseinkommen analysiert. Mit einem Steuer- und Abgabenkeil – also der Differenz zwischen Arbeitskosten und Nettolohn – von 47,9 Prozent für Alleinstehende mit Durchschnittslohn rangiert Deutschland auf dem vorletzten Platz vor Belgien. Nur wenig günstiger ist dieser Befund bei der Belastung von Familien mit Kindern.
Angesichts der hohen Abgabenlasten ziehen die Experten des BMF ein bemerkenswertes Fazit: „Deutschland verfügt insgesamt über ein Steuer- und Abgabensystem, das in der Lage ist, ein hohes Niveau an öffentlichen Leistungen zu finanzieren.“ Dem Bundesfinanzminister ist dieser Befund bei der Vorbereitung seines Sommerinterviews offensichtlich entgangen.
Allein die Tatsache, dass für den Staat ausreichend hohe Einnahmen generiert werden, sagt freilich noch nichts über Effizienz und Wachstumsfreundlichkeit eines Abgabensystems aus.
Sparen ist kein Selbstzweck
Wie die internationalen Vergleiche zeigen, werden in Deutschland Einkommen sehr hoch besteuert, während der private Konsum mit einem Mehrwertsteuer-Regelsatz von 19 und einem reduzierten Satz von sieben Prozent eher moderat belastet wird. Die meisten anderen EU-Staaten besteuern den Verbrauch deutlich stärker: Im Mittel liegt der Regelsatz bei 22 Prozent, Ungarn erhebt gar 27 Prozent Mehrwertsteuer. Niedriger ist diese Steuer in der EU lediglich in Luxemburg und Malta.
Der ökonomische Vorteil einer stärkeren Konsumorientierung des Steuersystems besteht darin, dass Verbrauchssteuern das Wirtschaftswachstum vergleichsweise wenig dämpfen, während hohe Steuern auf Einkommen die Anreize, zu investieren und zu arbeiten, mindern – und damit die Wachstumsdynamik bremsen.
Nachteil der Mehrwertsteuer ist, dass sie regressiv wirkt. Das Argument: Geringverdiener verwenden durchweg einen höheren Anteil ihres Einkommens für Konsumzwecke, sodass sie tendenziell stärker belastet werden als Gutverdiener, deren Sparquoten höher sind. Übersehen wird bei dieser Argumentation freilich, dass Sparen kein Selbstzweck ist, sondern oft dem späteren Konsum dient – und sei es dem der Erben.
Um diesem Regressionsargument zu begegnen, hat die Mehrwertsteuer soziale Komponenten: Wohnungsmieten sind steuerbefreit, und für zahlreiche Alltagsgüter gilt ein reduzierter Steuersatz.
Es braucht eine neue Initialzündung
Die letzte Erhöhung der Mehrwertsteuer in Deutschland liegt nun schon 18 Jahre zurück – sie wurde von einer Großen Koalition mit einem sozialdemokratischen Finanzminister umgesetzt. Faktisch war diese Erhöhung um drei Prozentpunkte die verspätete Gegenfinanzierung der Einkommen- und Unternehmensteuerreform, die die rot-grüne Regierung zu Beginn dieses Jahrhunderts umgesetzt hatte, der letzten großen Steuerreform in Deutschland.
Womöglich könnte solch eine große Steuerreform in Kombination mit einem Rebrush unseres Sozialstaats heute eine ähnliche Initialzündung auslösen. Bekanntlich wurde Deutschland damals vom „kranken Mann“ zum „Wachstumsmotor“ Europas. Die Ähnlichkeiten zu heute sind frappierend.
Erstpublikation: 28.08.2025, 13:03 Uhr.