Contra: SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf zieht nicht zurück – das ist gut so

Es ist ein Grundsatz unseres Rechtsstaats: „Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen“, so steht es im Grundgesetz.
Doch angesichts der gescheiterten Wahl von drei Verfassungsrichtern im Bundestag steht dieses Prinzip plötzlich infrage. Der Ton in der Debatte um die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zeigt: Es geht vielen weniger um Rechtsstaatlichkeit als um einen Kulturkampf.
Aus der renommierten Professorin Brosius-Gersdorf wurde innerhalb weniger Tage eine „linke Aktivistin“. Diese Diskreditierung schadet dem Ansehen des Bundesverfassungsgerichts.
Obwohl sich die Koalitionsspitzen schon verständigt hatten, wurde die Wahl für Karlsruhe am Freitag kurzfristig abgesetzt. Der Druck gegen Brosius-Gersdorf in der Union war zu groß, die Fraktionsführung konnte ihre Unterstützung nicht garantieren. Kurz vor der Abstimmung tauchten unbestätigte Plagiatsvorwürfe auf.
Aber Brosius-Gersdorf gibt nicht nach, zieht nicht zurück – und das ist gut so. Viele ihrer Äußerungen, insbesondere zur Abtreibungsfrage, wurden stark verkürzt und verzerrt wiedergegeben. Die praktischen Unterschiede zu geltendem Recht sind weit geringer, als es manche Debattenbeiträge suggerieren.
Die Behauptung, Brosius-Gersdorf fordere eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt, ist schlicht falsch. Auf Basis des Lebensschutzes entwickelt sie ein abgestuftes Konzept, das sich weitgehend mit der aktuellen Rechtslage deckt: Spätabtreibungen wären generell rechtswidrig und strafbar; Frühabtreibungen rechtmäßig und straffrei – derzeit sind sie rechtswidrig, aber nach Beratung straffrei. Für die Zwischenphase hält sie beide Varianten für denkbar und ließe so dem Gesetzgeber größeren verfassungsrechtlichen Spielraum.
Auch ihre Haltung zum AfD-Verbotsverfahren wird verzerrt dargestellt. Sie befürwortet die Einleitung eines solchen Verfahrens, „wenn genug Material vorliegt“. Die SPD hat auf ihrem Parteitag eine solche Prüfung ebenfalls beschlossen – noch gilt Lars Klingbeil in Unionskreisen nicht als „linker Aktivist“.
Mal wieder wird eine Frau demontiert
Natürlich ist es das Recht von Abgeordneten, eine Kandidatin abzulehnen. Doch wenn die Ablehnung auf fragwürdigen Quellen aus dem neurechten Medienspektrum beruht, sollte man bereit sein, die eigene Position zu hinterfragen. Fachlich gilt Brosius-Gersdorf als tadellos.
Für Kritik wäre der Richterwahlausschuss der richtige Ort gewesen. Der hat die Kandidatin jedoch durchgewunken – auch mit Stimmen der Union.
Im Fall Brosius-Gersdorf wird der Versuch unternommen, eine Frau zu demontieren. Mal wieder. Dabei gibt es nur einen Gewinner: die AfD, die das Bundesverfassungsgericht seit jeher diskreditiert.
Dass sich eine demokratische Partei wie die Union von dieser Kampagne instrumentalisieren lässt, ist bedauerlich, ja erschütternd. Jetzt liegt es in der Verantwortung der Union, weiteren Schaden vom höchsten deutschen Gericht abzuwenden.
