Der Chefökonom – Kommentar: Wir müssen Ökonomie und Ökologie versöhnen


Infolge des weitgehenden Verbrenner-Aus werden die Bürger auf vergleichsweise teurere E-Autos umsteigen müssen.
Der durch die Verbrennung fossiler Energieträger ermöglichte Wachstumsschub hat in den zurückliegenden zwei Jahrhunderten zu einem Wohlstandszuwachs geführt, wie es ihn zuvor in der Menschheitsgeschichte nicht gegeben hat. Doch nun bedroht der dabei verursachte Klimawandel nicht nur diesen Wohlstand. Er ist auch zu einer Gefahr für die Lebensgrundlage vieler Menschen geworden.
Das unumgängliche Gegensteuern ist allerdings ebenfalls mit hohen Kosten verbunden. So muss die Energieerzeugung auf Erneuerbare umgestellt werden, die Energienetze müssen an dezentral erzeugten Strom angepasst und viele Produktionsprozesse müssen verändert werden – weg von Öl, Gas und Kohle. Zudem gilt es, bereits ausgestoßenes Kohlendioxid der Atmosphäre zu entziehen, durch Aufforstung oder Abscheidung und Speicherung im Untergrund.
Da die Erderwärmung ein globales Problem ist, ist es irrelevant, an welchem Ort CO2 eingespart wird oder zu welchem Zweck fossile Brennstoffe eingesetzt wurden. Jede Tonne CO2 ist gleich schädlich, unabhängig davon, ob sie aus dem Auspuff von SUVs kommt, bei einer Brandrodung im Amazonasgebiet freigesetzt wird, aus indischen oder chinesischen Kohlekraftwerken stammt oder von deutschen Gas- oder Ölheizungen ausgestoßen wird.
Die Erderwärmung durch Dekarbonisierung zu begrenzen, ist die Jahrhundertaufgabe der Menschheit. Um die Wohlstandsverluste so gering wie möglich zu halten, gilt es, dieses Ziel zu möglichst geringen Kosten zu erreichen. Und an dieser Stelle kommen die Ökonomen ins Spiel, die zwar keine Experten für Klima- oder Verteilungsfragen sind, wohl aber für Effizienzprobleme.
Ein allwissender und wohlmeinender Weltdiktator würde dort CO2-Emissionen vermeiden, wo es am kostengünstigsten möglich wäre. Da es solch einen Diktator allenfalls in Einführungslehrbüchern gibt, haben Ökonomen ein Instrument entwickelt, das in der Realität zu effizienten Lösungen führt: den Handel mit Klimazertifikaten.
Umfassender CO2-Handel würde zu starken Preissprüngen führen

Prof. Bert Rürup ist Präsident des Handelsblatt Research Institute (HRI) und Chefökonom des Handelsblatts. Er war viele Jahre Mitglied und Vorsitzender des Sachverständigenrats sowie Berater mehrerer Bundesregierungen und ausländischer Regierungen. Mehr zu seiner Arbeit und seinem Team unter research.handelsblatt.com.
Wer CO2 emittiert, braucht für jede Tonne eine Erlaubnis. Der Auktionator, also die Regierung, legt die jährlich zulässige Höchstmenge an Emissionen fest. Auf dem Markt bieten jene Emittenten mit relativ geringen Vermeidungskosten diese Zertifikate an. CO2-Emittenten mit hohen Vermeidungskosten kaufen die Zertifikate, wenn dies für sie günstiger ist, als die Produktion einzustellen. Eine durch die Zertifikatmenge vorgegebene CO2-Minderung wird so zu den geringsten Kosten erreicht.
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Weniger kompetent sind Ökonomen darin, Verteilungsfragen zu entscheiden. Der Grund: Es gibt kein allgemeingültiges Kriterium für Fairness oder Gerechtigkeit. Effizienz- und Verteilungsprobleme sollten daher getrennt betrachtet und gelöst werden.
Ein sofortiger umfassender CO2-Handel hätte zur Folge, dass sich etwa das Autofahren mit einem Verbrenner oder das Heizen mit Öl oder Gas deutlich verteuern würden. Den sozialen Sprengstoff solcher Preissprünge musste die Politik im vergangenen Jahr erfahren. Mit breit gestreuten Milliardenhilfen versuchten die Regierungen Europas, die Bürger vor den stark gestiegenen Energiepreisen abzuschirmen. Das war sozialpolitisch richtig. Dem Ziel, möglichst viel Energie – und damit CO2 – einzusparen, dienten diese Hilfen aber nicht.
Eine dem Klimaschutz verpflichtete Politik steht daher vor der Herausforderung, Energie deutlich verteuern zu müssen – aber so, dass die Bürger die Möglichkeit haben, sich darauf einzustellen. Daher ist die EU bemüht, einen „Emissionshandel light“ für Verkehr und Gebäude einführen.
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Hier ist der Preis zunächst auf 45 Euro je Tonne CO2 gedeckelt – während der Preis für sonstige CO2-Emissionen derzeit bei etwa 95 Euro liegt. Dies zeigt, dass die Politik darin geschult ist, ehrgeizige Klimaziele zu formulieren, aber zurückhaltender ist, die Bürger mit den konkreten Folgen der Umsetzung zu konfrontieren.
Daher kommen nun Verbote ins Spiel. Statt die Nutzung von Autos mit Verbrennungsmotoren deutlich zu verteuern, sollen Neuzulassungen solcher Fahrzeuge ab 2035 weitgehend verboten werden und bereits ab 2024 keine neuen Öl- und Gasheizungen mehr eingebaut werden.

Die Bundesregierung hat sich auf einen Gesetzentwurf geeinigt, nach dem ab 2024 jede neu eingebaute Heizung mit 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden soll.
Das ist ebenfalls mit hohen Kosten verbunden. Eine Wärmepumpe kostet das Mehrfache einer konventionellen Heizung, und ein E-Auto ist merklich teurer als vergleichbare Verbrenner. Da Wohnen ein Grundbedürfnis und die Fahrt zur Arbeit oft die Basis ist, um ein Einkommen erzielen zu können, ist ein – vom CO2-Ausstoß unabhängiger – gezielter sozialer Ausgleich erforderlich.
Teurere Energie bringt kein neues Wirtschaftswunder
Hoffnungen, dass Strom durch grüne Technologien rasch billiger wird, sind wenig begründet. Gegenwärtig stammen nur 17 Prozent des gesamten Energiebedarfs Deutschlands aus regenerativen Quellen. Um nur auf 50 Prozent zu kommen, müssten die bestehenden Kapazitäten verdreifacht werden.
Selbst dann würde der Strompreis angesichts des Marktdesigns dem Gaspreis folgen, der wegen des Emissionshandels im Trend steigen dürfte. Ungeachtet dessen versucht Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) glaubhaft zu machen, die Bürger könnten Geld sparen, wenn sie ihre intakten und effizienten Gas- oder Ölheizungen nunmehr gegen Wärmepumpen eintauschten.
Vollends irritierend ist es, in den – in der Sache alternativlosen – Klimaschutzbemühungen den Startschuss für ein Wirtschaftswunder 2.0 zu sehen, wie dies Kanzler Olaf Scholz (SPD) jüngst formulierte. Zur Erinnerung: Das Wirtschaftswunder der 1950er- und 60er-Jahre basierte im Wesentlichen darauf, dass im Nachkriegsdeutschland neue Produktionskapazitäten errichtet wurden, in denen mit billiger Energie aus Nahost Güter erzeugt und in die ganze Welt exportiert wurden.
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Dieses Wirtschaftswunder endete, als im Zuge des Jom-Kippur-Kriegs 1973 die Versorgung mit preiswertem Öl versiegte. Warum heute die Verteuerung von fossiler Energie ein neues Wirtschaftswunder auslösen sollte, bleibt ein von der Regierung gehütetes Geheimnis. Bestehende Kraftwerke abzuschalten und durch klimaneutrale Anlagen oder Importe zu ersetzen, kann den materiellen Wohlstand genauso wenig steigern wie eine Beseitigung von Katastrophenschäden.
Die zentrale Frage muss deshalb lauten: Wie kann trotz der notwendigen Dekarbonisierung reales Wachstum gewährleistet werden? Ohne Wirtschaftswachstum wird es nämlich nicht möglich sein, gleichzeitig den Umbau der Wirtschaft sowie die finanziellen Folgen des Klimawandels und der Alterung der Gesellschaft ohne gravierende Wohlstandsverluste zu bewältigen.


Eine Garantie, dass findige, nach Gewinn strebende Unternehmer Lösungen entwickeln, die helfen, den Klimawandel zu stoppen, gibt es nicht. Doch die Erfindung des Smartphones vor 15 Jahren zeigt, dass es solch bahnbrechende Innovationen geben kann – und dass diese meist in einem wachstumsfreundlichen Umfeld entstehen. Nur, je detaillierter Gesetze und Verordnungen bestimmte Technologien vorschreiben, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Entwicklung neuer Technologien behindert, wenn nicht gar verhindert wird.
Wachstumsstimulierende Schübe kann die Politik nicht erzwingen. Allerdings wäre die Regierung gut beraten, innovations- und wachstumsfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Nur eine Kombination aus sich durch den Emissionshandel verteuernder Energie und Technologieoffenheit kann Innovationen beflügeln.
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