1. Startseite
  2. Meinung
  3. Kommentare
  4. Warum die OSZE unverzichtbar ist

GeoeconomicsWarum die OSZE so unverzichtbar ist

Die Wiener Organisation ermöglicht in der Kriegssituation in der Ukraine einen bedeutsamen diplomatischen Brückenschlag.Wolfgang Ischinger 02.06.2023 - 11:42 Uhr
Artikel anhören

Wolfgang Ischinger ist ehemaliger Botschafter in Washington und war Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz.

Foto: Klawe Rzezcy

Auch Joschka Fischer sagte dieser Tage, dass wir das jahrzehntealte Mantra „Europäische Sicherheit gibt es nur mit Russland“ neuerdings ersetzen müssen durch „Sicherheit vor Russland„. Das ist in der Tat die von der Zeitenwende erzwungene 180-Grad-Umkehr deutscher, europäischer und transatlantischer Sicherheitspolitik.

Aber bedeutet „Sicherheit vor Russland“ Totalabschottung gegenüber Moskau? Folgt auf die gegenseitige fortschreitende Reduzierung von Botschaftspersonal etwa Funkstille? Oder eine neue Mauer, 1000 Kilometer östlich von der 1989 überwundenen? Ein kurzer Blick zurück zeigt, dass selbst in den schlimmsten Jahren des Kalten Kriegs Gesprächskanäle offen gehalten und genutzt wurden.

Namen wie Egon Bahr oder Henry Kissinger, der gerade seinen 100. Geburtstag feierte, stehen für stille Diplomatie und Dialog. Nur so konnten mitten im Kalten Krieg Vereinbarungen wie das Viermächteabkommen über Berlin, der deutsch-deutsche Vertrag von 1972 oder amerikanisch-sowjetische Rüstungskontrollvereinbarungen ausgehandelt werden.

Diplomatische Brücke

Mit der KSZE-Schlussakte von Helsinki vereinbarten Ost und West dann 1975 Grundprinzipien und schufen den Rahmen für vertrauensbildende Maßnahmen. 15 Jahre später, Ende 1990, wenige Wochen nach dem Vollzug der Wiedervereinigung, kam es, von Deutschland massiv unterstützt, zur „Charta von Paris“ und zur Gründung der OSZE, der mit kooperativer Sicherheit beauftragten euro-atlantischen Organisation mit Sitz in Wien.

Erster Generalsekretär war damals ein Deutscher, heute wird die Organisation von Helga Schmid geleitet, einer deutschen Spitzendiplomatin. Die OSZE ermöglicht in der aktuellen Kriegssituation einen bedeutsamen, weil einzigartigen diplomatischen Brückenschlag: Jede Woche kommen in Wien die Botschafter von 57 Staaten zusammen, und zwar unter Einschluss von Russland und Ukraine ebenso wie von Kasachstan und Georgien, aber auch von den USA und Kanada.

Die deutsche Spitzendiplomatin ist Generalsekretärin der OSZE.

Foto: imago images/ITAR-TASS

Schon deshalb verdient die OSZE viel mehr politische Aufmerksamkeit. Sie bietet einen Nukleus für mögliche künftige Verhandlungsansätze, sei es in der Frage der Modalitäten erneuter russisch-ukrainischer Waffenstillstandsgespräche oder sei es gar in der Frage des Formats etwaiger Friedensverhandlungen.

>> Lesen Sie hier: Keine Ukraine-Friedenslösung ohne Washington – und Peking?

Vergessen wir nicht: Es war die Special Monitoring Mission der OSZE, die seit Frühjahr 2014 bis Februar 2022 mit 1300 Beobachtern den Waffenstillstand in der Ostukraine überwacht und zahllose lokale Waffenruhen ausgehandelt hat. Eine undankbare, aber überaus wichtige Aufgabe!

Instrument für mehr Frieden

Im Rahmen der OSZE entstanden seit 1990 bedeutsame Rüstungskontrollvereinbarungen und vertrauensbildende Maßnahmen, die leider aktuell suspendiert beziehungsweise der Kriegskonfrontation zum Opfer gefallen sind. Aber die fachliche Expertise ist in Wien weiterhin vorhanden und kann hoffentlich in der Zukunft wieder genutzt werden.

Daneben ist die OSZE inzwischen neben zahlreichen anderen Themen ein wichtiger Akteur bei der Bekämpfung grenzüberschreitender organisierter Kriminalität geworden, insbesondere beim Thema Menschenhandel. Nutzen wir also die OSZE! Sie ist genauso alt wie die wiedervereinigte Bundesrepublik Deutschland und ermöglicht es, Gesprächskanäle aufrechtzuerhalten – auch in der aktuellen Kriegssituation.

Dialog braucht Institutionen

Wenn wir Missverständnisse oder Fehlinformationen ausschließen wollen, die zu unbeabsichtigten Eskalationen führen könnten, dann sollten wir die OSZE nach Kräften nutzen und stärken. Wer an die langfristigen Herausforderungen einer künftigen stabilen und nachhaltigeren europäischen Sicherheitsarchitektur denkt, der wird in der Tat Sicherheit vor Russland anstreben müssen.

>> Lesen Sie hier: Früherer OSZE-Generalsekretär: „Putin hat seine militärischen Ziele eindeutig noch nicht erreicht“

Verwandte Themen Russland Ukraine NATO Deutschland

Abschreckung allein wird freilich kaum Stabilität schaffen. Man kann dabei die Harmel-Doktrin der Nato aus dem Kalten Krieg als Beispiel anführen: so viel Verteidigung und Abschreckung wie nötig und so viel Dialog und Kooperation wie möglich. Für eine solche Doppelstrategie bedarf es aber einer tragfähigen institutionellen Absicherung.

Deshalb wird die OSZE neben Nato und EU ein wichtiger Baustein jeder künftigen euro-atlantischen Sicherheitsordnung sein. Sie darf gerade in der aktuellen Konfliktlage nicht marginalisiert werden.

Mehr: Kornkammer Europas in Gefahr: „Viele Landwirte kämpfen ums Überleben“

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt