Geoeconomics: Keine Ukraine-Friedenslösung ohne Washington – und Peking?


Wolfgang Ischinger ist ehemaliger Botschafter in Washington und war Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz.
Die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ hatte sich in der vergangenen Woche in einem großen Artikel ausführlich möglichen Ukraine-Friedensverhandlungen gewidmet. Dabei durfte auch der oft bemühte Churchill-Selenski–Vergleich nicht fehlen. Wie der britische Premier sich tapfer der deutschen Aggression während des Zweiten Weltkriegs erwehrte, so gebe auch der ukrainische Präsident unter keinen Umständen auf.
Der Blick auf die USA allerdings fehlte in dem Stück. Aus russischer Sicht ist aber Washington der eigentliche Gegner, und man denkt in Moskau gerne, dass die russischen Truppen vermutlich Kiew schon lange erobert hätten, wenn die USA die ukrainische Armee nicht seit Längerem ertüchtigt hätten.
US-Präsident Joe Biden hat damit den Fehler von Barack Obama, seinem demokratischen Vorgänger, korrigiert, der 2014 meinte, die Ukrainekrise getrost den Europäern – sprich der damaligen Kanzlerin Angela Merkel – überlassen zu können. Heute geht in der Ukraine militärisch und strategisch nichts ohne die USA.
Moskau setzt auf Trump
Aber in Moskau setzt man – nicht ganz unrealistisch – darauf, dass der gegenwärtig noch anhaltende amerikanische Enthusiasmus für die Ukraine im US-Präsidentschaftswahlkampf 2024 stark nachlassen dürfte – und dass dann ja vielleicht sogar ein Donald Trump, wie angekündigt, eine Wende in der US-Ukrainepolitik einleiten könnte.
Nicht nur deshalb ist der Ausgang der US-Wahlen im November 2024 von größter weltpolitischer Bedeutung. Dort könnte sich der Fortgang der Zeitenwende und damit auch die Zukunft Europas entscheiden!

Die USA haben großen Einfluss auf die Ukraine.
Und deshalb stellt sich für uns Europäer heute eine strategische Frage mit einer Wucht, wie wir sie bei US-Wahlen in den letzten 75 Jahren noch nie kannten: Gibt es etwas, was wir tun sollten, um in Washington die Wahl eines Isolationisten zu verhindern und die Wahl eines Transatlantikers zu begünstigen? Zunächst gilt es, die Zweiprozentforderung für die Militärausgaben schnellstmöglich umzusetzen und bitte Aussagen wie die des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die US-Sorgen um Taiwan beträfen Europa nicht, zu vermeiden.
Deutschland sollte chinesischen Besuch im Juni aufwerten
Europas Überlebensinteresse zwingt uns, in den USA unmissverständlich dem Eindruck entgegenzutreten, wir seien weiterhin sicherheitspolitisch nichts anderes als Trittbrettfahrer zulasten des US-Steuerzahlers.
Taktisches Ziel muss es vielmehr sein, den US-Wähler davon zu überzeugen, dass wir Europäer Amerikas beste und verlässlichste Partner sind, die auch dringend gebraucht werden – beim Thema Russland, beim Klima, bei Taiwan. Womit wir bei China wären.
In gut sechs Wochen, in der zweiten Junihälfte, stehen deutsch-chinesische Regierungskonsultationen an. Angesichts der vielfältigen Spannungen und Konfliktthemen wäre es ganz falsch, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz diese Beratungen protokollarisch herabstufen würde, wie das von einigen vorgeschlagen wird.
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Im Gegenteil: Die Bundesregierung sollte diesen chinesischen Besuch eher aufwerten, insbesondere durch eine Einladung an die EU-Kommission und zum Beispiel an Frankreich, also an Ursula von der Leyen und Macron, an den Beratungen teilzunehmen. Das wäre ein bedeutsames strategisches Signal in Richtung einer einheitlichen europäischen Chinastrategie.
Gipfel für eine Ukraine-Arbeitsgruppe mit China und Europa nutzen
Was wollen wir denn von China? Außer mehr Marktöffnung vor allem zweierlei: Dass es erstens zu keiner militärischen Eskalation gegen Taiwan kommt. Und dass China, zweitens, nach dem offenbar ganz gut verlaufenen kürzlichen Telefonat zwischen Staatspräsident Xi Jinping und Wolodimir Selenski den Druck auf Moskau in Richtung Truppenrückzug vielleicht doch mitträgt.
Wie wäre es, wenn bei dem Gipfel im Juni eine deutsch-chinesische – oder noch besser eine europäisch-chinesische – Arbeitsgruppe zum Thema Ukraine eingerichtet würde? Einen Sondergesandten hierfür will Peking ja ohnehin jetzt ernennen. Diese Gelegenheit sollten wir nutzen und ihm ein europäisches Pendant gegenüberstellen.
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Es darf übrigens unterstellt werden, dass China nur darauf wartet, in der Ukraine investieren zu können, um von dort aus etwa den europäischen Automobilmarkt besser aufmischen zu können.






Und wenn es gelingen sollte, die USA wie China aktiv in die Ukraine-Kriegsbeendigungsdiplomatie einzubinden, könnte das vielleicht sogar positive Ausstrahlungen auf die amerikanisch-chinesischen Beziehungen und damit auch auf das Krisenmanagement in der Taiwanfrage entfalten.
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