Kommentar: Baerbock sollte die Chance ergreifen und Kanzlerkandidatin werden

Steht die Grünen-Parteichefin vor dem nächsten Karriereschritt?
Während die Union daran scheitert, die Frage der Kanzlerkandidatur ohne Blessuren zu klären, führen ausgerechnet die Grünen vor, wie es gehen kann. Auch die Ökopartei war lange geradezu süchtig nach Streitereien und Querelen. Realos gegen Fundis, Fundis gegen Realos, Piesackereien in der Doppelspitze: All das gehört weitestgehend der Vergangenheit an, seit Annalena Baerbock und Robert Habeck die Partei als Vorsitzende führen und sie stabil bei 20 Prozent in den Umfragen halten. Aussichten derzeit: eher steigend.
An diesem Montag werden sie erklären, wer von ihnen beiden als Kanzlerkandidat antritt. Sie, die faktensichere 40-jährige gebürtige Hannoveranerin, die seit Langem in Brandenburg lebt, oder er, der 51-jährige Norddeutsche mit Regierungserfahrung in Schleswig-Holstein und dem Hang, sich in Aussehen, Auftritt und Sprache bewusst vom alltäglichen Politikbetrieb ein Stück weit zu distanzieren.
Geeignet sind gewiss beide – und doch sollte Annalena Baerbock die Chance ergreifen, die Spitzenkandidatur zu übernehmen. Wer diesen Anspruch nur darauf reduziert, dass sie eine Frau ist und die Partei endgültig beweisen könnte, wie ernst ihr wirkliche Gleichberechtigung ist, wird Baerbock jedoch nicht gerecht.
Tatsächlich bringt sie jede Menge inhaltliche Kompetenz mit und vor allem: die intellektuellen Kapazitäten, das auszubauen. Geborene Kanzler sind auch die Unions-Streithähne Armin Laschet und Markus Söder nicht.
Und Eigenschaften, die für eine solche Kandidatur benötigt werden wie eine gewisse Härte, Belastbarkeit, Durchsetzungskraft, Verhandlungsvermögen und -bereitschaft, all diese kann man Baerbock ohne Weiteres zuschreiben. Dass sie als Frau einen Kontrapunkt im Wettbewerb mit der Männerriege bei Union, SPD und FDP setzen würde, ist lediglich ein zusätzliches Argument.
Vorsicht: Die Grünen taugen vielen als Feindbild


Am Ende profitiert die Partei davon, dass Baerbock und Habeck auch künftig partnerschaftlich agieren und sich nicht gegenseitig in die Parade fahren. Unter der Voraussetzung, dass das so bleibt und sie keine großen Fehler machen, können sie fast genüsslich dabei zusehen, wie die Union sich zerlegt.
Doch Obacht: So angesagt die Grünen bei vielen Menschen gerade sind, so verhasst sind sie bei anderen. Noch immer taugen die Grünen gern als Feindbild, als Partei, die den Industriestaat an die Wand fahren will. Die verbalen Attacken auf die Partei werden in den nächsten Monaten an Schärfe zunehmen.
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