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KommentarDie Krise bei Bosch und Co wird Konjunkturprogramm für die AfD

Im Südwesten verschwinden Industriearbeitsplätze im Rekordtempo. Die Politik findet kein Gegenmittel – und treibt der AfD eine neue Wählerschaft zu.Sven Prange 29.09.2025 - 15:05 Uhr
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ZF-Beschäftigte protestieren gegen die Unternehmensführung mit einem Marsch durch Friedrichshafen: Der Frust wächst. Foto: ZF-Betriebsrat

Der westdeutsche Wahlkreis, in dem die AfD bei der Bundestagswahl ihr bestes Ergebnis erzielte, liegt in einer der wohlhabendsten Gegenden der Republik. Tuttlingen-Rottweil hat beste Perspektiven, viele Jobs und überdurchschnittlichen Wohlstand. Mehr als 27 Prozent der Erststimmen holte der AfD-Kandidat hier.

Nun kann man Menschen nicht in den Kopf schauen, wie sie ihre Wahlentscheidung treffen. Wer sich aber mit der Gegend beschäftigt, lernt: Bei vielen Autozulieferern, die dort sitzen, prägen seit fast drei Jahren Kurzarbeit, Entlassungen oder drohende Entlassungen den Alltag. Das macht etwas mit den Menschen, auch wenn sie objektiv wohlhabend sind. Dieses Beispiel ist relevant, weil sich das Phänomen auf den gesamten Südwesten der Bundesrepublik auszuweiten droht.

Ende vergangener Woche waren es 13.000 zusätzliche Stellen, die zu den 9000 ohnehin schon angekündigten bei Bosch wegfallen sollen. Über den Sommer waren es 14.000 beim am Bodensee ansässigen Zulieferer-Konzern ZF, die in Gefahr sind, 1200 bei der Porsche-Batteriezellen-Tochter Cellforce, die schon entfallen sind, und weitere mindestens 1900, die bis 2029 im Gesamtkonzern entfallen sollen. Im Südwesten verschwinden gerade Industriearbeitsplätze im Rekordtempo.

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Nun gibt es dafür viele Gründe: Managementfehler, die globalen Handelsprobleme. Aber sie fallen eben auch in eine Zeit, in der die Rahmenbedingungen am Standort diese Unternehmen nicht gerade beflügeln – damit kommt die Politik ins Spiel.

Und man hat den Eindruck: Sie erkennt nicht, welchen Frust diese drohende ökonomische Unsicherheit in der bisherigen Mittelschicht erzeugt. Wundert sich, dass trotz Grenzkontrollen und beständiger Warnung vor der Demokratiegefährdung durch die AfD deren Zustimmungswerte steigen statt sinken.

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Dabei ist längst hinlänglich belegt, wie anfällig Menschen für politischen Extremismus sind, wenn wirtschaftliche Transformation ihre Lebensmodelle bedroht. Auch wenn das objektiv betrachtet natürlich keine gute Idee ist und nachweislich auch ökonomisch nichts verbessert.

Zuletzt hat das IW Köln diesen Zusammenhang in einer Studie nachgewiesen. Nur: Bisher dachte man, diese Transformationsregionen lägen in den bekannten ökonomischen Problemzentren des Landes. Und Transformationsverlierer waren meist Menschen, die wenig oder das Falsche gelernt hatten.

Aber die sich gerade durch den Südwesten fressende Krise liegt anders. Die genannten Stellenabbauprogramme haben eine neue Qualität: Nun geht es um Arbeitsplätze, die eigentlich Transformationsgewinner hätten sein können. Und diese Mischung aus dem individuellen Empfinden, sich optimal auf die Herausforderungen der Zeit vorbereitet zu haben, und nun dennoch Angst vor der Zukunft haben zu müssen, schürt Frust.

Man kann jetzt schon beobachten, wie dieser sich im Auto-Epizentrum Schwaben in Zustimmung für die AfD wandelt, wie die rechtsextreme Partei dort überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt, je nach Gegend zweit- oder drittstärkste Kraft ist. Wie nach den Arbeitern auch die Facharbeiter von der politischen Mitte an den extremen Rand zu wandern drohen.

Wenn die Demokratie-Dividende sinkt

Die Wucht dieser Entwicklung ist auch deswegen nicht zu unterschätzen, weil hier etwas Grundsätzliches kippt: die Zuversicht sehr vieler Menschen aus der gehobenen Mittelschicht, dass dieses Land ihnen etwas bringt, wenn man sich bildet, regelmäßig arbeitet und sich an die Regeln hält. Wer einmal seinen gut dotierten Job bei Bosch, Porsche oder ZF verloren hat, der steht aller Wahrscheinlichkeit nach nicht vor dem Nichts, aber der wird materiell kürzertreten müssen, seine individuelle Demokratie-Dividende stimmt nicht mehr.

Nun ist es natürlich kein Menschenrecht, als Industriearbeiter jährlich Zehntausende Euro mehr zu verdienen als Menschen in einem Dienstleistungsberuf. Aber der Verdacht liegt nahe, dass die betroffenen Menschen das nicht so sehen. Und diese Perspektive ist aus menschlicher Sicht verständlich.

Es ist nicht leicht, darauf unmittelbar zu reagieren. Vermutlich wäre es aber hilfreich, man würde sich der Industrie mit einer Politik widmen, die nicht nahezu jährlich wie in der Antriebsfrage die Prämissen ändert. Oder man würde wirtschaftliche Bedingungen schaffen, unter denen auch Industriearbeitsplätze wieder zukunftsfähig erscheinen.

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Viele Forschende, die sich mit dem Aufstieg von Populisten beschäftigen, haben zudem darauf hingewiesen: Man wird deren Aufstieg nur bremsen, wenn man für all die Transformationsverlierer der Gegenwart das große Bild malt, wohin dieses Land eigentlich will.

Das Tragische ist: Mit dem Sondervermögen für Infrastruktur hat die politische Mitte des Landes sich parteiübergreifend sogar das Instrument gegeben, um so ein Bild zu entwerfen. Dass dieses Instrument nun für Kleinteiliges wie die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie oder die Ausweitung der Mütterrente draufgeht, wird aber leider keinen frustrierten Industriearbeiter überzeugen.

Es gibt eben viele Möglichkeiten, die AfD immer größer zu machen. Die Frage ist nur, ob der Kanzler und seine Koalition sie wirklich alle ausprobieren wollen, bevor es ans angekündigte Kleinregieren geht. Oder ob sie die Wucht erkennen, die eine nicht bearbeitete Dauerkrise in der Kernbranche dieses Landes entfalten kann.

Verwandte Themen Industriepolitik Wirtschaftspolitik AfD ZF Bosch Porsche

Erstpublikation: 29.09.2025, 4 Uhr

Mehr: Bosch streicht weitere 13.000 Stellen in Deutschland

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