Kommentar: China entscheidet, ob Deutschlands Energiewende gelingt

Weil die chinesischen Solarhersteller immer mehr Module produzieren, spielen sie mit dem Gedanken erste Fabriken direkt in Europa zu bauen.
Foto: picture alliance / AP PhotoAuch der Wirtschaftsgeschichte ist eine gewisse Ironie nicht fremd. Beispiel Solarindustrie: Erst haben deutsche Solarkonzerne Maschinen und technisches Know-how nach China verkauft, ohne mit der Wimper zu zucken. Zehn Jahre später warnt die heimische Industrie vor einer absoluten Abhängigkeit von Fernost.
Die bittere Wahrheit: Die Wirtschaftsvertreter haben recht, die Abhängigkeit Deutschlands von China beim Thema Solar ist deutlich größer, als die Abhängigkeit von russischem Erdgas jemals war. Die Fakten: Allein im vergangenen Jahr importierte Deutschland knapp 90 Prozent seiner Solarmodule im Wert von über drei Milliarden Euro aus China.
Andere Bestandteile wie Wafer, Zellen und Silizium noch gar nicht einbezogen. Und das bei einem Produkt, das in Zukunft nach der Windenergie zur wichtigsten Stromquelle im Lande werden soll.
Ohne China keine Energiewende – so viel ist klar. Da wirkt das Gerede von Decoupling oder neuerdings Derisking wie Hohn. Es ist in vielen Bereichen längst zu spät – vor allem in der Solarwirtschaft.
Die Abhängigkeit geht sogar so weit, dass deutsche Konzerne fast schulterzuckend auf die Verwicklung chinesischer Zulieferer in Zwangsarbeiterlager in der südlichen Provinz Xinjiang reagieren. Was bleibe einem anderes übrig, heißt es bei den meisten nur bedauernd hinter vorgehaltener Hand.
Weltgrößter chinesischer Solarkonzern kündigt Fabrikpläne für Europa an
Das ist – pardon – Heuchelei. Weil Europa grüne Energien möchte, ist es in Ordnung, dass Angehörige muslimischer Minderheiten in moderner Sklaverei dafür schuften? Zumindest wird es ohne großen Widerspruch hingenommen. Die Lage ist vertrackt, keine Frage. Fast die Hälfte der weltweiten Polysilizium-Produktion, des wichtigsten Rohstoffs der Solarindustrie, stammt aus der betroffenen Region Xinjiang.
In dieser Gemengelage kündigt der weltgrößte Solarkonzern Longi aus China nun auch noch Pläne für den Bau seiner ersten Fabrik in Europa an, am liebsten in Deutschland. Was nun?
Um die Klimaziele zu erreichen, aus den fossilen Energien auszusteigen und den Umbau zu einer kohlenstofffreien Wirtschaft schnellstmöglich voranzutreiben, scheint die Antwort klar: Dafür braucht es chinesische Weltmarktführer.
Die Gegenargumente liegen ebenso deutlich auf der Hand: Statt sich mit einer eigenständigen Solarindustrie unabhängiger von China zu machen, verlagert sich das Risiko nur ins eigene Land. Von der menschenrechtlichen Situation ganz zu schweigen. Die geht auch mit Fabriken in Europa nicht weg.
Jetzt arbeiten Berlin und Brüssel aktuell an Förderprogrammen für das Comeback der europäischen Solarindustrie. Das Bundeswirtschaftsministerium will Ausschreibungen auf den Weg bringen, aber erst einmal ausloten, wer überhaupt Interesse hätte, eine Solarfabrik hierzulande zu bauen.
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Longi-Chef Li hat im Interview mit dem Handelsblatt klares Interesse signalisiert. Und er ist nicht der Einzige. Auch andere chinesische Solarhersteller sitzen über Plänen für erste Fabriken in Europa. Bei den Batteriezellenproduktionen für Elektroautos hat es ähnlich angefangen. Der chinesische Marktführer CATL hat erst vor wenigen Monaten seine milliardenschwere Gigawattfabrik in Thüringen in Betrieb genommen.
Dabei sollte Europa mittlerweile aus seinen Fehlern gelernt haben: Die Abhängigkeit von Russland war nur halb so groß wie die von China und die Auswirkungen fatal. Jetzt gibt es noch die Chance, sich für die Zukunft breiter aufzustellen.
„Derisiking“ statt „Decoupling“ ist dabei sogar der richtige Grundgedanke. Nur ersetzen Schlagwörter keine Strategien.
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Ähnlich wie bei den europäischen Wasserstoffprojekten (IPCEI, Important Project of Common European Interest) könnte die Bundesregierung zur Voraussetzung machen, dass nur Förderung bekommt, wer mit europäischen Partnern kooperiert oder, wie erst kürzlich bei den Milliardensubventionen für den Chiphersteller Intel und die geplante Fabrik in Magdeburg, eine hohe Summe an Investitionen vor Ort garantiert.
Gleichzeitig gilt es, heimische Produzenten zu fördern. Natürlich könnte man Solarmodule und ihre Wertschöpfung auch zu hundert Prozent importieren. Wenn die allerdings wie heute fast ausschließlich aus China kommen, ist das ein immenses Problem. Politisch, wirtschaftlich und menschlich.