Kommentar: Chinas Säbelrasseln macht Taiwan zum größten Risiko für die Chipversorgung

Soldaten des Landes während des Nationalfeiertags: China fordert die Wiedervereinigung, Taiwan lehnt ab. Für den Chipstandort sind das keine guten Nachrichten.
Aus Taiwan stammt jeder fünfte Chip weltweit. Das allein ist angesichts der aktuellen Spannungen mit China bereits beunruhigend. Die Insel ist aber für die Weltwirtschaft vor allem deshalb so bedeutend, weil dort die allermodernsten Halbleiter herstellt werden. Bauteile, die anderswo nicht zu bekommen sind.
Wenn Chinas Staatschef Xi Jinping also vehement die Wiedervereinigung fordert und Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen dem ebenso nachdrücklich widerspricht, dann darf das niemanden im Westen kaltlassen. Schon gar nicht, da die Führung in Peking inzwischen fast täglich Kampfflugzeuge in Richtung Taiwan schickt.
Aus dem Kampf der Worte könnte eine handfeste Auseinandersetzung werden, mit dramatischen Folgen: Zuvorderst für die Bevölkerung, aber auch für die Chipbranche des Landes. Stehen Taiwans Halbleiterwerke auch nur kurzzeitig still, würde die Industrie weltweit leiden – und damit letztlich auch die Konsumenten. Denn ohne Chips startet heute kein Flugzeug mehr, dreht sich keine Werkbank und lassen sich erst recht keine Handys herstellen.
Taiwans Dominanz bei den Halbleitern ist insbesondere mit einem Namen verbunden: TSMC. Der Konzern mit seinen rund 60.000 Beschäftigten ist der mit Abstand größte Auftragsfertiger weltweit und beliefert die meisten großen Chiphersteller der Erde. Selbst Halbleiterkonzerne wie Infineon aus München, die eigene Werke betreiben, bestellen einen Teil ihrer Ware in Hsinchu, dem Sitz von TSMC. Die Firma mit zuletzt 14,8 Milliarden Dollar Umsatz im Quartal ist technologisch eine Klasse für sich.
Mit Erdbeben und Taifunen kommt Taiwan gut klar
Taiwan hat die Chipfertigung außergewöhnlich gut im Griff. Mit Wirbelstürmen, die regelmäßig die Insel heimsuchen, ja selbst mit Erdbeben kommen die Ingenieure in der Regel klar. Ein bewaffneter Konflikt mit China aber würde Freiheit und Frieden ein Ende bereiten und die Weltwirtschaft ins Mark treffen.
Es reicht schon ein längerer Stromausfall, um die hochsensible Chip-Produktion ernsthaft zu stören. Als in Dresden neulich für nur 20 Minuten der Strom wegblieb, mussten im Werk von Infineon sämtliche Wafer – also die Scheiben, auf denen die Chips entstehen – einzeln überprüft werden.
Detoniert in der Umgebung von TSMC eine Bombe, würde das die Lieferkette bis in deutsche Autofabriken sprengen. Denn einen Chip zu fertigen, dauert mehrere Monate, es braucht dazu Hunderte einzelne Schritte. Wird der hochkomplexe Prozess auch nur an einer Stelle unterbrochen, so wirft das die Fertigung um Wochen und Monate zurück. Dazu kommt: Momentan ist die Chipnachfrage so hoch wie nie, jede noch so kleine Störung würde zu noch schlimmeren Lieferengpässen führen. Schon jetzt stehen Autofabriken weltweit zum Teil monatelang still, weil die kleinen Bauelemente fehlen.

Logo des weltgrößten Auftragsfertigers: Die Taiwaner produzieren für Chiphersteller rund um den Globus.
Natürlich schnitte sich China ins eigene Fleisch, fiele die Chip-Produktion in Taiwan aus. Schon nach wenigen Tagen müssten die großen Elektronikfabriken der Volksrepublik vermutlich zusperren und Millionen Beschäftigte stünden auf der Straße. Denn die Lager sind seit Monaten nur noch dünn bestückt und Alternativen zu TSMC und anderen Fabriken aus Taiwan gibt es kaum.
Chinas KP betreibt unter dem Namen Wiedervereinigung die Übernahme Taiwans
Nur: Haben derartige Überlegungen jemals überzeugte Nationalisten gestoppt? Auch England vollzog den Brexit gegen jeglichen wirtschaftlichen Sachverstand. Für das von Chinas KP betriebene angeblich historische Projekt „Wiedervereinigung“, so ist zu befürchten, würde Xi selbst einen Konjunktureinbruch in Kauf nehmen. Wie Russlands Präsident Putin nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim.
Europa ist gut beraten, seine Chipversorgung endlich stärker in eigene Hände zu nehmen. Und das nicht nur wegen der unsicheren Lage in Taiwan. Auch weil Chips mehrmals um die Welt geflogen werden, bevor sie schließlich in Computer, Autos oder Kaffeemaschinen eingebaut werden. Das ist schlecht für die Umwelt und passt nicht mehr in die Zeit.
Das extrem arbeitsteilige System ist zwar sehr effizient und normalerweise kostengünstig. Aber es ist eben anfällig für Störungen. Das jüngste Beispiel: Im Sommer stockte die globale Lieferkette, weil Fabriken in Malaysia wochenlang wegen der Pandemie schlossen. Viele Chipfirmen nutzen die niedrigen Löhne in dem südostasiatischen Land und lassen dort Bauteile testen und verpacken.
Angesicht der Chipknappheit wird schon seit Monaten in Brüssel und den europäischen Hauptstädten diskutiert, wie sich Chip-Produktion und die Entwicklung der Elektronikkomponenten in Europa mit Milliardensubventionen ausbauen ließen. Entschieden hat die Politik bislang aber nichts. Doch die Zeit drängt. Denn eins ist klar: Die derzeitigen Lieferengpässe dürften geradezu lächerlich erscheinen, sollte es eines Tages tatsächlich in Taiwan krachen. Dafür vorzusorgen ist eine Aufgabe, die keinen Aufschub duldet.
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