Kommentar: Das Kanzleramt allein wird der SPD nicht reichen

Blumen für den Wahlsieger: Olaf Scholz am Montag in Berlin.
Ob Olaf Scholz sich selbst einmal zwicken musste? Seine furchtbare Zeit als Generalsekretär, die ständigen Klatschen bei Vorstandswahlen auf Parteitagen, der verlorene Mitgliederentscheid um den SPD-Vorsitz 2019: Was hat der SPD-Politiker schon für unglückliche Stunden mit seiner Partei verlebt!
Und nun wird ausgerechnet dieser Olaf Scholz von seinen Parteifreunden gefeiert wie ein Messias. Der 63-Jährige, der in seiner Partei immer als Außenseiter galt, hat aus einer scheinbar aussichtslosen Position erst die Grünen überrundet und dann auch noch die Union bei der Bundestagswahl hinter sich gelassen. An solch ein Comeback hat niemand geglaubt, nicht einmal in der SPD, außer Scholz selbst.
Der erste wesentliche Grund für seinen Triumph war, dass er sich als überzeugendster Kandidat im Feld herauskristallisierte. Der zweite Grund war die neue Geschlossenheit seiner Partei. Selbst als die Genossen Ende Juli noch immer bei 15 Prozent feststeckten, gab es kein Maulen, keine Stänkereien, keine voreiligen Schuldzuweisungen. Diese Leistung sollte niemand unterschätzen. Im Vergleich zur wild gewordenen Union präsentierte sich die SPD als Hort der Stabilität.
Genau diese Geschlossenheit wird die Voraussetzung dafür sein, den Wahlsieg in eine reale Regierungsbildung umzumünzen. Eine Ampel aus SPD, FDP und Grünen wird kein Selbstläufer; sie ist bislang nicht mehr als ein Versprechen, eine Gleichung mit vielen Unbekannten.
Selten war eine Regierungsbildung schwieriger. Bekommt Scholz in den Koalitionsverhandlungen vom linken Flügel nicht maximale Verhandlungsfreiheit, wird es nichts mit dem Einzug ins Kanzleramt. Für eine Ampelkoalition spricht zwar im Vergleich zu einem Jamaika-Bündnis zunächst viel. Die SPD ist stärkste Kraft und stellt die stärkste Fraktion.
Obwohl der Vorsprung knapp ist, liegt der Regierungsauftrag damit bei ihr. Auch verfängt das von der SPD schon am Wahlabend schnell verbreitete Narrativ von der „Koalition der Gewinner“ ja durchaus. Während SPD, Grüne und FDP deutlich hinzugewannen, legte die Union nach 16 Jahren in Regierungsverantwortung einen historischen Absturz hin.
Größte Wählerwanderung zwischen zwei Parteien
Daraus lässt sich zu Recht der Wählerauftrag für eine Ampel ableiten. Untermauert wird dies noch dadurch, dass 1,5 Millionen Deutsche ihr Kreuz statt bei der Union bei der SPD gemacht haben, was die größte Wählerwanderung zwischen zwei Parteien in der Geschichte der Bundesrepublik ist.
Scholz hat schon skizziert, unter welcher Überschrift eine Ampelkoalition firmieren könnte: als „Fortschrittsbündnis“. Eine Ampel wäre die gemeinsame Fortschreibung von Rot-Grün unter Gerhard Schröder und der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt.
Mit Olaf Scholz als Kanzler würde eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP die beiden großen Herausforderungen zu Beginn der 2020er-Jahre angehen: Es geht darum, den Klimawandel aufzuhalten und das Land ins digitale Zeitalter zu führen.
Dazu passt: Bei den Jungwählern liegen FDP und Grüne vorn. Eine gut funktionierende Ampel könnte also einen progressiven Charakter haben, den viele Parteilinke von SPD und Grünen eher von einem Linksbündnis erwarteten.
Der theoretische Überbau für eine Ampel wirkt zwar logisch, im Konkreten sieht die Sache aber ganz anders aus. Und das liegt keineswegs nur an der FDP, sondern auch an den Grünen.
Das ursprüngliche Ziel der Öko-Partei war es, bei dieser Wahl die SPD als stärkste linke politische Kraft im Land abzulösen. Das ist missglückt. Machen die Grünen nun in einer Ampel Scholz und die SPD stark, dürfte aus der Rolle des Juniorpartners heraus die angestrebte Wachablösung auch 2025 kaum gelingen. Das spricht insbesondere aus Sicht von Robert Habeck gegen eine Ampel und für ein Jamaika-Bündnis.
Für die FDP wiederum gilt auch nach der Wahl, was schon vor der Wahl galt: Der Weg zur Ampel ist lang. Aber die Verhandlungsposition von FDP-Chef Lindner ist noch einmal dadurch gestärkt worden, dass Rot-Rot-Grün mangels Mehrheit nicht mehr als Drohkulisse in Ampel-Verhandlungen dienen kann.






All diese losen Enden zusammenzuführen, wird kein leichtes Unterfangen werden. Scholz könnte Baerbock und Habeck mit einem früheren Kohleausstieg locken, Lindner mit der Aussicht aufs Finanzministerium.
Aber auch Scholz braucht neben der Eroberung des Kanzleramts Trophäen: einen Mindestlohn von zwölf Euro zum Beispiel. Das Kanzleramt allein wird der Programmpartei SPD auf Dauer jedenfalls nicht reichen. Doch solche Erfolge kann Scholz nur mit den nötigen Spielräumen erzielen.
Mehr: Olaf Scholz sieht den Regierungsauftrag bei der SPD. Ein Bündnis soll es möglichst schnell geben.





