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  4. Ukraine-Krieg: Erbschaftssteuer muss neu gestaltet werden

Kommentar – Der ChefökonomHöhere Steuern sind unvermeidlich – es müssen nur die richtigen sein

Nahezu über Nacht benötigt die Bundesregierung viele zusätzliche Milliarden Euro. Die Ampel sollte die Erbschaft- und Schenkungsteuer in den Blick nehmen.Bert Rürup 11.03.2022 - 07:46 Uhr Artikel anhören

Das DIW schätzt, dass pro Jahr Vermögen im Wert von rund 400 Milliarden Euro vererbt werden.

Foto: Imago

Die Älteren werden sich vielleicht noch erinnern: Am 27. Februar 1991 bezichtigte die „Bild“-Zeitung Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) der „Steuerlüge“ und nannte ihn einen „Umfaller“.

Am Tag zuvor hatte die von ihm geführte Regierung entgegen ihren Wahlversprechen umfassende Steuer- und Abgabenerhöhungen zur Finanzierung der deutschen Mitwirkung am Zweiten Golfkrieg, der Befreiung Kuwaits, beschlossen. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wurde deutlich angehoben, der Solidaritätszuschlag eingeführt und die Mineralöl- und Versicherungssteuer erhöht.

Gut drei Jahrzehnte später droht FDP-Chef Christian Lindner ein ähnliches Schicksal wie einst Kanzler Kohl. Zwar konnte die FDP durchsetzen, dass im Koalitionsvertrag Steuererhöhungen nicht auftauchten. Jüngst konnte Lindner sogar ein kleineres Entlastungspaket für die Bürger als Ausgleich für die hohen Energiepreise auf den Weg bringen.

Doch mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und den damit notwendig gewordenen Reaktionen der Nato sind sämtliche Finanzplanungen der Bundesregierung Makulatur geworden. Zum einen muss die Energieversorgung Deutschlands im Eiltempo den neuen geostrategischen Verhältnissen angepasst werden – und zwar um jeden Preis.

Nationale Vorräte für Gas, Öl und Kohle müssen angelegt oder aufgestockt und die Verteilungsinfrastruktur muss umgebaut werden. Gleichzeitig gilt es, die Transferleistungen zumindest für Bedürftige an die deutlich gestiegenen und noch eine Zeit lang wohl weiter steigenden Energiepreise anzupassen.

Zum anderen hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) – überfällig, aber dennoch überraschend – verkündet, auf Dauer mehr Geld für Verteidigung ausgeben zu wollen. Neben der Einrichtung eines Sondervermögens, also einer zweckgebundenen Aufnahme neuer Schulden, bedeutet dies, dass Jahr für Jahr mehr Geld in den Verteidigungsetat fließen soll.

Bundesregierung braucht schnell viel Geld

Darüber hinaus kommen auf Europa und damit auf Deutschland hohe Kosten zur Betreuung der Flüchtlinge aus der Ukraine zu. Zudem muss Europa die Waffenlieferungen an die Ukraine finanzieren und später beim Wiederaufbau des zerbombten Landes helfen – unabhängig vom Ausgang des Kriegs. Damit ist klar: Die Bundesregierung braucht schnell sehr viel zusätzliches Geld.

Der beste Weg wäre zweifelsohne, durch Wachstum zusätzliches Einkommen und damit mehr Steuer- und Beitragseinnahmen zu generieren. Erschwert wird dies jedoch durch die rasant gestiegenen Energiepreise, die eine konjunkturelle Erholung deutlich belasten.

Hinzu kommt, dass ab Ende dieser Legislaturperiode ein kräftiger, die wirtschaftliche Dynamik dämpfender Alterungsschub einsetzen wird. Die deutsche Politik ist also nicht nur mit einer akuten Konjunkturschwäche konfrontiert, sondern in der nahen Zukunft auch mit einem strukturellen Wachstumsproblem.

Prof. Bert Rürup ist Präsident des Handelsblatt Research Institute (HRI) und Chefökonom des Handelsblatts. Er war viele Jahre Mitglied und Vorsitzender des Sachverständigenrats sowie Berater mehrerer Bundesregierungen und ausländischer Regierungen. Mehr zu seiner Arbeit und seinem Team unter research.handelsblatt.com.

Foto: Handelsblatt

Neuverschuldung ist ein legitimes Mittel, wenn wie beim Ausbruch der Coronapandemie unvorhersehbare Ereignisse ein rasches Handeln des Staats erfordern. Ein nachhaltiges Instrument, um dauerhaft steigende Ausgaben für Landesverteidigung, Klimaschutz und Alterung zu finanzieren, sind neue Schulden jedoch nicht.

Wirklich relevante Umschichtungen im Etat sind auch nicht möglich, da die größten Posten – insbesondere die Zuschüsse zu den Sozialversicherungen – faktisch nicht disponibel sind. Mithin bleiben als einzige Option Steuer- und Abgabenerhöhungen. Auch Finanzminister Lindner weiß das.

Blick auf schlecht gemachte Steuern nötig

Als gesamtwirtschaftlich unschädlichste Steuer gilt die Mehrwertsteuer, da sie wirtschaftliche Entscheidungen kaum verzerrt und zudem Exporte nicht belastet. Angesichts ihrer regressiven Wirkung und vor allem angesichts der sehr hohen Inflation wäre eine Erhöhung dieser Steuer derzeit allerdings ein politisch nicht vermittelbares Signal.

Deshalb ist es an der Zeit, den Blick auf eine finanzwissenschaftlich und verteilungspolitisch gute, aber in Deutschland handwerklich selten schlecht gemachte Steuer zu werfen: die Erbschaft- und Schenkungsteuer. Mit einem Aufkommen von knapp zehn Milliarden Euro beträgt ihr Anteil am Gesamtaufkommen kaum mehr als ein Prozent.

Unbestritten ist, dass jede(r) Steuerpflichtige durch Schenkung oder Erbschaft einen relevanten Reinvermögenszuwachs erfährt, der die Leistungsfähigkeit erhöht. Dieser Zuwachs ist umso höher, je größer das neu erworbene Vermögen ist.

Gleichwohl hängt die Höhe der Erbschaftsteuer nicht in erster Linie vom Wert des übertragenen Vermögens, sondern vom Verhältnis zwischen Erblasser und Erben sowie der Art des Vermögens ab. Wer seinem Bruder oder seiner Schwester mehr als 20.000 Euro vermacht, muss darauf 15 Prozent Steuern zahlen.

Wird hingegen eine Immobilie in mittlerer Lage an den Ehepartner übertragen, ist dies oft steuerfrei. Und selbst wenn Betriebsvermögen in zweistelliger Millionenhöhe übertragen werden, geht der Fiskus zumeist leer aus. Zwar kennt das deutsche Erbschaftsteuergesetz Steuersätze von bis zu 50 Prozent, doch zahlen muss die wegen großzügiger Sonderregeln und Freistellungen faktisch niemand.

Das DIW schätzt, dass pro Jahr Vermögen im Wert von rund 400 Milliarden Euro vererbt werden. Bei auf ein Minimum reduzierten Ausnahmen und einer breiten Bemessungsgrundlage könnte mit einem niedrigen effektiven Steuersatz ein beachtliches Aufkommen generiert werden. So würde ein effektiver Steuersatz von nur zehn Prozent dem Staat Mehreinnahmen von 30 Milliarden Euro erbringen.

Auf Erbschaftsteuer verzichten

Vor dem Hintergrund, dass sich maßgebliche Teile der FDP gegen solche Pläne sperren dürften, sei ein Blick in die „Freiburger Thesen“ dieser Partei empfohlen. In diesem am 27. Oktober 1971 verabschiedeten Grundsatzprogramm der FDP heißt es, „die bisherige Erbschaftsteuer schleppt ein veraltetes System fort, das unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und deren freiheitliche Entwicklung vor allem dadurch beeinträchtigt, dass es die angestrebte Vermögensbildung bei breiten Schichten der Bevölkerung behindert“.

Ferner begünstige diese Steuer „eine gesellschaftlich schädliche Akkumulation größter Vermögen und der damit verbundenen Verfügungsrechte“. Der Erbschaftsteuertarif sei wegen zahlreicher Gestaltungsmöglichkeiten „in höchstem Maße unsozial“. Er begünstige einen kleinen Personenkreis und die Erwerber großer Vermögen.

Damals forderte die FDP den Ersatz der Erbschaftsteuer durch eine Nachlassabgabe. Kleinstvermögen sollten steuerfrei bleiben, größere Nachlässe mit 22 Prozent und sehr hohe mit 75 Prozent besteuert werden. Grundsätzlich ist der Argumentation von damals heute wenig hinzuzufügen, auch wenn die Steuersätze sicher deutlich zu hoch gegriffen sind.

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Nun stünde ein höheres Erbschaftsteueraufkommen laut Grundgesetz den Bundesländern zu. Dies aber ist letztlich eine Frage des vertikalen Finanzausgleichs.

In einer akuten Krisensituation sollte sich dies ändern lassen, indem etwa die Länder Anteile an der Umsatzsteuer an den Bund abträten – oder besser noch ganz auf die Erbschaftsteuer verzichteten. Denn Umverteilung sollte vorrangig Aufgabe des Zentralstaats sein. Wo ein Wille ist, da wird sich auch ein Weg finden lassen.

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