Kommentar: Deutschland kann die unangenehmen Formen der Energiegewinnung nicht länger outsourcen

Verlängerte Laufzeiten von AKW oder Fracking dürfen kein Tabu mehr sein.
Auf seiner Reise durch Skandinavien bekam Bundeskanzler Olaf Scholz wieder hautnah zu spüren: Es wird lange dauern, bis Deutschland die Folgen seiner naiven Energiepolitik überwunden hat. Zwar hat Norwegen– immerhin zweitgrößter Gaslieferant nach Russland – die Gaslieferungen in die EU seit Beginn des Kriegs um zehn Prozent erhöht.
Doch mehr werde man vorerst nicht liefern können, machte Norwegens Regierungschef freundlich, aber bestimmt klar. Ähnliches bekam Scholz in Stockholm zu hören: Als sie am Morgen nachgeschaut habe, sei die Hochspannungsleitung von Schweden nach Deutschland am Limit gewesen, sagte die schwedische Regierungschefin trocken.
Nach den erfolglosen Bemühungen des Wirtschaftsministers in Katar war auch für den Kanzler in Skandinavien in Sachen Gasersatz vorerst wenig zu holen. Deutschland bleibt damit vorläufig auf sich gestellt, mit all den konkreten Folgen.
In Norwegen wie in Schweden wurde verwundert zur Kenntnis genommen, dass die Deutschen schon jetzt aufgerufen sind, kürzer zu duschen, Pools und öffentliche Räume nicht mehr so stark zu heizen. Und der Winter kommt erst noch.
Und zuvor droht Scholz politisch ein heißer Herbst. Auf Durchschnittsverdiener-Familien kommen durch die neue Gasumlage Mehrkosten von mehreren Hundert Euro jährlich zu. Während die Belastungen bis auf die dritte Nachkommastelle sichtbar werden, bleiben die Entlastungen, die Scholz auf den Weg bringen will, vorerst wolkig.
Für ihn ist diese Ungleichzeitigkeit von Be- und Entlastungen unglücklich, drängt sich doch der Eindruck auf, die Bürger müssten den Weg in die neue Energiefreiheit anders als versprochen ziemlich allein gehen.
Scholz tritt auf seiner Reise diesem Eindruck entschieden entgegen. Er verweist auf das dritte Rettungspaket, das eher früher als später kommen soll.
Dass der Kanzler den Bürgern Mut machen will, ist richtig. Auch am Geld darf ein Paket nicht scheitern, dafür ist die Lage zu ernst. Doch der schwere Teil kommt erst danach. Die Deutschen müssen zur Kenntnis nehmen, dass sie nicht länger alle unangenehmen Formen der Energiegewinnung outsourcen können.





Eine Verlängerung der Atomkraftwerk-Laufzeiten ist unumgänglich, die umstrittene und in Deutschland vor Jahren aufgegebene mögliche Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund wäre ebenso zu diskutieren. Und selbst Fracking darf nicht länger Tabuthema sein.





