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  4. Kernkraft in der Gaskrise: In der Atomdebatte muss der Bund eine Entscheidung treffen

KommentarDie Bundesregierung muss sich in der Atomfrage entscheiden – und zwar jetzt

Kernkraftwerke können uns auf jeden Fall in diesem Winter helfen, vielleicht auch im kommenden. Doch die Regierung muss jetzt handeln, anstatt ideologische Debatten zu führen.Jürgen Flauger 27.07.2022 - 16:20 Uhr Artikel anhören

Die Bundesregierung muss jetzt handeln, um die Energieversorgung für den Winter zu sichern.

Foto: dpa

Der kommende Winter wird uns Deutschen viel abverlangen. Schon jetzt beobachten wir Tag für Tag Berichte, wie viel Gas Russland über seine Pipelines nach Westen schickt. Viele von uns werden sich bemühen, den eigenen Gasverbrauch zu drosseln, und Unternehmen werden zittern, ob sie ihre Produktion aufrechterhalten können. Die Preise für Gas und auch für Strom werden Millionen Verbraucher und Tausende Industriebetriebe schwer belasten.

Ist es in dieser Situation klug, dass am 31. Dezember der Atomausstieg in Deutschland abgeschlossen wird und die drei letzten Atomkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 ihren Betrieb einstellen? Nein, ist es nicht. Es wäre in dieser Notlage geradezu fahrlässig. Was gar nicht hilft, ist die in Teilen ideologisch und mit Halbwahrheiten geführte Debatte darüber.

Zunächst: Sosehr der Beschluss zum endgültigen Atomausstieg 2011 nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung getragen wurde, so sehr wünschen sich jetzt immer mehr Deutsche angesichts der aktuellen Krise einen pragmatischen Umgang mit der Kernenergie.

In diesem Winter könnte uns der kurzfristige Weiterbetrieb der drei Reaktoren helfen, der sogenannte Streckbetrieb. In dem darauffolgenden Winter könnte uns eine zeitlich eng begrenzte Laufzeitverlängerung helfen.

Die Bundesregierung muss nur eine Entscheidung fällen. Der Streckbetrieb ist vergleichsweise einfach, der längerfristige Betrieb technisch machbar, aber durchaus komplex. Die Entscheidung muss deshalb jetzt fallen. Die Zeit drängt.

Beim Streckbetrieb müsste der Bund nicht viel machen. Das Atomgesetz müsste lediglich angepasst werden. Das dort fixierte Enddatum 31. Dezember 2022 und die fixen Strommengen, die den Atomkonzernen zugebilligt wurden, müssten gestrichen werden.

Die drei Atomkraftwerke könnten dann die Brennstäbe, die in den Reaktoren sind, bis zum technischen Ende ausnutzen. Wenn die zuletzt ausgetauschten Brennstäbe, die in den Reaktoren in den Abklingbecken lagern, mit einbezogen werden, wäre noch etwas mehr möglich.

Der Streckbetrieb wird uns über den Winter retten

Sehr groß wird der Beitrag der drei Atomkraftwerke nicht sein. Aktuell decken sie sechs Prozent unseres Stromverbrauchs. Der Anteil wird eher noch sinken, weil die Brennstäbe zunehmend an Leistung verlieren.

RWE streckt im Emsland schon jetzt den Betrieb, Isar 2 dürfte spätestens im März nur noch bei 60 bis 70 Prozent der Leistung sein. Der Stresstest, den die Bundesregierung in Auftrag gegeben hat, um die Notwendigkeit des Streckbetriebs zu überprüfen, könnte deshalb ernüchternd ausfallen.

Trotzdem sollte die Regierung ihn schon jetzt beschließen. Ja, mit Atomstrom werden wir keine Gasheizung ersetzen können, aber jede Kilowattstunde, die wir weniger aus einem Gaskraftwerk ziehen, entlastet uns. Vor allem wäre der Streckbetrieb ein wichtiges Signal an die Europäische Union. Wenn wir Solidarität einfordern, Gas aus Frankreich wollen und die Spanier für uns Gas sparen sollen, können wir nicht gleichzeitig Atomkraftwerke vom Netz nehmen.

Spätestens im Sommer 2023 wird aber auch der letzte Strom aus den Brennstäben gezogen sein. In dem darauffolgenden Winter würde uns nur eine echte Laufzeitverlängerung helfen, der Einsatz neuer Brennstäbe. Das ist nicht ganz so einfach. In keinem Atomkraftwerk gibt es noch neue Brennelemente in Reserve, neue Elemente müssen maßgeschneidert konfiguriert werden.

In normalen Zeiten wurden dafür 15 Monate kalkuliert. Unter hohem Zeitdruck wäre das vielleicht in neun Monaten möglich, heißt es in der Branche, besser müsse mit einem Jahr kalkuliert werden.

Sorgen bereitet den AKW-Betreibern auch das Personal. Vermutlich müssten sie aus Altersgründen Ingenieure aus anderen AKWs zusammenziehen – die erst nach einem Jahr in einer anderen Anlage Verantwortung übernehmen dürfen. Beim Fahren eines AKWs gelten zu Recht ähnliche Sicherheitsanforderungen wie bei einem Airbus.

Die Betreiber warten auf eine Entscheidung des Bundes

Vermutlich müssten die Anlagen auch einen neuen Sicherheitscheck bestehen. Der ließe sich aber im laufenden Betrieb absolvieren. Vor allem aber verlangen die Unternehmen maximale Rechtssicherheit. Die Klagen der Vergangenheit sollen sich nicht wiederholen.

Fazit: Ein Betrieb im kommenden Winter ist nicht trivial, aber möglich. Aber auch hier gilt: Die Entscheidung muss jetzt fallen.

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Noch höher sind die Hürden, um Atomkraftwerke zu reaktivieren, die im vergangenen Jahr vom Netz gingen. In allen Anlagen läuft der Rückbau schon. Natürlich lässt sich auch ein Rückbau wieder rückgängig machen. Aber der Aufwand wäre wohl viel zu hoch.

Der Streckbetrieb und eine begrenzte Laufzeitverlängerung in den drei verbliebenen Reaktoren sind aber machbar. Die Betreiber sind dazu auch bereit. Es muss nur sauber organisiert sein – und vor allem politisch gewollt sein. Das muss die Bundesregierung entscheiden – und zwar schnell.

Mehr: Forderungen aus Bayern – Lassen sich stillgelegte Atomkraftwerke einfach wieder hochfahren?

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