Kommentar Die Warnung vor einem neuen Kalten Krieg ist kein dramatisierendes Gerede – sondern real

Putin treibt mit seinem Revanchismus einen Zivilisationsbruch voran.
Die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland stehen am Scheideweg. Es geht um viel mehr als um das gegenseitige Ausweisen von Diplomaten aus den USA, Russland, Polen, Tschechien und andernorts oder harte Verbote an den Finanzmärkten. Am Ende steht die Frage im Raum: Bis wohin reicht Europa? Oder um es mit anderen Augen zu sehen: Ist das größte Land der Erde, dieser Koloss auf zwei Kontinenten, noch Europa, oder rückt es nach Asien?
Ganz ohne Zweifel sind St. Petersburg, Moskau und Jasnaja Poljana Wiegen europäischen Denkens und europäischer Kultur. Europa wäre ohne „Anna Karenina“, „Boris Godunow“, den „Nussknacker“ und „Schwanensee“, ohne Sikorskis Hubschrauber oder den von einem Russen erfundenen Synthesekautschuk ärmer.
Doch es ist die Politik des aktuellen Kremlchefs Wladimir Putin, die einen Keil zwischen Russland und den Westen treibt, den Europa besonders spüren wird. Natürlich waren das Siegesgeheul im Westen nach dem Kollabieren der Sowjetunion und die anschließende westliche Politik des Von-oben-herab gegenüber Moskau weder hilfreich noch psychologisch gedacht human oder gar fehlerfrei.
Aber das Adressieren von Schuld an Washington, Brüssel oder Berlin ist kurzsichtig. Denn es waren die Russen selbst, die sich aus den Fängen der UdSSR lösten. Es war das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das Polen, Tschechen und Ukrainer nach Europa drängen ließ – und bis heute sehr viele Russen. Denn kein Russe kauft Villen auf chinesischen Inseln – wohl aber erwerben selbst dem Kreml am nächsten stehende Politiker und Geschäftsleute Anwesen in der Toskana, an der Côte d’Azur oder in London.
Putin treibt mit seinem Revanchismus einen Zivilisationsbruch voran, wie er – am Ende immer wieder erfolglos – schon mehrfach in der russischen Geschichte versucht wurde. Die „größte geopolitische Katastrophe“ sei für ihn der Zerfall der Sowjetunion gewesen, hat Putin einmal gesagt. Und seither betreibt er die Politik des „Sammelns“ angeblich „russischer Erde“.
Die Politik des Kremls könnte zu einem Cyberkrieg führen
Dies ist Revanchismus und eine aggressiv expansionistische Politik. Das wird von denen, die einen anderen Umgang mit Russland wünschen, immer unterschlagen. Putins Politik ging inzwischen schon so weit, dass serienweise Hackerangriffe auf US-Behörden, westliche Firmen, den Bundestag oder die Zentrale der US-Demokraten aus Moskau orchestriert wurden. Mit schmerzhaften Nadelstichen will der Kreml sein Machtpotenzial demonstrieren.
Doch diese Politik kann am Ende zu einem veritablen Cyberkrieg führen oder sogar zu handfester militärischer Konfrontation. Die Warnung vor einem neuen Kalten Krieg ist also keineswegs dramatisierendes Gerede, sondern real.

Die Politik des Kremls könnte am Ende zu einem veritablen Cyberkrieg oder sogar zu handfester militärischer Konfrontation führen.
Und er hätte enorme Kosten – vor allem auch für Deutschland. Deshalb ist die Haltung von US-Präsident Joe Biden richtig: mit Sanktionen zu reagieren, die bisher keineswegs an der Obergrenze des Möglichen kratzen. Die USA zeigen aber durch harte Finanzmaßnahmen wie das Verbot für US-Investoren, russische Staatsanleihen zu kaufen und die Blockade russischer Firmen deutlich auf, dass sie nicht weiter gewillt sind, russische Einmischungen zu akzeptieren.
Nur solche klaren Signale versteht Putin. Nun wird sich zeigen, ob er auf das von Biden mitgesandte Angebot eines Gipfeltreffens eingeht. Oder ob er mit voller Härte die Sanktionsspirale weiterdreht bis zu einem Kalten Krieg und der Abkoppelung vom Westen.
Moskaus Gegensanktionen sind bisher ebenfalls entschlossen und lassen viele weitere Optionen offen – bis hin zur Verbannung von US-Thinktanks und -Medien aus Russland. Auf wirtschaftlichem Gebiet seien Gegenmöglichkeiten „begrenzt“, räumt selbst Russlands Außenministerium ein. Aber diese würden bei weiterem Drehen an der Sanktionsspirale eingesetzt.
Eine Wiederannäherung zwischen Russland und den USA ist ungewiss
Deutsche Firmen sollten bereits jetzt mögliche Folgen genau analysieren. Wie bei Donald Trumps „härtesten Sanktionen aller Zeiten“ gegen den Iran werden die US-Strafmaßnahmen auch jetzt zunächst amerikanische Banken und dann Unternehmen weltweit, die ein US-Geschäft haben betreffen.
Dass es zu einer Wiederannäherung zwischen Russland und den USA kommt, ist keineswegs gewiss. Putin will Russland entschlossen auf die Weltbühne zurückbringen. Er verfolgt entschlossen die Abwendung vom Westen und die Hinwendung nach China. Denn dies ist der große Unterschied zwischen Putin und den antiwestlichen Slawophilen Anfang des 19. Jahrhunderts: Damals waren die Isolationisten weitgehend allein. Heute droht wegen des harten Drucks des Westens auf Peking ein chinesisch-russisches Bündnis.
Damals war die Angst vor „den Asiaten“ noch riesig – wegen des Mongolensturms auf das Moskau des 13. Jahrhunderts, der sich ins russische Gedächtnis brannte. Auch zu Sowjetzeiten waren die kommunistischen Parteien Chinas und der UdSSR sich teilweise spinnefeind – wegen Maoismus, Stalinismus und Leninismus.
Heute sind die „Roten“ in Peking und die Revanchisten in Moskau Pragmatiker und stellen gemeinsames wirtschaftliches Überleben und nationale Selbstüberschätzung über die bisher spaltende Ideologie. Für Russland wäre das ein Zivilisationsbruch. Aber schon heute sind Russland und China staatskapitalistische Staaten mit überbordendem Nationalismus und Sendungsbewusstsein.
Mehr: Ausländische Investoren fliehen vom russischen Kapitalmarkt.
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"Aber schon heute sind Russland und China staatskapitalistische Staaten mit überbordendem Nationalismus und Sendungsbewusstsein."
Würde man Russland und China durch USA und Europa ersetzen, würde der Satz sich genauso falsch anhören, wobei ich mir bei USA nicht ganz so sicher bin.
Die FED hat weltweit die höchste Bilanzsumme und tritt extrem massiv bei der Beeinflussung der Wirtschaft. Die weltweit größte Börse ist in New York, die weltweit größten Wirtschaftsunternehmen in USA. Ohne FED und CIA wäre dies nicht möglich. FED gibt Geld, CIA bringt Informationen - daraus kann man wunderschön die ganze Welt beeinflussen.
In den letzten Jahren wurde Europa weiter Richtung Osten erweitert, obwohl nach der Vereinigung Deutschlands versprochen wurde, genau das nicht zu tun. An dieses Versprechen hält sich heute kein europäischer oder amerikanischer Politiker mehr.
Dass sich Putin dagegen wehrt ist aus seiner Sicht vernünftig und verständlich - warum nicht auch aus unserer Sicht?
Ich gehe davon aus, dass China nur soviel Annäherung zuläßt, wie es der politischen Führung einen Nutzen bringt. Letztendlich wird nur China gewinnen, da wirtschaftlich und irgendwann militärisch wesentlich mächtiger als Russland sein wird. Für China ist Russland sicherlich als Rohstofflieferant interessant. Eine Unterstützung wird sich China sicherlich auch teuer bezahlen lassen.