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KommentarEnergiewende braucht mehr Risikobereitschaft

„Zu wenig Planungssicherheit“ ist das Standardargument von Unternehmen, die ihre Transformationsprozesse vor sich herschieben. Wer ernsthaft etwas verändern will, muss Entscheidungen treffen.Catiana Krapp 17.06.2024 - 14:19 Uhr
Windräder drehen sich im neuen Windpark Rieps in Mecklenburg-Vorpommern. Foto: Jens Büttner/dpa

Manchmal scheint es so, als hätten die Wirtschaftsvertreter des Landes beschlossen, dass der Kampf gegen den Klimawandel doch gar nicht so drängend ist. Wo es in den vergangenen Jahren schick war, ambitionierte Klimaneutralitätsziele auszurufen, beruft man sich jetzt auf die historischen Herausforderungen, die nun mal nicht in kurzer Zeit zu bewältigen seien.

„Ein bisschen mehr Geduld!“ forderte jüngst eine Verbandsvertreterin auf einer Tagung. Entscheidend sei jetzt mehr Planungssicherheit. Ein Energievorstand bekräftigte: „Das Gesamtsystem muss gut durchdacht und überlegt sein“ und warnte vor „Schnellschüssen“ oder „Ungeduld“.

Angesichts der Größe des Klimaproblems angesichts der geradezu apokalyptischen Folgen der Erderwärmung wirken solche Äußerungen wie ein Offenbarungseid.

Fest steht: Ob es um neue Heizungen geht, um CO2-Reduktion bei Unternehmen oder um Wasserstoff: Deutschlandgeschwindigkeit ist out, sich Zeit zu lassen, ist in.

Das ist umso erstaunlicher, da längst wissenschaftlicher Konsens darüber herrscht, dass schnelles Handeln gefragt ist. Nur sollen immer die anderen – und vor allem die Politik – bitte schön als Erstes handeln.

Wer immer Investitionsruinen befürchtet, handelt zu spät

Nur, auf diesen politischen Masterplan werden die Wirtschaftsakteure vergeblich warten – gerade auch, weil die Sache so unglaublich umfassend und zugleich komplex ist. Mit der Erwartungshaltung an die Politik geht eine Zögerlichkeit in Sachen Energiewende einher, die wir uns längst nicht mehr leisten können.

Wer ernsthaft etwas verändern will, muss Entscheidungen treffen. Transformation muss frühzeitig angestoßen werden, und es liegt in der Natur der Sache, dass die Folgen nicht vollständig absehbar sind. Wer hundertprozentige Planungssicherheit fordert, kommt vom Status quo nicht weg. Ergo: Die Energiewende braucht mehr Risikobereitschaft – nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft.

Dass der Mut zum Risiko entscheidend für die Energiewende und damit für den Erfolg des Industriestandorts Deutschland ist, zeigt sich schon jetzt immer deutlicher. Und es zeigt sich schon im Kleinen.

Beispiel Stadtwerke: Es gibt jene, die sich beklagen, dass sie ihre Infrastruktur nicht richtig planen können. Sie wissen nicht, wann wie viele Stadtbewohner auf eine Wärmepumpe umsteigen. Und damit auch nicht, wo das Stromnetz verstärkt werden muss oder wo sich neue Fernwärmeleitungen lohnen.

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Da spricht man dann lieber über die Sorge vor „Investitionsruinen“ und von einer vermeintlichen „Offenheit für neue Entwicklungen“. Vielleicht kommt ja doch noch der Wasserstoff zum Heizen für Privathaushalte und alles kann beim Alten bleiben. Bevor man etwas falsch macht, wartet man lieber ab.

Aber es gibt auch jene, die frühe Entscheidungen gewagt haben. Wie die Stadtwerke Neuruppin, die teils für verrückt gehalten wurden, weil sie seit 2012 ihr Fernwärmenetz ausbauten – und die mittlerweile die Hälfte aller Haushalte mit der inzwischen begehrten Fernwärme versorgen können.

Oder die Stadtwerke von Hannover, die Haushalten seit 2017 konsequent raten, sich für Fernwärme oder Wärmepumpen zu entscheiden und nicht auf eine vermeintliche Wasserstofflösung zu warten, und deren Wärmeplanung schon heute weitgehend steht.

Politische Beständigkeit ist in einer Zeit grundlegender Umbrüche unrealistisch

Beispiel Ladestationen: Für einen grüneren Verkehrssektor hat der Energiekonzern EnBW schon 2009 erste öffentliche Ladestationen errichtet. Dabei fuhren damals gerade einmal 1450 Elektroautos auf deutschen Straßen. Heute ist EnBW der größte Betreiber von Ladeinfrastruktur in Deutschland.

Und auch im Mittelstand finden sich Vorreiter, die heute davon profitieren, selbstbewusst auf neue Lösungen gesetzt zu haben. Beispielsweise das Versorgungstechnikunternehmen Wipotec. Das beschäftigte sich schon 2008 mit einer nachhaltigen Energieversorgung und bohrte nach Erdwärme. Projekte für PV-Anlagen, Windkraft, Batterien und mehr folgten. So könnte Wipotec in absehbarer Zukunft nahezu energieautark werden.

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In für die Industrie entscheidenden Segmenten wie Wasserstoff finden sich heute hingegen vor allem Argumente, die zum Abwarten statt zum Handeln mahnen. Die einen beklagen sich, dass sie ihre fossilen Produktionsprozesse nicht umstellen können, solange ihnen niemand eine verlässliche Belieferung mit klimaneutralem Wasserstoff zusichert.

Die anderen sagen, dass sie nicht in Infrastruktur investieren oder Importverträge für Wasserstoff abschließen können, wenn sie keine verlässlichen Abnehmer haben. Bei keinem anderen Thema fällt so oft der Begriff „Henne-Ei-Problem“, der eine freundliche Umschreibung dafür ist, dass niemand den ersten Schritt wagen will.

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So drehen sich die Debatten seit Jahren im Kreis und so schiebt einer die Verantwortung zum Nächsten. Und es passiert zu wenig. Die Politik allein kann diesen Kreis nicht durchbrechen. Nicht, wenn sich die Unternehmen gleichzeitig Planungssicherheit, aber bitte nicht zu viele verbindliche Vorgaben wünschen.

Die Realität ist: Die Energiewende ist komplex, und Politiker werden immer um den richtigen Weg ringen. Statt sich also in einer Phase grundlegender Umbrüche mehr Beständigkeit zu wünschen, wäre es manchmal die pragmatischere Lösung, sich zu vergegenwärtigen, was das Wort „Unternehmen“ impliziert: dass man etwas unternimmt.

Mehr: Widerstand von Bürgern und Banken – Stadtwerke kämpfen um ihre Klima-Pläne

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