Kommentar Es ist höchste Zeit für das nächste Kapitel der Finanzmarktregulierung
Diesen Sommer ist der Höhepunkt der internationalen Finanzkrise 13 Jahre her. Die Aufseher haben damals die richtigen Prioritäten gesetzt, die Großbanken mit Kapital vollgepumpt und strenger reguliert. Nie wieder, so lautete das Credo, sollten die Geldhäuser mit waghalsigen Geschäften Milliardengewinne scheffeln, die Risiken aber der Gemeinschaft aufbürden.
Zocken ist teurer geworden, zumindest für die etablierten Banken. Doch es wäre naiv zu glauben, dass alles gut ist. Es gibt sie noch immer, die sogenannten systemrelevanten Banken, die ohne Zweifel auch in einer neuen Finanzkrise gerettet würden, um den Schaden für alle zu begrenzen. Ein noch größeres Problem: Die Regulierung ist nicht umfassend genug. Das Finanzsystem als Ganzes hat sich weiterentwickelt und neue Spieler, neue Produkte hervorgebracht, für die es neue Antworten braucht.
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, ein neues Kapitel der internationalen Finanzmarktregulierung aufzuschlagen. Die neue US-Regierung hat bereits signalisiert, dass sie Nachholbedarf sieht. Ein Schulterschluss mit den Aufsehern in Europa ist möglich. Inhaltlich gibt es drei Ansatzpunkte:
Erstens: Die Schattenbanken müssen an die Leine gelegt werden
Wenn es noch einen Beweis gebraucht hat, dass es nicht reicht, nur die Banken zu regulieren, dann ist es der Fall Archegos. Der Kollaps des US-Hedgefonds hat in den vergangenen Wochen sechs Großbanken Verluste von insgesamt zehn Milliarden Dollar eingebracht. Denn nicht alle schafften es rechtzeitig, die von Archegos als Sicherheiten hinterlegten Aktien schnell und zu einem guten Preis zu verkaufen. Und schon waren die Risiken aus dem nicht regulierten Schattenbankensektor im hochregulierten Bankensektor angekommen.
Sicherlich haben bei den Instituten an vielen Stellen interne Risikokontrollen versagt. Umgekehrt ist es durchaus legitim, dass die Banken den Aufsehern die Frage stellen, warum hier offenbar ein hochspekulativer Fonds unter dem Label „Family Office“ unterwegs war – und die Aufseher das nicht erkannt, den Fonds nicht ausgebremst und die Geschäftspartner nicht gewarnt haben.
Allerdings setzt ein solches externes Warnsystem voraus, dass die Aufseher Hedgefonds, Geldmarktfonds, andere Kapitalsammelstellen und Zweckgesellschaften hinsichtlich ihrer Risikostruktur klassifizieren und ihnen darauf aufbauend klare Spielregeln zuweisen. Das könnten die US-Börsenaufsicht SEC und die europäische Wertpapieraufsicht Esma übernehmen.
Der Schattenbankensektor schwillt stetig an. Der internationale Finanzstabilitätsrat schätzte die kumulierten Vermögenswerte per Ende 2019 auf gut 200 Billionen Dollar, fast die Hälfte des globalen Finanzsystems. 2008 lag diese Quote noch bei 42 Prozent. Sie dürfte in der Zwischenzeit weiter gestiegen sein, nicht zuletzt wegen der vielen Fintechs, die häufig ebenfalls in dieser Nische angesiedelt sind – Wirecard und Greensill Capital lassen grüßen.
Zweitens: Die Kapitalanforderungen sollten weiter steigen
Nichts hilft so gut, Krisen abzufedern, wie eine dicke Kapitaldecke. Deshalb kann sie für die Banken eigentlich nicht dick genug sein. Das hat sich gerade erst in der Coronakrise gezeigt, als vor allem in Europa Sorgen laut wurden, die wenig profitablen Geldhäuser seien vielleicht nicht in der Lage, die anrollende Welle an faulen Krediten zu schultern. Diese Gefahren sind noch nicht gebannt. Aber schon jetzt zeigt sich: Die strengeren Eigenkapitalanforderungen haben die Branche widerstandsfähiger gemacht.
Nach Berechnungen des Beratungshauses zeb kamen die 50 größten Banken in Europa im vergangenen Sommer auf eine durchschnittliche Kernkapitalquote von 14 Prozent. Das ist solide. Die Aufseher sollten die Anforderungen auf breiter Front anheben – und nicht nur für die systemrelevanten internationalen Großbanken. Dass die Einführung von „Basel IV“ im Angesicht der Pandemie auf 2023 verschoben wurde, ist nachvollziehbar, darf aber nicht zu einem Aussitzen der neuen Regeln führen.
Drittens: Eine bessere Finanzmarktregulierung muss bei Kryptowährungen die Spreu vom Weizen trennen
Der Höhenflug des Bitcoins hat die Notenbanken aufgeschreckt. Es geht um die Grundsatzfrage, wer die Hoheit über das Geld hat. Derart disruptive Innovationen können nicht ignoriert werden. Sie sollten für die Regulierer vielmehr Anlass sein, darüber nachzudenken, wie sie für die Anleger sicherer gemacht werden können. Der Bitcoin setzt sich dabei schon jetzt von freakigen Nachahmern wie Dogecoin ab: Einige Konzerne haben den Bitcoin aus der Schmuddelecke herausgeholt und als Zahlungsmittel akzeptiert. Und so manche Bank denkt offenbar über Bitcoin-Fondskonstrukte nach.
Für die Regulierer ist es also höchste Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, als welche Risikoklasse Bitcoins oder andere Kryptowährungen in der Bilanz behandelt werden. Auch die Besteuerung von Spekulationsgewinnen mit Anlagen in dieser Asset-Klasse müssen die Aufseher in den USA und Europa klären.
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