Kommentar: Für Olaf Scholz wird es schwer, seine Wahlversprechen einzulösen

Sein Image des Krisenmanagers bekommt erste Risse.
Olaf Scholz ist noch nicht im Amt, da kämpft der wahrscheinliche künftige Bundeskanzler schon mit der ersten Krise. Gern definiert sich der SPD-Mann als Politiker, der künftige Entwicklungen früher als alle anderen antizipiert, der die Dinge wie Noch-Kanzlerin Angela Merkel vom Ende her denkt. Doch von vorausschauender Coronapolitik war auch bei Scholz zuletzt wenig zu sehen. Das Bild des Krisenmanagers bekommt Risse.
Schon vor seiner Amtseinführung rächt sich, dass Scholz im Wahlkampf vage geblieben ist und keine Pandemiestrategie entwickelt, gleichzeitig aber gewagte Versprechen abgegeben hat. Etwa, dass kein neuer flächendeckender Lockdown kommt.
Genau diese Herangehensweise an Dinge wird Scholz auch im alltäglichen Regierungsgeschäft Probleme bereiten. Denn es gibt einige Parallelen zwischen Scholz’ Coronapolitik und den anderen Wahlversprechen.
Stabile Renten, höhere Investitionen bei gleichzeitig solider Finanzpolitik, die Bekämpfung des Klimawandels – all die hehren Ziele sollen ohne Mehrbelastungen, ohne Einschnitte für den Einzelnen möglich sein. Doch diese „Sicherheit im Wandel“, die Scholz den Bürgern verspricht, ist trügerisch.
Der Kanzler in spe hat die Wahl: Entweder bricht er Wahlversprechen und produziert Enttäuschungen. Oder er mogelt sich durch und schiebt entscheidende Weichenstellungen auf – auf Kosten der Zukunftsfähigkeit des Landes.
Erstes Beispiel: Klimapolitik. Im Wahlkampf verkürzte Scholz die gesellschaftliche Jahrhundertaufgabe kurzerhand zu einem „Industrieprojekt“. Motto: Die Wirtschaft muss sich verändern, der einzelne Bürger muss es nicht.
Doch natürlich wird jeder Bürger seinen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leisten müssen. Natürlich wird jeder die Lasten der Klimawende spüren. Entweder in Form höherer Energiepreise oder weil jeder Bürger über seine Steuergelder den ökologischen Umbau der Wirtschaft subventioniert. Der Kampf gegen den Klimawandel ist nicht nur ein Industrieprojekt, er wird harte gesellschaftliche Verteilungskonflikte auslösen.
Stabile Renten als Abwehrmittel gegen Populisten à la Trump
Zweites Beispiel: Rentenpolitik. Stabile Renten sind für Scholz ein entscheidendes Abwehrmittel gegen Populisten à la Trump. Allerdings greift Scholz selbst zu einer Art Trump-Rhetorik, wenn er den Wählern weismachen will, stabile Renten seien in Zeiten des Alterungsschubs ohne höhere Sozialbeiträge oder höhere Steuern zu stemmen.
Drittes Beispiel: Finanzpolitik. Die Ampel wird mehr investieren, ohne die Schuldenbremse zu verletzen, verspricht Scholz. Ähnliche Beruhigungspillen verabreicht er den stabilitätsorientierten Deutschen in der Europapolitik. Auch die EU-Schuldenregeln seien angeblich nicht reformbedürftig.
Doch dass auch diese Versprechen nicht zu halten sein werden, zeigt sich bereits in den Ampelverhandlungen. Fieberhaft suchen SPD, Grüne und FDP nach Wegen, wie sie die Schuldenbremse umgehen können. Das Jonglieren mit Milliarden über Finanzhebel und Finanzvehikel erinnert zuweilen schon an die Finanzakrobatik mancher Finanzmanager vor der Finanzkrise.
Und in Europa die Schuldenregeln so zu lassen, wie sie sind, hieße, entweder ein wirtschaftliches Blutbad im Süden Europas anzurichten oder die Regeln de facto außer Kraft zu setzen, wenn die Sanktionen in der Realität nie angewendet werden.



Vielleicht mag es Scholz gelingen, wie Merkel präsidial über der Koalition zu schweben und die Verantwortung für Fehlschläge erfolgreich auf andere zu schieben oder Projekte schlicht zu verschieben: das Nichterreichen von Klimazielen auf die Grünen, eine Lockerung der Schuldenregeln auf die politischen Zwänge in Europa, die Tragfähigkeit des Rentensystems in die Zukunft. Seiner Verantwortung für das Land würde er damit aber nicht gerecht.
Mehr: Neuer Vorschlag: Mit dieser Steuerreform würde die Ampel 99 Prozent der Bürger entlasten





