Kommentar: Schlechte Zeiten für die Freiheit

Zwei Gedanken zur Freiheit, zunächst zu ihrem Missbrauch.
Das Mandat eines Bundestagsabgeordneten ist frei, so ist es im Grundgesetz geregelt. Der Parlamentarier ist nicht an Weisungen gebunden, sondern an sein Gewissen.
Am Dienstag nahmen 18 Abgeordnete von Union und SPD diese Freiheit in Anspruch und votierten im ersten geheimen Wahlgang gegen Friedrich Merz als Kanzler. Sie riskierten damit das Ende der eigenen Regierung noch vor ihrem Beginn.
Man kann über ihre Motive nur spekulieren, persönliche Verletzung vielleicht, Meinungsverschiedenheiten, Abneigung gegenüber Merz. Diese Motive wogen schwerer als das Ansinnen, dem neuen Kanzler bestmöglich den Rücken zu stärken.
Statt der neuen Regierung den kraftvollen Aufbruch zu verschaffen, der in dieser Krisenzeit so nötig gewesen wäre, nahmen die 18 eine Staatskrise in Kauf. Sie haben ihre persönlichen Befindlichkeiten über das Gesamtwohl gesetzt.
Damit haben sie ihre Freiheit missbraucht und Schaden angerichtet. Denn der misslungene Wahlgang offenbarte, wie labil der Zusammenhalt in der Regierung auch in Zukunft sein kann, wie schwierig es werden könnte, unliebsame, aber notwendige Entscheidungen im Bundestag durchzusetzen.
„Als ich die Abstimmung verfolgte, habe ich darüber nachgedacht, ob das der Endpunkt der alten Bundesrepublik ist“, sagt der ehemalige Außenminister Joschka Fischer im großen Handelsblatt-Gespräch.
Es war keine gute Woche für die Freiheit, auch in anderer Hinsicht nicht.
Missbrauch von Freiheit ist das eine, ihre überbordende Einschränkung das andere. An diesem Samstag endet die Woche der Meinungsfreiheit, das Fazit ist: Es steht nicht gut um sie.
Nicht nur Extremisten greifen die Meinungsfreiheit an
Im Ranking zur Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen ist Deutschland erstmals aus den Top Ten gefallen und steht auf Platz elf. Das Arbeitsumfeld für Journalisten werde „zunehmend feindlich“, die Angriffe aus dem rechtsextremen Umfeld hätten zugenommen. Die freie Presse kann nicht mehr überall frei arbeiten, das ist die alarmierende Erkenntnis.
Doch auch der deutsche Staat schränkt die Meinungsfreiheit weiter ein. „Die Bedrohung der Meinungsfreiheit in Deutschland“ überschrieb der britische „Economist“ kürzlich einen Artikel und stellte fest: „Eines der freiesten Länder der Welt versetzt seinem eigenen Ruf einen schweren Schlag.“
Anlass war der Fall des Chefredakteurs des „Deutschland-Kuriers“, einer Unterstützungszeitung für die AfD. Das rechte Blatt hatte die scheidende Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit einem vor den Bauch gehaltenen Plakat gezeigt, auf dem zu lesen war: „Ich hasse die Meinungsfreiheit.“
Es war die Manipulation eines Fotos, das Faeser ursprünglich zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus veröffentlichen ließ. Im Original steht auf dem Plakat: „We remember.“
Keine Frage: Das gefakte Foto war geschmacklos, geschichtsverhöhnend und schäbig.
Aber sollte die Veröffentlichung wirklich als Straftat geahndet werden? Der Chefredakteur wurde zu sieben Monaten auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt.
Im Feld der Meinungsfreiheit wurde das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht in den letzten Jahren massiv verschärft. Der Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung wurde neu eingeführt, die Strafrahmen erweitert, gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigungen wurden strafrechtlich ebenfalls weiter gefasst.
Im Einzelnen mag jede Verschärfung ihre Begründung haben, insgesamt aber ergibt sich ein Bild, das einer freiheitlich geprägten Demokratie nicht würdig ist. Sollten wir nicht zu mehr Gelassenheit und Souveränität zurückkehren, auch wenn es um verbale Attacken geht, auch wenn Politiker als „Schwachkopf“ oder „Trottel“ bezeichnet werden?
Im Bundestag fielen einst viel härtere Umschreibungen: „Übelkrähe“ (Herbert Wehner, SPD), „Mini-Goebbels“ (Dietmar Kansy, CDU), „christliche Dreckschleuder“ (Joschka Fischer, Grüne).
Die Juristin Frauke Rostalski, Mitglied im Deutschen Ethikrat und Autorin des Buches „Die vulnerable Gesellschaft“, warnt davor, dass der Meinungsfreiheit im politischen Kontext immer weniger Raum eingeräumt, dass sie „verkürzt“ werde. Die Gesellschaft werde in ihren Debatten verletzlicher, sagt die Philosophin und spricht von einer „Diskursvulnerabilität“.
Staatliches Vorgehen gegen Informationsmanipulation“?
Nun plant die neue Regierungskoalition weitere Maßnahmen. Der Tatbestand der Volksverhetzung soll verschärft, der massenhafte Einsatz von Bots und Fake Accounts verboten werden, vor allem aber: Die „staatsferne Medienaufsicht“ solle nicht nur gegen „Hass und Hetze“ vorgehen, sondern auch gegen „Informationsmanipulation“. Es geht am Ende also um die Frage, was wahr ist, was fake. Aber können sich Wahrheiten nicht auch ändern?
Vor gut einem Jahr habe ich mit dem ehemaligen Chef des Bundeskanzleramts, Helge Braun, über Fehler der Coronapolitik gesprochen. Braun sagte ungewohnt offen, die Regierung habe anfangs die Wirkmächtigkeit der Impfstoffe überschätzt. Man sei aufgrund erster wissenschaftlicher Erkenntnisse davon ausgegangen, dass eine Impfung nicht nur vor einem schweren Krankheitsverlauf, sondern auch vor Ansteckungen schützen würde. Später hätten Studien gezeigt, dass diese Annahme falsch war.




Manch Impfkritiker, einst beschimpft und ausgegrenzt, bekam im Nachhinein zumindest in einem kleinen Teil recht. Wie also soll eine Kontrollbehörde mit dieser Art von relativen Wahrheiten umgehen?
Die freiheitliche Demokratie sei auf den offenen Diskurs als ihr Herzstück angewiesen, schreibt die Philosophin Rostalski. Die Antwort kann deshalb nur lauten: Der Staat sollte sich wieder mehr in Zurückhaltung üben – statt immer tiefer in die Freiheit einzugreifen.
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