Kommentar: Stahlzölle bleiben, WTO-Blockade wird aufrechterhalten: Jenseits von Bidens pathetischer Rhetorik bleibt wenig übrig

In Europa hat man sich wohl mehr von dem Besuch des US-Präsidenten erhofft.
Eine Woche lang hat der neue amerikanische Präsident Joe Biden die europäische Seele gestreichelt: hat die „Allianz der Demokraten“ beschworen, hat die wichtige Rolle der Europäer bei der Wiederherstellung einer multilateralen Weltordnung unterstrichen und hat ein klares Bekenntnis zur Nato abgelegt. All das war Balsam für ein Trump-geschädigtes Europa. Doch was bleibt jenseits der pathetischen Rhetorik? Viel ist es nicht.
Das Aussetzen einiger Strafzölle im ohnehin absurden Boeing-Airbus-Konflikt, was beide Seiten als großen Erfolg verstanden wissen wollen, passt nicht so recht zum Anspruch eines „Neustarts der transatlantischen Wertegemeinschaft“.
Eine Arbeitsgruppe wird nun eingerichtet, um den Subventionsstreit zu lösen. Letztlich gab der Versuch der Chinesen, ihren Flugzeugbauer Comac – staatlich selbstverständlich noch stärker gepäppelt als Boeing und Airbus – als globalen Wettbewerber zu etablieren, den Ausschlag für einen transatlantischen Versöhnungsversuch. Immerhin.
Noch schlechter allerdings sieht die Bilanz in den anderen Konfliktfeldern aus.
All das ist wenig verheißungsvoll – und auch die berechtigte Erleichterung darüber, dass jetzt im Weißen Haus wieder jemand sitzt, mit dem man reden kann und der für rationale Argumente überhaupt zugänglich ist, kann nicht darüber hinwegtäuschen: Für eine wahrhaftige Wiederbelebung der transatlantischen Partnerschaft braucht es weit mehr.
Etwa eine glaubwürdige Initiative für ein transatlantisches Freihandelsabkommen. Welches Signal an autokratische Regime wie Russland oder China könnte stärker sein? Doch dazu wird es in absehbarer Zeit nicht kommen. Der unverblümte Protektionismus Bidens, aber auch der europäischen Partner, insbesondere was die Landwirtschaft angeht, bleibt das große Hindernis.
Abgrenzung von China reicht nicht
Nur: Die Abgrenzung gegenüber dem „Systemfeind“ China allein ist nicht identitätsstiftend für den Westen. Die „existenzielle Konfrontation“ zwischen Demokratien und Autokratien, von der Biden auf seiner Reise sprach – es mag sie geben. Peking vertritt seine geopolitischen und ökonomischen Interessen inzwischen knallhart, zum Teil mit unlauteren Mitteln.
Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der Volksrepublik ist nur eine unter vielen Gefahren für den freiheitlichen Westen. Der Systemfeind, den der Präsident vor allem in Peking wähnt, er sitzt auch nicht unweit des Weißen Hauses im Kongress, in den Reihen der Republikaner: jene Abgeordnete nämlich, die immer noch glauben, Donald Trump wurde die Wahl gestohlen.



Und noch etwas ist irritierend: Auf seiner letzten Station der Europareise in Genf traf Außenpolitprofi Biden seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Der staunende Betrachter sah malerische Bilder eines Wohlfühlgipfels. Kontinuierliche Verbalattacken gegen Chinas Führung einerseits. Andererseits eine erstaunliche Aufwertung Putins, des außenpolitisch unberechenbarsten unter den autokratischen Aggressoren. So manchen Diplomaten dürften in diesen Tagen Orientierungsschwierigkeiten geplagt haben.
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