Kommentar: Was Friedrich Merz von Angela Merkel lernen kann


Nun sitzen sie wieder zusammen, die Fraktionsvorstände und Fraktionsgeschäftsführer von CDU und CSU sowie SPD. Die Sommerpause ist vorüber, der „Herbst der Reformen“ steht bevor, wie Friedrich Merz mit einer alten Floskel die schiere Größe der Herausforderungen der Zeit umschreibt. Vielleicht hätte er besser - wie einst Angela Merkel - sagen sollen: „Wir schaffen das.“
Die Klausur in Würzburg – 24 Stunden inklusive Abendessen und gemütlichen Beisammenseins – ist bei Weitem kein Krisentreffen. Auch die Treffen von Merz mit seinen Ministern und Parteioberen in den vergangenen Wochen waren kein Zeichen von Schwäche, wie manche suggerieren wollen.
Ganz im Gegenteil: In einer Zeit, in der öffentliche Plattformen jede noch so wilde Äußerung aufmerksamkeitswirksam verbreiten und ihr so den Mantel der Gewichtigkeit umhängen, sind Vertrauen, regelmäßiger Austausch und der kurze Dienstweg wichtiger denn je. Die Streitereien der ersten Monate haben die Notwendigkeit mehr als eindrücklich verdeutlicht.
Mag sein, dass sich viele in der Union von ihrer Wirtschaftsikone Merz „CDU pur“ gewünscht haben. Mag sein, dass die Genossen mit dem wirtschaftskonservativen Merz wie mit Fraktionschef Jens Spahn wenig anfangen können. Doch darum darf es in diesen Zeiten nicht gehen: Russlands Präsident Putin lässt nicht von der Ukraine ab und schielt auf weitere Staaten. Die Europäer müssen sich mühen, um US-Präsident Donald Trump als Schutzmacht nicht zu verlieren. Zugleich erlebt Deutschlands wichtigster Partner in der EU, Frankreich, seine nächste Regierungskrise. Es sind nur einige der Herausforderungen. In der Gemengelage ist es umso wichtiger, dass Schwarz-Rot mit aller Ernsthaftigkeit regiert.
Ohnehin sollte niemand vergessen: Weder CDU und CSU noch SPD haben ihre Wahlziele erreicht, um ihre Positionen problemlos durchzusetzen. Aber sie haben in Windeseile einen Koalitionsvertrag geschmiedet und sich mit Rekordschulden den nötigen Kitt verschafft, der die Koalition zusammenhalten kann. Auf dieser Basis sollten sich die Fraktionschefs Spahn und Matthias Miersch mit ihren Helfern besinnen und sich aufmachen, auf den politischen Weltmeeren gut durch den Sturm zu kommen.
Union und SPD sollten den Blick nach vorn richten
An Deck gehört dazu, den Blick nach vorne zu richten – und laut darüber zu reden. Im Maschinenraum müssen die Arbeiter schuften und dafür sorgen, dass das Schiff trotz vieler Stürme sicher durchs Wasser gleitet. Das Wasser unterm Kiel heißt Wachstum, die bremsende Last sind die steigenden Sozialabgaben für Rente, Gesundheit, Pflege. Zum unnötigen Ballast gehören auch jene Teile des Bürgergeldes, die eine soziale Hängematte aufspannen. Sie loszuwerden, müsste jeder Sozialdemokrat unterstützen, der sich für die Fleißigen im Land einsetzt.
Der Kapitän aber muss Zuversicht verbreiten und nicht nur Blut und Schweiß abfordern. „Land in Sicht“ sollte Merz allen zurufen, anstatt dumpf ins Nebelhorn zu blasen. Zuversicht ist die alles entscheidende Währung in Zeiten der multiplen Umbrüche. Nur als Hoffnungsträger wird Merz den Schatten los, der ihn in der Innenpolitik unablässig verfolgt: die AfD.
Die Partei fischt im Trüben der Abstiegsängste und der Ungewissheiten. Der Kommunalwahlkampf in Nordrhein-Westfalen illustriert die Taktik mehr als deutlich. Die extrem Rechten plakatieren bevorzugt dort, wo alte Gewissheiten verloren gegangen sind und die Menschen nicht wissen, wie es weitergeht.






Am Wochenende wird der Kanzler in den Wahlkampf einsteigen. Bonn, Münster und seine Heimat Sauerland stehen im Terminkalender. Besser, Merz würde die Menschen im Ruhrgebiet und im Braunkohlerevier besuchen und ihnen erklären, wie ihre Zukunft aussehen kann. Sie würden es gerne hören.
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