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KommentarWir stehen in der Geldpolitik am Anfang einer völlig neuen Ordnung

Die klassische Trennung von Geld- und Finanzpolitik löst sich durch die Krise auf. Statt roter Linien ist mehr Debatte nötig. Denn klar ist: So wie bisher geht es nicht weiter.Frank Wiebe 26.10.2020 - 19:14 Uhr Artikel anhören

Foto: Kostas Koufogiorgos

Frankfurt. Es war einmal: Mit Nostalgie sehnen sich viele in Deutschland nach der Ordnungspolitik der Freiburger Schule oder vielleicht auch der Chicago-Schule von Milton Friedman zurück. Statt staatlichem Dirigismus sollte es eine klare Arbeitsteilung geben: Der Staat setzt möglichst stabile Rahmenbedingungen, die Unternehmen entscheiden innerhalb dieses Rahmens frei, wobei Eigennutz kein Makel ist.

Zu diesem Arrangement war ein starker Einfluss des Staats, etwa bei der Bekämpfung von Monopolen, aber auch der Bereitstellung von Sozialleistungen, niemals ein Widerspruch, auch wenn „Freiheit“, zum Teil auch unter verfälschter Bezugnahme auf Adam Smith, immer schon gerne als Freiheit von Steuern oder gesetzlichen Auflagen missverstanden wurde. Weder Smith noch Walter Eucken, der Vordenker der Freiburger Schule, waren Lobbyisten eines ungehemmten Kapitalismus.

Doch es herrschte Ordnung. Und wir brauchen Ordnung – wenn die alte nicht mehr funktioniert, dann eine neue. Der alten Ordnung ist die Verwirrung gefolgt, tendenziell schon befördert durch die Finanzkrise vor mehr als zehn Jahren und starke internationale Trends zu niedrigem Wachstum und niedrigen Zinsen, jetzt aber umso mehr angetrieben durch die gerade wieder hochschlagende Corona-Pandemie. Es zeigte sich: Die privaten Konsumenten allein können der Wirtschaft nicht mehr genug Nachfrage bereitstellen.

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Die Geldpolitik gerät an die Null-Zins-Grenze und die Finanzpolitik an die Verschuldungsgrenze. Daraus ergibt sich die neue, jedem Ordoliberalismus widersprechende Arbeitsteilung, dass die Staaten mit Schulden den Mangel an Nachfrage ersetzen und die Notenbanken de facto bei der Finanzierung helfen, obwohl sie das eigentlich nicht dürfen.

Hinzu kommt: Gerade in der Pandemie sind die Staaten zu langsam, um etwa im Euro-Raum eine dringend notwendige Umverteilung zu bewerkstelligen, damit uns die europäische Wirtschaft nicht um die Ohren fliegt. Und selbst auf nationaler Ebene reicht die Regierungspolitik meist nicht aus oder ist zu unflexibel, um in der Not das Geld dahin umzuleiten, wo es gebraucht wird. Und, um das Maß vollzumachen: Auch in der Klimapolitik zeigt sich genau dieselbe Schwerfälligkeit der Regierungen, Kapital so umzuleiten, wie es ihren eigenen vertraglichen Verpflichtungen entsprechen würde.

USA preschen vor – mit einer Modern Monetary Theory

Die Folge: Die Notenbanken sind scheinbar für alles zuständig, was sonst nicht funktioniert. Das ruft Kritik hervor: von denen, die eine Durchbrechung der ordnungspolitisch und in der Europäischen Union (EU) auch vertraglich vorgegebenen Grenzen nicht zulassen wollen. Zum Teil von denen, die die Probleme, vor denen wir stehen, gar nicht verstehen oder die sie unterschätzen. Zum Teil auch von jenen, denen die europäische Ordnung, insbesondere die gemeinsame Währung, ohnehin nicht passt.

Diese Kritik ist zum Teil berechtigt, zum Teil absurd und zum Teil auch scheinheilig. Aber genau das trägt ja nur noch dazu bei, die ohnehin schon eingetretene Verwirrung zu verstärken.

Dann kommt aus den USA auch noch der Versuch, aus der neuen Unordnung ein Prinzip zu machen: Unter dem Schlagwort Modern Monetary Theory (MMT) wurde dort ein Konzept geschaffen, das theoretisch durchaus seinen Reiz hat und zum Erkenntnisgewinn beitragen kann, aber sehr auf amerikanische Verhältnisse zugeschnitten ist und als Rezept zur praktischen Umsetzung auch brandgefährlich werden kann.

Die Grundidee lautet, dass der Staat sich über die Notenbank finanziert und die Finanzpolitik mit ihren Steuern die Inflation verhindert – die Rollen von Geld- und Finanzpolitik wären also gerade vertauscht. Zugegeben, das ist eine grobe Wiedergabe der MMT, aber leider werden Theorien ja im Zweifel auch sehr grob praktisch umgesetzt, daher ist hier Vorsicht geboten.

Die EZB-Präsidentin hier bei einem Auftritt vor dem Europaparlament.

Foto: Reuters

Also herrscht allenthalben Verwirrung. Wie könnte eine neue Ordnung aussehen? Ehrlich gesagt: Wir stehen hier ganz am Anfang. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn Experten und Politiker mehr Augenmerk darauf legen würden, statt das Für und Wider der alten Ordnung zu Tode zu diskutieren, am liebsten noch mit Hinweisen auf die Sowjetunion oder die DDR oder mit Versuchen, ökonomische Fragen mit juristischen Mitteln zu lösen.

Klar ist nur: Statt roter Linien brauchen wir einen geordneten, regelmäßigen Dialog zwischen Geld- und Finanzpolitik. In Europa kann das nur funktionieren, wenn die finanzpolitische Kompetenz des Europaparlaments gestärkt wird. Momentan kann es auf eigene Initiative nur wenig machen.

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EZB und Finanzpolitik sollten gemeinsam Konzepte formulieren, wie sie mit der steigenden Staatsverschuldung umgehen, und das Europaparlament muss dazu gehört werden und mit Verantwortung übernehmen. Die EZB sollte und wird unter der heutigen Rechtslage niemals unter die Weisungsbefugnis von Finanzpolitikern kommen, aber sie kann jetzt schon de facto in Zugzwang geraten.

Daher wäre ein Dialog mit der Politik für sie keine Einschränkung, sondern könnte ihren Einfluss sogar vergrößern. Auf der anderen Seite würde durch diese Einbindung ihr Defizit an demokratischer Legitimation gemildert.

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