Pro und Contra: Ist Friedrich Merz kanzlertauglich?

Pro: Wirtschaftskompetenz gibt den Ausschlag
Von Thomas Sigmund
Das Rennen um die Kanzlerkandidatur zwischen Hendrik Wüst, Markus Söder und Friedrich Merz schien vor einem Jahr noch offen. Nach der Wiederwahl des CDU-Vorsitzenden auf dem Parteitag in Berlin sind sich jedenfalls die 1001 Delegierten sicher: Das Gesamtpaket Merz stimmt. Er ist kanzlertauglich. Es gibt drei Gründe für das satte Ergebnis.
Erstens: Nach der verlorenen Bundestagswahl 2021 war die Partei nach 16 Merkel-Jahren ausgelaugt. Merz hat mithilfe seines Generalsekretärs Carsten Linnemann die Partei mit einem neuen Grundsatzprogramm inhaltlich runderneuert. Wirtschafts- und Sozialflügel sind auch personell wieder weitgehend geeint, wie die ausgewogene Sitzverteilung im neuen Parteivorstand zeigt.
Die Ampelregierung unter Olaf Scholz mag schwach sein. Doch auch die Rolle eines starken Oppositionsführers muss ausgefüllt werden. Merz führt im Bundestag die Regierung regelmäßig vor. Unter dem Jubel der gesamten Fraktion, die wieder vor Selbstbewusstsein strotzt. Merz mag emotional schon mal einen raushauen. Das ist aber allemal besser, als Attentismus zur höchsten Regierungskunst zu erklären.
Zweitens: Die CDU gewinnt in der Merz-Ära Landtagswahlen. Im Bund kann sie mehr Stimmen auf sich vereinen als SPD und Grüne zusammen. Bei den Popularitätswerten liegt Merz vor Scholz, gegen den er dann 2025 voraussichtlich antreten wird. Dass er als Spitzenkandidat noch keine Bundestagswahl gewonnen hat, stimmt. Er hat jedoch auch noch keine verloren. Damit ist er in der gleichen Situation wie Angela Merkel vor gut 20 Jahren, als sie als Kandidatin antrat.
Drittens: Unstrittig ist auch, dass Merz große Wirtschaftskompetenz besitzt. Da Deutschland eine der schwersten Wirtschaftskrisen der Nachkriegsgeschichte überwinden muss, werden seine Fähigkeiten für die Bürgerinnen und Bürger ein starkes Argument bei der Bundestagswahl sein. Während Kanzler Scholz den Ernst der Lage nicht begreifen will, geht es für Merz längst um die Leistungsfähigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes.
Gesellschaftspolitisch hat Merz dazugelernt. Er vertritt schon lange nicht mehr die Unions-Positionen aus den 90er-Jahren, auch wenn seine politischen Gegner nicht müde werden, ihm das zu unterstellen. Wahrscheinlich hat er sich als internationaler Wirtschaftsmann mehr mit Diversity auseinandergesetzt als so mancher Bankdrücker in Parteigremien. Unterm Strich stimmt eben das Gesamtpaket Merz.
Contra: Allenfalls Gestalter des Übergangs
Von Daniel Delhaes
Wäre das rhetorische Talent bei der Wahl eines Regierungschefs entscheidend, Friedrich Merz würde Kanzler werden. Olaf Scholz kann dem Sauerländer nicht das Wasser reichen.
Merz hat auch auf dem Bundesparteitag überzeugend geredet, staatsmännisch nach außen und kämpferisch motivierend in die Partei hinein. Und doch sollte Merz sich genau überlegen, ob er als Kanzlerkandidat von CDU und CSU in den Bundestagswahlkampf 2025 ziehen will. Es wäre gefährlich.

Wichtiger als die Redekunst ist das Talent des Aussitzens, des Abperlenlassens, des Taktierens. Womit wir bei Merz' vielleicht größter Schwäche wären.
Angela Merkel hat es ihm 2002 gezeigt und ihm den Posten des Fraktionschefs stibitzt. Merz verzieh es ihr nie, während sie als Kanzlerin Stehvermögen zeigte. Nachfolger Scholz hat Merz bereits ein „Glaskinn“ attestiert. Und in der Partei kursiert die Geschichte, Merz habe im vergangenen Jahr offen darüber nachgedacht hinzuwerfen. Nicht wegen Scholz, vielmehr weil ihn Parteifreund Hendrik Wüst gepiesackt hatte.
Dabei weiß Merz doch, dass in einer Volkspartei nicht nur der Vorsitzende Kanzlerambitionen hat, sondern auch Ministerpräsidenten. Doch er reagierte impulsiv. Zu impulsiv.
Hinzu kommt, dass Merz in Meinungsumfragen schlecht abschneidet: Ein Großteil der Bevölkerung traut ihm das Amt nicht zu – und sieht Wüst und Markus Söder vor ihm. Die Union selbst schafft es nicht dauerhaft über die 30-Prozent-Marke, weil sie nicht als breit aufgestellte Volkspartei wahrgenommen wird.
Die Merz-CDU kommt bei Stammwählern als Bewahrer des Guten an, nicht aber bei Modernisierern als Gestalter. Daran scheiterte schon einmal ein Kandidat: Franz Josef Strauß. Nur mit einem überzeugenden Zukunftsversprechen – nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die sozial Schwachen – kann ein Kandidat Mehrheiten gewinnen.




Es wäre keine Niederlage für Merz, wenn er das Feld einem anderen überließe, sollten die Prognosen es verlangen. Es würde von Größe zeugen, unterstreichen, dass Merz als Vorsitzender – und vor allem als Fraktionsvorsitzender – die Volkspartei vorm Untergang bewahrt und ihr die Chance auf eine neue Ära eröffnet hat. Ein Eintrag ins parteipolitische Geschichtsbuch wäre ihm gewiss.
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