Morning Briefing Laschets Tour der Leiden
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
Krisenzeiten sind Macherzeiten. Und wer Krise kann, kann Kanzler. Das gilt als Gesetz in einer Republik, die Helmut Schmidt 1962 und Gerhard Schröder 2002 erlebt hat. Nur bei Armin Laschet, dem aktuellen CDU-Kandidaten, gerät alles ins Windschiefe. Als Krisenmanager, der flott Hilfe organisiert, ist er weder beim Hochwasser-Desaster noch bei der Leverkusener Chemie-Explosion aufgefallen. Dabei ist das betroffene Nordrhein-Westfalen sein Land.

Laschets Rolle ist die des Zuhörers vor Ort – woraus bei seinem jüngsten Besuch in Swisttal eine persönliche Leidenszeit mit Beschimpfungen wurde. Bürger fragten, wo denn Warnungen und Sirenen vorher geblieben waren. Zudem gebe es nun vom Land keine Hilfe. Die Verwaltung sei ein „riesengroßer Versager“, schimpfte ein Anwohner. Laschet versprach einen Wiederaufbaufonds des Bundes – aber das war so, als komme man einem Schiffbrüchigen mit Robinson Crusoe.
In Rheinland-Pfalz prüft unterdessen die Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht auf fahrlässige Tötung wegen unterbliebener Vorwarnungen im Ahrtal. Selbst als die Pegelstände monströse Höhen erreicht hatten, rief CDU-Landrat Jürgen Pföhler immer noch nicht den Katastrophenfall aus. Gut möglich, dass Laschets CDU mit einem Katastrophen-Malus bei der Bundestagswahl abgestraft wird. Trösten kann sich der Kandidat mit Winston Churchill: „Erfolg ist die Fähigkeit, von Misserfolg zu Misserfolg zu gehen, ohne den Enthusiasmus zu verlieren.“ Das traut man dem Parteichef zu.
Ja, die neue Elektromobilität muss uns allen lieb und teuer sein. 45 Minuten musste ein Besucher aus München jüngst mit seinem ID.4 warten, bevor die App der örtlichen Stadtwerke funktionierte und er laden konnte. Wir anderen saßen im Restaurant und warteten mit. Aber was ist das schon gegen den Niedergang des Dieselautos? Von fast 50 Prozent Marktanteil in 2012 sind die NO2-Problemkisten bei nunmehr 19,9 Prozent gelandet – das ist die jetzt veröffentlichte Quote bei den Auto-Neuzulassungen im Juni.
Ohne die vielen Dieseldienstwagen und einem Discount an der Tankstelle wäre das Desaster komplett gewesen, ermittelt unser Report. Klarer Befund: Seit der grobmaschigen Nepper-Schlepper-Bauernfänger-Serie namens „Dieselgate“ sind diese Vehikel nicht mehr richtig hochgekommen. Georg Christoph Lichtenberg schrieb dazu: „Nur der Betrug entehrt, der Irrtum nie.“
Drastisch war die Kritik einiger Berufsanfänger der Investmentbank Goldman Sachs bei einer internen Befragung im Frühjahr: Sie sprachen von „unmenschlichen“ Bedingungen und forderten eine 80-Stunden-Woche. Für Essen, Schlafen, Duschen blieben ja sonst nur vier Stunden am Tag, wetterten sie.
Auch künftig wird sich daran offenbar nicht viel ändern – dafür aber gibt es mehr Geld: Nach einem Bericht der „Financial Times“ kassieren Analysten künftig im ersten Jahr 110.000 Dollar, im zweiten dann 125.000 Dollar. „Associates“ sind mit 150.000 Dollar dabei. Damit dürfte das Geldinstitut die höchsten Einstiegsgehälter der Branche zahlen. Fragt sich nur, was für die modernen Galeerenarbeiter in den Bürotürmen zuerst kommt: das selbstverdiente Haus in „Suburbia“ oder doch der Herzinfarkt.
An gute Nachrichten hatte man sich bei der Allianz gewöhnt: Hier war der Superlativ zu Hause. Nun aber schockte eine Gewinnwarnung – out of the blue – die Börse, der Kurs krachte gestern um 7,8 Prozent ein. Es sieht ganz so aus, als erlebe der Münchener Versicherungskonzern ein eigenes „Coronagate“. In den USA klagen mehrere Großinvestoren wie die Lehrer-Pensionskasse von Arkansas gegen die in Florida ansässigen „Structured Alpha Fonds“ von Allianz Global Investors (AGI). Sie hätten in der Frühphase der Pandemie eine „rücksichtslose Strategie“ verfolgt, die zu Milliardenverlusten geführt habe.
Nach der US-Börsenaufsicht SEC hat nun auch das amerikanische Justizministerium Ermittlungen aufgenommen. Von einem „relevanten Risiko“ berichtet die Assekuranzfirma, das „erhebliche Auswirkungen auf künftige Ergebnisse der Allianz-Gruppe“ haben könnte. AGI wehrt sich mit dem Hinweis, die Kläger seien erfahrene Anleger, die sich bewusst für hochriskante Privatfonds entschieden hätten. Am Freitag wird CEO Oliver Bäte die neuesten Bilanzzahlen vorstellen – und seine Gegenstrategie.
Der Videokonferenz-Spezialist Zoom ist weiter als die Allianz: Man steht kurz davor, sich mit Nutzern zu einigen, die juristisch aktiv wurden, nachdem zeitweise Fremde in ihren Talks erschienen waren. Dieses Phänomen ist als „Zoombombing“ bekannt geworden. Wegen Verletzung der Privatsphäre waren die Geschädigten vor Gericht gezogen. Nach eigener Aussage will das US-Unternehmen ihnen nunmehr 85 Millionen Dollar auszahlen.
Fünf Jahre recherchierte ein Team amerikanischer Historiker über Sklavenarbeit beim Aufbau der politischen Hauptstadt Washington. Sie trugen 200 Namen schwarzer Männer und einer schwarzen Frau zusammen, die das Weiße Haus errichtet haben. Bekannt sind meist nur Vornamen, als Nachname fungierte der Name des Besitzers: „Abraham, verliehen von James Blake“ oder „Will, verliehen von Mary Simmers“. Auch am Bau des Kapitols waren sie beteiligt. Bekannt ist außerdem, dass mindestens zwölf US-Präsidenten Sklaven besaßen, etwa Thomas Jefferson. Die historische Aufarbeitung war in Gang gekommen, nachdem die einstige First Lady Michelle Obama vor fünf Jahren erklärt hatte: „Jeden Morgen wache ich in einem Haus auf, das Sklaven gebaut haben.“ Mit Johann Gottfried Seume wissen wir: „Wo es keine Sklaven gibt, da gibt es keine Tyrannen.“

Und dann ist da noch Kristina Timanowskaja, Sprintläuferin aus Weißrussland, die von japanischen Behörden vor dem Zugriff durch Schergen ihres Landes geschützt und in die polnische Botschaft in Tokio gebracht wurde. Diktator Alexander Lukaschenko wollte die Sportlerin, die sich bei Olympia in Tokio kritisch über ihre Betreuer geäußert hatte, offenbar zurück nach Minsk entführen.
Kurz vor Beginn hatte er mit Verweis auf die hohen Kosten der Delegation gedroht: „Wenn es in Tokio nicht die Resultate im Sport gibt, werden wir die Offiziellen und Athleten nicht behalten.“ Und dann, direkt an die Teilnehmer gewandt: „Wenn Sie dorthin als Touristen gehen und ohne etwas zurückkommen, kommen Sie besser gar nicht ins Land zurück.“ Die 24-jährige Timanowskaja hat nun ein Visum der polnischen Regierung erhalten. Bei diesen Olympischen Spielen hat sie gelernt: Dabei sein ist nicht alles.
Ich wünsche Ihnen einen harmonischen Tag.
Herzliche Grüße
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor
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