Bertelsmann Stiftung Studie offenbart: Jugendliche fühlen sich durch Corona stark belastet

Es werde viel über „Schulen auf oder zu“ debattiert, jedoch nicht gefragt, wie es den Jugendlichen geht.
Berlin Die Coronakrise hat bei jungen Menschen starke Spuren hinterlassen: Sie klagen über psychische Probleme, Vereinsamung und Zukunftsängste. Das gilt besonders für diejenigen mit finanziellen Sorgen. Das sind die Befunde einer Auswertung der Bertelsmann Stiftung. Von der Politik fühlen sich junge Leute im Stich gelassen.
Die allermeisten jungen Menschen hätten die Situation großartig gemeistert, lobt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung: „Sie handeln solidarisch und halten sich an die Corona-Regeln. Sie verzichten ohne großes Klagen und arrangieren sich mit dem, was möglich ist.“
Ihren Schulstoff oder die Inhalte des Studiums hätten sich die jungen Menschen hart erarbeitet, bekräftigte Dräger. „Denn auch wenn immer von Schulschließungen die Rede war, ging es doch für alle im Distanzlernen, der Online-Uni oder -Ausbildung weiter.“ Viele hätten sich darüber hinaus für andere engagiert und zum Beispiel Einkaufsdienste für Ältere übernommen.
Dabei hat die Corona-Pandemie die Jugend in Deutschland vor große Herausforderungen gestellt, so die aktuelle Auswertung „Das Leben von jungen Menschen in der Corona-Pandemie“.
61 Prozent von ihnen geben demnach an, sich teilweise oder dauerhaft einsam zu fühlen. 64 Prozent stimmen zum Teil oder voll zu, psychisch belastet zu sein. 69 Prozent sind, und sei es nur teilweise, von Zukunftsängsten geplagt.
Jugendliche mit Geldsorgen haben öfter Zukunftsängste
Basis der Befunde sind die beiden Jugendbefragungen „Jugend und Corona“ (JuCo I und II), die von den Universitäten Hildesheim und Frankfurt/Main durchgeführt und in Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung vertiefend ausgewertet wurden. Einzelne Daten aus beiden Befragungen wurden bereits veröffentlicht.
Ein Drittel der Jugendlichen (34 Prozent) gab an, finanzielle Sorgen zu haben – vor Corona lag ihr Anteil noch bei etwa einem Viertel. „Auffällig ist zudem, dass Jugendliche mit Geldsorgen öfter Zukunftsängste äußern und sich häufiger psychisch belastet und einsam fühlen als andere junge Menschen“, heißt es in einer Mitteilung der Bertelsmann Stiftung.
Stiftungsvorstand Dräger und Programmdirektorin Anette Stein beklagen, dass junge Menschen für das, was sie in der Corona-Pandemie geleistet haben, wenig Anerkennung und Wertschätzung bekommen. Junge Menschen fühlten sich vielmehr schnell zu Regelbrechern abgestempelt, wenn in den Medien von Corona-Partys berichtet werde.
65 Prozent der befragten Jugendlichen gaben demnach während des zweiten Lockdowns im November 2020 an, dass ihre Sorgen eher nicht oder gar nicht gehört werden. Das ist laut Auswertung ein deutlicher Anstieg im Vergleich zur Befragung vom April und Mai 2020, bei der bereits 45 Prozent diesen Eindruck äußerten.
Anders als in der öffentlichen Debatte möchten die Jugendlichen demnach nicht auf ihre Rolle als Schüler, Auszubildende oder Studierende in der Corona-Zeit reduziert werden. Dass sie in der Pandemie auf vieles verzichten müssen – Kontakte zu Freunden und Gleichaltrigen, organisierte Freizeitaktivitäten, Möglichkeiten zur Selbstentfaltung –, werde ihrer Meinung nach kaum thematisiert, geschweige denn anerkannt.
Seit der Pandemie psychisch instabiler
„Es geht um Homeoffice, Wirtschaft, Einkaufen und Noten. Aber unsere Gefühle und was das für uns bedeutet? Pfff“, kommen die Jugendlichen in den Materialien der Stiftung selbst zu Wort. „Ich habe das Gefühl, seit der Pandemie psychisch instabiler geworden zu sein, da ich kaum bis keine sozialen Kontakte mehr habe und einem alles weggenommen wird, was einem lieb war.“
Von der Politik fühlten sich junge Menschen weder gesehen noch berücksichtigt. Es werde zwar viel über „Schulen auf oder zu“ debattiert oder betont, dass Kinder und Jugendliche bei Lockerungen an erster Stelle stehen müssten. „Aber eigentlich fragt kaum jemand, wie es ihnen gerade geht, was sie brauchen und welche Ideen sie hätten, um besser durch die Krise zu kommen“, kritisierten Dräger und Stein.
In Zahlen: 58 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Situation der Jugendlichen den Politikern nicht wichtig sei. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen fühlen sich demnach übergangen, obwohl sie mitgestalten und Verantwortung übernehmen wollen. Doch genau das habe in der Corona-Pandemie nicht stattgefunden.
„Besonders wichtig ist es dabei, vor allem die jungen Menschen mit im Blick zu haben, die unter schwierigen, von Armut und Beeinträchtigungen geprägten Bedingungen leben“, heißt es in der Studie. „Sie sind es, die von den Corona-Maßnahmen noch mal besonders betroffen sind.“
Stiftungsvorstand Dräger mahnte angesichts der Befunde, die schon länger bestehenden Defizite in der Kinder- und Jugendpolitik in den Blick zu nehmen. Ob es aufgrund der Coronakrise zu (noch mehr) Bildungsverlierern komme oder die Pandemie als Chance genutzt werde, die Belange junger Menschen endlich ernst zu nehmen und sie „in die Gestaltung unserer Gesellschaft miteinzubeziehen liegt in unserer Hand“, bekräftigte Dräger. Das Jugendhearing des Bundesfamilienministeriums oder ein bereits geforderter Kindergipfel seien richtige Signale aus der Politik. Es dürfe aber keine „Alibi-Formate“ geben.
Teilhabegeld: Kindergrundsicherung umstritten
„Junge Menschen brauchen Möglichkeiten für eine breite und kontinuierliche Beteiligung in allen sie betreffenden Bereichen“, forderte auch Tanja Rusack von der Universität Hildesheim. Co-Studienautorin Johanna Wilmes von der Goethe Universität Frankfurt plädierte für eine regelmäßige „Bedarfserhebung“ für und mit Kindern und Jugendlichen. Dabei müssten besonders jene in prekären Lebensverhältnissen erreicht werden.
Laut Bertelsmann Stiftung war in Deutschland schon vor Beginn der Coronakrise mehr als ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren von Armut bedroht. „Infolge der Pandemie dürfte sich diese Notlage weiter zugespitzt haben“, hieß es.
Die Stiftung pocht angesichts dieser Entwicklung auf ihr Modell eines „Teilhabegelds“: Bestehende staatliche Leistungen für Kinder sollen gebündelt und allen jungen Menschen bis 25 Jahren zugutekommen.
In der Politik sind solche Konzepte umstritten. Die Union lehnt eine allgemeine Kindergrundsicherung als pauschale Leistung derzeit ab. SPD und Grüne haben die Kindergrundsicherung hingegen in ihren Parteiprogrammen stehen. Die FDP fordert ein „Kinderchancengeld“.
Derzeit bringt der Bund jährlich rund 200 Milliarden Euro für verschiedene Familienleistungen auf. Doch die einzelnen Maßnahmen gelten als kompliziert und bürokratisch.
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