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IG BCE-Chef Der Mann für das realistische Maß – Wie Michael Vassiliadis die Klimapläne der Politik herunterdimmt

Der Chef der Industriegewerkschaft will am Dienstag für eine vierte Amtszeit wiedergewählt werden. Vassiliadis größte Sorge gilt dem Standort Deutschland.
25.10.2021 - 15:30 Uhr Kommentieren
„Zu Beginn dieses Jahrzehnts werden die Weichen für die Zukunft neu gestellt.“ Quelle: dpa
IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis

„Zu Beginn dieses Jahrzehnts werden die Weichen für die Zukunft neu gestellt.“

(Foto: dpa)

Berlin Ein Transformator ist ein elektronisches Bauteil, mit dem sich Hochspannung in weniger gefährliche niedrigere Spannung wandeln lässt. In der Klimaschutz- und Energiewendedebatte übernimmt Michael Vassiliadis die Aufgabe des Transformators. Der Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) versteht es, hochfliegende Pläne der Politik auf ein realistisches Maß herunterzudimmen.

Der 57-Jährige kann die Tage aufzählen, an denen Deutschland wegen massiver Netzprobleme nur knapp an einem Blackout vorbeigeschrammt ist. Er hält es für „gewagt“, wenn Politiker den beschleunigten Kohleausstieg heraufbeschwören und gleichzeitig von Versorgungssicherheit reden. Und in der „ein bisschen romantisierten“ Debatte über den klimaneutralen Umbau der Industrie scheut er nicht die Frage, wo denn die Unmengen von Wasserstoff herkommen sollen, die dafür nötig sind.

Für Fridays for Future und andere Klimaaktivisten ist Vassiliadis damit der perfekte Spielverderber. Doch der Gewerkschaftschef kann gar nicht anders. Denn für die gut 600.000 Mitglieder der IG BCE, die in den letzten verbliebenen Kohlerevieren, in der Energiebranche oder in der Chemie-, Kautschuk- oder Kunststoffindustrie arbeiten, ist eine erfolgreiche und sozial verträgliche Energie- und Klimawende, die Strom zu bezahlbaren Preisen sichert, eine Frage der Existenz.

„Wenn politische Entscheidungen ganze Branchen infrage stellen, dann können sich unsere Mitglieder darauf verlassen, dass wir da sind und nicht zögern, dass wir für ihre Interessen kämpfen und nicht vor Konflikten zurückweichen, dass wir unsere Kompetenz und unsere Kraft einsetzen und das Beste für sie rausholen“, rief Vassiliadis am Montag den rund 400 Delegierten beim alle vier Jahre stattfindenden Bundeskongress der Gewerkschaft in Hannover zu.

Dienstältester unter den acht DGB-Gewerkschaftschefs

An diesem Dienstag wird sich der gelernte Chemielaborant und Sohn eines griechischen Gastarbeiters zur Wiederwahl für eine vierte Amtszeit stellen. Seit 2009 steht er bereits an der Spitze der IG BCE und ist damit unter den acht Chefs der im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften der dienstälteste.

Damit kommt ihm gerade die undankbare Aufgabe zu, die Nachfolge von DGB-Chef Reiner Hoffmann vorzubereiten. Auch innerhalb des Gewerkschaftsbunds scheut Vassiliadis keinen Konflikt – etwa bei der umstrittenen Frage, ob der geforderte Transformationsfonds zum Umbau der Industrie allein mit staatlichem oder auch mit privatem Kapital gespeist werden soll. Und anders als andere Gewerkschafter, die mehr Umverteilung von Reich zu Arm forderten, mahnte Vassiliadis früh auch eine Reform des Steuertarifs an, weil viele der bei der IG BCE organisierten Facharbeiter heute unter den Spitzensteuersatz fallen.

Seine eigene Gewerkschaft hat Vassiliadis durch Höhen und Tiefen geführt. So drückte das politisch beschlossene Ende des Steinkohlebergbaus zwischenzeitlich die Mitgliederzahlen kräftig. Tarifpolitisch beschreitet die IG BCE immer wieder innovative Wege. So hat beispielsweise die chemische Industrie die erste tarifvertraglich abgesicherte Pflegezusatzversicherung eingeführt.

Die Transformation, über die in der Politik noch wortreich geredet wird, ist in den IG-BCE-Branchen längst in vollem Gange. Dies erleben derzeit etwa die Beschäftigten beim Autozulieferer Continental, wo Arbeitsplätze gestrichen und Werke geschlossen werden. Vassiliadis ist der Letzte, der sich dem Wandel verschließen würde. Aber er darf aus seiner Sicht nicht allein auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Deshalb macht sich der Gewerkschafter für eine Reform der Unternehmensmitbestimmung stark und will das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratschefs, mit dem die Kapitalseite ihren Willen durchdrücken kann, kippen.

Dabei dürfte dem SPD-Mitglied gefallen, dass in Berlin voraussichtlich bald SPD-Kanzler Olaf Scholz regiert, der offene Ohren für gewerkschaftliche Anliegen hat. Vassiliadis“ Partnerin Yasmin Fahimi sitzt für die SPD im Bundestag. Gerade in der Energie- und Klimapolitik wird die neue Regierung im IG-BCE-Chef aber auch immer einen lautstarken Mahner finden.

Das reiche Deutschland ist unter seinen Möglichkeiten geblieben

Das reiche Deutschland sei in den vergangenen Jahren unter seinen Möglichkeiten geblieben, sagte Vassiliadis in seinem Grundsatzreferat. „Zu Beginn dieses Jahrzehnts werden die Weichen für die Zukunft neu gestellt.“ Der Gewerkschafter forderte einen sozial verantwortlichen Transformationskodex, in dessen Rahmen Sozialpartner, Umweltverbände, Kirchen und die Politik den Wandel gestalten könnten. Dies sei eine Chance, aus den ideologischen „Schützengräben“ herauszukommen.

Die IG BCE werde sich in den Betrieben und bei der Politik für gute Arbeit, eine höhere Tarifbindung, mehr Einkommensgerechtigkeit, soziale Sicherheit und eine faire Transformation einsetzen. Die Politik müsse das Sicherheitsversprechen des Sozialstaats einlösen. Und wenn die wahrscheinliche Ampelkoalition wie geplant das Arbeitszeitgesetz öffnen wolle, dann werde es „richtig, richtig Ärger“ mit den Gewerkschaften geben – allen voran mit der IG BCE.

Vassiliadis größte Sorge gilt aber dem Standort: Wenn die Politik nicht bald die Rahmenbedingungen für das klimaneutrale Zeitalter setzt, werden die Unternehmen nicht investieren. Schon heute könne man dabei zusehen, wie die Industrie in Deutschland veralte, sagte Vassiliadis unlängst vor einem kleinen Kreis von Journalisten in Berlin. Das müsse sich rasch ändern. Denn: „Einen modernisierten Standort verlagert man nicht so schnell.“

Mehr: Ökonom Ockenfels mahnt: „Klimaziele reduzieren keine CO2-Emissionen“

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