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Digitale Souveränität Appell an die EU: Europas Regierungschefinnen wollen die Union digital unabhängiger machen

Bundeskanzlerin Merkel fordert mit den Regierungschefinnen von Estland, Dänemark und Finnland im Handelsblatt eine Offensive zur Stärkung der digitalen Souveränität.
02.03.2021 - 03:54 Uhr Kommentieren
Quelle: Getty Images
Europa braucht mehr digitale Souveränität
(Foto: Getty Images)

Brüssel, Berlin Es ist ein Weckruf von höchster Stelle – und er richtet sich an einen Kontinent, der um seine Zukunftsfähigkeit bangt: Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert in einem gemeinsamen Appell mit den Regierungschefinnen von Estland, Dänemark und Finnland im Handelsblatt eine Offensive zur Stärkung der digitalen Souveränität der EU.

„Digitale Wertschöpfung und digitale Innovationen finden in erheblichem Umfang außerhalb Europas statt“, schreiben Merkel und ihre Amtskolleginnen in einem Brief an EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. „Abhängigkeiten und Schwächen der europäischen digitalen Kapazitäten, Fähigkeiten und Technologien“ träten immer deutlicher zutage.

Die vier Regierungschefinnen wollen mit ihrem Appell die Anstrengungen der EU-Kommissionschefin unterstützen, Europas digitale Defizite zu beheben. Merkel, die Estin Kaja Kallas, die Finnin Sanna Marin und die Dänin Mette Frederiksen schlagen deshalb vor, einen „Aktionsplan für mehr digitale Souveränität“ vorzulegen und mit dem Wiederaufbaufonds zur Überwindung der Coronakrise Zukunftsprojekte zu fördern.

Handlungsbedarf sehen die Regierungschefinnen in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Quantencomputing, bei Cloudangeboten und neuen Netztechnologien. Ausdrücklich stellen sie sich hinter das Vorhaben der Kommission, große Plattformbetreiber wie Facebook, Google und Amazon stärker zu regulieren.

Die EU will dafür zwei Gesetze beschließen: den Digital Services Act und den Digital Markets Act. Von der Leyen hat zudem eine „Digitale Dekade“ ausgerufen, um Europas Rückstände aufzuholen. Noch diesen Monat will die Kommissionschefin Details präsentieren.

Ob Videokonferenzen, Bürosoftware oder Halbleiter: Die Pandemie hat gezeigt, wie stark Europas Wirtschaft auf fremde IT-Anbieter angewiesen ist. Vor allem auf die Techgiganten der USA, zunehmend aber auch auf chinesische Unternehmen.

Aus Sicht von Merkel und ihren Co-Autorinnen gibt es keine Zeit mehr zu verlieren. Sie warnen, dass „strategische Schwächen oder risikoreiche Abhängigkeiten“ zu „Versorgungsengpässen und Cybersicherheitsrisiken“ führen könnten.

Merkel, Kallas, Marin und Frederiksen wollen ihren Aufruf indes nicht als Abgrenzung von der neuen US-Regierung verstanden wissen. Im Gegenteil. Europa müsse seine technologischen Fertigkeiten „zusammen mit demokratischen Partnern in der ganzen Welt und auf der Basis eines starken transatlantischen Verhältnisses“ ausbauen. Das ist als Angebot an den neuen US-Präsidenten Joe Biden zu verstehen, der eine Allianz der demokratischen Staaten formen will, um autoritären Regimen gerade im Techsektor die Stirn zu bieten.

Zugleich jedoch wenden sich die europäischen Regierungschefinnen gegen einen Techprotektionismus – und machen damit einen Unterschied zu den USA deutlich. „Digitale Souveränität heißt für uns, auf unseren Stärken aufzubauen und unsere strategischen Schwächen zu reduzieren, nicht andere auszugrenzen oder protektionistisch zu handeln.“ Gerade Merkel hat immer wieder davor gewarnt, die europäische und die chinesische Wirtschaft technologisch zu entkoppeln. Der Forderung der USA nach einem pauschalen Ausschluss des chinesischen Netzausrüsters Huawei vom neuen deutschen Echtzeitmobilnetz 5G widersetzt sie sich beharrlich.

Seit Biden ins Weiße Haus gezogen ist, wächst das Interesse an einer technologiepolitischen Zusammenarbeit mit den USA in Berlin und Brüssel allerdings. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nahm sich am Montag bei einer Veranstaltung im Schloss Bellevue des Themas an. Er beschreibt eine „Konvergenz der Diskussionen“ über die Bändigung des Techsektors in den USA und in Europa. Die Amerikaner, betont Steinmeier, würden die Gefahren eines ungezügelten Daten- und Überwachungskapitalismus inzwischen ebenfalls erkennen.

Eine Tatsache, auf die auch Merkel und ihre Amtskolleginnen Bezug nehmen. „Demokratische Grundwerte stehen im digitalen Zeitalter weltweit unter erheblichem Druck“, schreiben sie. Steinmeier sieht nun sogar die „historische Chance“ gekommen, dem Modell der „digitalen Diktatur“ – eine unverhohlene Anspielung auf China – eine „demokratische Alternative“ entgegenzusetzen.

Das wird man in Washington gern hören. Die neue US-Regierung wirbt um die Europäer und will sie für gemeinsame technologiepolitische Initiativen gewinnen. Ob ein transatlantischer Techkonsens tatsächlich möglich ist, bleibt jedoch fraglich. Jedenfalls betrachten die USA mit einigem Argwohn, dass die Europäer bei der Regulierung der Techindustrie voranpreschen.

Mit dem Digital Services Act und dem Digital Markets Act will die EU die Digitalwirtschaft neuen Regeln unterwerfen. Der DSA definiert neu, welche Rechte und Pflichten Anbieter von Inhalten im Internet haben. Besonders große Plattformen, die mehr als zehn Prozent der EU-Bevölkerung erreichen, sollen viel stärker reguliert werden. Dabei geht es um das Entfernen von illegalen Inhalten und das Aufrechterhalten der Redefreiheit.

Der DMA soll das Wettbewerbsrecht auf Plattformökonomie anpassen: Trotz der vorhandenen Marktaufsicht haben die großen Anbieter wie Google, Facebook und Amazon eine große Marktmacht erreicht und haben nun eine „Gatekeeper“-Funktion. Das heißt, sie bieten kleineren Unternehmen Zugang zum Markt. Darum ist es besonders wichtig, dass sie diese Unternehmen fair behandeln und auch nicht gegenüber ihren eigenen Angeboten benachteiligen.

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US-Konzerne wie Facebook, Google und Amazon versuchen, beide Gesetzesvorhaben zu verwässern. Die EU dagegen erhofft sich eine Vorbildwirkung für die ganze westliche Welt. Denn die Macht der Digitalkonzerne ist nicht nur in Europa ein Thema. Zuletzt zeigte der Konflikt zwischen der australischen Regierung und Facebook, dass Staaten und Konzerne zu harten Maßnahmen bereit sind. Auch die EU will vor hohen Strafen nicht zurückschrecken. So sieht der aktuelle Entwurf des DMA Strafen von bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes vor.

Auch in Bezug auf Künstliche Intelligenz und den Aufbau von neuen Telekommunikationsnetzen laufen Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene. Allerdings will die Kommission eigentlich aus ihrer Rolle als reine Regulatorin von ausländischer IT-Technologie herauskommen. Sie will vielmehr die richtigen Bedingungen schaffen, um Europa wettbewerbsfähig zu halten und in zentralen Fragen den Vorsprung Chinas und der USA aufzuholen. „Europa muss im Digitalen nun führen – oder es wird den Wegen anderer folgen müssen, die die Standards für uns setzen“, sagte von der Leyen bei ihrer letzten Rede zur Lage der Union. „Darum müssen wir schnell handeln.“

Die Pandemie ist für die EU dabei auch eine Chance. Denn am Geld mangelt es nun nicht mehr. Die EU-Staaten haben sich auf ein Konjunkturpaket in Höhe von 750 Milliarden Euro geeinigt. 20 Prozent davon sind für die digitale Transformation vorgesehen. Die EU-Staaten sind derzeit dabei, ihre Vorschläge für die Verwendung des Geldes auszuarbeiten. Die finale Fassung soll jeweils bis zum 30. April vorgelegt werden.

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Gleichzeitig schiebt die Kommission eigene Digitalprojekte an:

  • Gaia-X hat das Ziel, Cloud-Anwendungen in Europa anzubieten, für die Unternehmen bisher auf amerikanische Server ausweichen mussten. Dazu sollen Rechenzentren auf Grundlage von einheitlichen Datenformaten miteinander vernetzt werden. Ein Vorteil wäre, dass die Daten dem Zugriff amerikanischer Geheimdienste entzogen wären. Diskussionen gibt es darum, dass große US-Unternehmen wie Google und Amazon und das chinesische Alibaba zum Mitmachen eingeladen werden. Damit ginge das Alleinstellungsmerkmal von Gaia-X verloren, sagen die Kritiker. Allerdings könnte das Know-how dieser Firmen helfen, ein konkurrenzfähiges Angebot aufzubauen.
  • Der elektronische Identitätsnachweis soll ein weiteres Hindernis für den digitalen Binnenmarkt beseitigen. Wie schon beim deutschen Personalausweis sollen damit alle Bürger die Möglichkeit haben, sich europaweit im Internet auszuweisen und auf dieser Grundlage auch Amtsgeschäfte zu erledigen. Der Nachweis wurde am 1. Januar 2021 eingeführt. Laut von der Leyen sollen sich Bürger damit auch bei Apps oder Webseiten einloggen können, bei denen sie bislang ihren Facebook- oder Google-Account nutzen. So sollen sie mehr Kontrolle darüber haben, was mit ihren Daten geschieht.
  • Supercomputer sollen es Unternehmen ermöglichen, große Datenmengen in kurzer Zeit zu verarbeiten. Die von der EU finanzierten Computer sollen an mehreren Standorten in Europa stehen und mit den besten Computern der Welt mithalten können. Ihre Leistung sollen Unternehmen abrufen können, wie sie auch Strom aus einem öffentlichen Netz beziehen, verspricht die EU.

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