Griechenland: EU-Aufbaufonds soll den Weg aus der Krise ebnen
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Serie: Das bessere WachstumSo will Griechenland Europas Wachstumschampion werden
Das Krisenland hofft dank EU-Aufbaufonds auf Investitionen, um kraftvoll aus der Pandemie durchzustarten. Aber es gibt auch Risiken.
Athen „Am Beginn einer neuen Ära“ sieht Theodoros Skylakakis sein Land. Als Vizefinanzminister ist der 61-jährige Ökonom in Athen für den Haushalt zuständig – und damit auch für die Verwendung jener Gelder, die in den nächsten sechs Jahren aus dem Corona-Aufbaufonds namens „Next Generation EU“ nach Griechenland fließen sollen.
Athen erwartet aus dem Programm 30,5 Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten. „Es ist eine Menge Geld“, sagte Skylakakis. „Wenn wir die Mittel klug einsetzen, können sie den Kurs unseres Landes dauerhaft verändern“, hofft er.
Die Regierung will den Aufbauplan nutzen, um die bisher in hohem Maß vom Tourismus abhängige griechische Wirtschaft breiter aufzustellen. Die Diversifizierung soll in Sektoren gehen, die man bisher nicht unbedingt mit Griechenland in Verbindung brachte: Informationstechnik (IT), Pharma, Logistik, Energie.
„Greece 2.0“ heißt das Reform- und Investitionsprogramm, das die Regierung in Athen mit den Geldern aus Brüssel umsetzen will. Am 13. Juli billigten die Euro-Finanzminister den griechischen Plan. „Historischer Moment für Griechenland, jetzt beginnt die harte Arbeit“, twitterte Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis. „Greece 2.0 ist die nächste Version unseres Landes, es ist das Bild des neuen Griechenlands“, so der Premier.
Aber zunächst einmal kämpft Mitsotakis mit den Herausforderungen der Gegenwart. Wieder steigende Infektionszahlen zeigen: Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Sie traf Griechenland zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt. Das Land begann sich gerade von der zehnjährigen Schuldenkrise und der längsten Rezession der Nachkriegsgeschichte zu erholen, da sorgte das Virus für einen neuen Absturz. 2020 schrumpfte das griechische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 8,2 Prozent.
Serie: Das bessere Wachstum
Weltweit wollen Staaten ihre Wirtschaft nach der Corona-Pandemie digitaler und grüner, widerstandsfähiger und gerechter gestalten. Beispiellose staatliche Investitionen sollen dies ermöglichen. Das Ringen um ein besseres Wirtschaftswachstum wird dieses Jahrzehnt prägen. Das Handelsblatt zeigt, mit welchen Ideen Länder ihr Wachstum verbessern wollen – und was Deutschland inspirieren könnte.
Weltweit wollen Staaten ihre Wirtschaft nach der Pandemie mit Rekordinvestitionen transformieren. Das Handelsblatt zeigt, wie Länder ihr Wachstum verbessern wollen.
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Jetzt geht es wieder aufwärts. Trotz der Pandemie ist die griechische Wirtschaft im ersten Quartal kräftig gewachsen. Das BIP legte um 4,4 Prozent zum Vorquartal zu. Griechenland ist damit ein besserer Jahresauftakt gelungen als den meisten anderen Euro-Staaten.
Der Aufschwung wird von den Investitionen getragen
Für die Solidität des Aufschwungs spricht, dass er vor allem auf das Konto der Investitionen geht. Sie stiegen im Jahresvergleich um 8,6 Prozent. Das starke Wachstum im ersten Quartal überraschte nicht zuletzt deshalb, weil der Tourismus fast völlig ruhte.
Der Fremdenverkehr ist traditionell der stärkste Motor der griechischen Wirtschaft. Er trägt in guten Jahren mehr als ein Fünftel zum BIP bei. Auch der private Verbrauch fiel als Wachstumsfaktor weitgehend weg, weil Geschäfte und Gastronomie geschlossen waren. „Trotz des Lockdowns lag das BIP im ersten Quartal nur 2,7 Prozent unter dem Niveau von 2019, vor dem Beginn der Pandemie“, erläutert Alex Patelis, Chef-Wirtschaftsberater von Ministerpräsident Mitsotakis, dem Handelsblatt. „Das zeigt, dass unser Wirtschaftswachstum nicht in so großem Maß vom Konsum und vom Tourismus abhängig ist, wie viele meinen.“
Im zweiten Quartal dürfte sich der Aufschwung nochmals beschleunigt haben. Darauf deutet die im April um 22,5 Prozent gestiegene Industrieproduktion hin. „Nachdem die Corona-Beschränkungen jetzt fast vollständig aufgehoben sind, werden die Dienstleistungen das Wachstum weiter beflügeln“, sagt Patelis. Die Analysten der National Bank of Greece rechnen für das zweite Vierteljahr beim BIP mit einem Plus von 12,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Kyriakos Mitsotakis
Der griechische Ministerpräsident will sein Land wirtschaftlich unabhängiger vom Tourismus machen.
(Foto: imago images/Pacific Press Agency)
Die EU-Kommission hat nach dem guten Start ihre Prognose für dieses Jahr von 4,1 auf 4,3 Prozent heraufgesetzt. Der griechische Finanzminister Christos Staikouras ist vorsichtiger und setzt weiterhin beim Wachstum 3,6 Prozent an. Regierungsunabhängige Institutionen sind weitaus optimistischer. Das angesehene griechische Wirtschaftsforschungsinstitut IOBE rechnet mit 5,5 Prozent. 2022 soll sich die Erholung fortsetzen. Die EU-Kommission erwartet für Griechenland ein Wirtschaftswachstum von sechs Prozent. Citigroup und DBRS Morningstar prognostizieren sogar 6,5 Prozent. Damit läge Griechenland in der EU in der Spitzengruppe.
EU-Aufbaufonds: Mehr als die Hälfte soll in Klimaschutz und Digitalisierung fließen
Starke Wachstumsimpulse werden aus dem EU-Aufbaufonds kommen. Fast 65 Prozent der Mittel sollen in Projekte zum Klimaschutz und in die Digitalisierung fließen. Die Regierung hofft, mit den Geldern aus Brüssel in den nächsten zehn Jahren private und öffentliche Investitionen von 70 Milliarden Euro anschieben zu können. Schon für das kommende Jahr rechnet Finanzminister Staikouras mit einem Anstieg der Investitionen um 30,3 Prozent.
„Als wir die Regierung übernahmen, lag Griechenland bei den ausländischen Direktinvestitionen in Europa auf Platz 35“, erläutert Wirtschaftsminister Adonis Georgiadis. „In unserem ersten Regierungsjahr ist das Land auf Rang 29 vorgerückt, im zweiten auf Platz 23 – trotz der Pandemie“, sagt Georgiadis. Nach einer Studie des Wirtschaftsprüfers EY (Ernst & Young) sind die ausländischen Direktinvestitionen (FDA) in Griechenland 2020 um 77 Prozent gewachsen. Der Anteil des Landes an diesen Investitionen in Europa hat sich damit verdoppelt.
Holger Schmieding, der als Chefvolkswirt der Berenberg Bank Griechenland seit vielen Jahren intensiv beobachtet, stellt fest: „Das Vertrauen internationaler Investoren in Griechenland ist recht hoch.“ Sobald die Pandemie ihren Schrecken verloren und der Tourismus sich normalisiert hat, seien die Wachstumsaussichten vergleichsweise gut, meint Schmieding. „Das Land hatte unter seiner reformorientierten Regierung vor der Pandemie begonnen, den dramatischen Rückschlag aus der Zeit vor der Schuldenkrise langsam wieder auszugleichen, und an diese Dynamik kann es nun anknüpfen“, sagt der Ökonom. Griechenland müsse aber den eingeschlagenen Weg fortsetzen und dafür sorgen, dass die Verwaltung die Reformen auch umsetzt, mahnt Schmieding.
Der Tourismus wird auch in Zukunft eine wichtige Säule der griechischen Wirtschaft sein. Die Regierung Mitsotakis will aber die Weichen zu einer breiteren Diversifizierung stellen, um dem Land ein nachhaltiges Wachstum zu sichern. Eine der Prioritäten von Premier Mitsotakis ist die Ansiedlung von IT-Firmen.
Viele Talente und Hilfe aus der Politik: IT-Branche entdeckt Griechenland
Der deutsche Softwareentwickler Teamviewer betreibt seit Ende 2019 im nordgriechischen Ioannina einen Entwicklungsstandort. Das Unternehmen will die Zahl der Beschäftigten von derzeit rund 50 auf 150 steigern. „Für Griechenland spricht die Kombination aus vorhandenem, bisher unausgeschöpftem Talentpotenzial, guten lokalen Rahmenbedingungen und Unterstützung seitens der Politik“, sagt Niederlassungsleiter Philipp Deutscher.
Teamviewer ist kein Einzelfall. Microsoft investiert in Griechenland gerade eine Milliarde Dollar in den Aufbau von drei Datenzentren seiner Cloud-Plattform Azure. Damit bekomme Griechenland „ein neues Ökosystem für Softwareentwickler“, sagt Microsoft-Präsident Brad Smith. Der Pharmakonzern Pfizer plant im nordgriechischen Thessaloniki ein Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.
Griechenland ist traditionell ein starker Standort der Pharmabranche. Arzneimittel spielen bei den griechischen Warenexporten eine führende Rolle. Berenberg-Chefökonom Schmieding sieht in der Produktion von Pharmazeutika großes Potenzial, „da der Pharmasektor auch nach der Pandemie eine Wachstumsbranche bleiben dürfte“. Auch vom neuen Boom im Bereich der Handelsschifffahrt und der Schifffahrtsdienstleistungen könne Griechenland profitieren, meint Schmieding.
Eine Studie der Alpha Bank identifiziert den Logistiksektor als eines der wichtigsten Wachstumsfelder Griechenland. Der chinesische Staatskonzern Cosco kaufte sich bereits 2016 bei der Piraeus Port Authority (PPA) ein und baute im Rahmen des Projekts „Neue Seidenstraße“ den Hafen zu einer Drehscheibe für den Containerverkehr zwischen Asien und Europa aus.
China sichert sich Zugriff auf den Container-Hafen von Piräus
Bevor Cosco in Piräus einstieg, war der Hafen in Europa beim Containerumschlag die Nummer 17. Heute liegt der Port of Piraeus nach Rotterdam, Antwerpen und Hamburg auf Rang vier. Unweit von Piräus entsteht derzeit mit dem Thriasio Logistics Centre auf 235.000 Quadratmetern einer der größten Frachtumschlagplätze Südosteuropas.
Chancen locken auch im Energiesektor. Bis 2030 soll das Land 67 Prozent seines Stromverbrauchs aus erneuerbarer Energie decken. Im nordgriechischen Makedonien will eine Investorengruppe den Kohleausstieg mit einem Pilotprojekt zur Gewinnung von grünem, aus erneuerbaren Quellen gewonnenem Wasserstoff flankieren. Investitionsvolumen: acht Milliarden Euro. Auf der Insel Astypalea setzt die Regierung gemeinsam mit VW ein Pilotprojekt zur Energie-Autonomie und E-Mobilität um.
Griechenlands BIP, das im vergangenen Jahr 168,5 Milliarden Euro erreichte, soll bis 2025 auf 217 Milliarden Euro wachsen. So steht es im jüngsten Fünfjahresplan der Regierung. Damit läge die Wirtschaftsleistung aber immer noch deutlich unter dem Vorkrisenniveau. 2008 hatte Griechenland 242 Milliarden Euro erwirtschaftet. Das zeigt, wie weit der Weg noch ist. Es zeigt aber auch, welches Potenzial das Land hat.
Über allen Wachstumsszenarien schwebt allerdings das große Corona-Fragezeichen. Auch in Griechenland meldet sich die Pandemie mit der besonders ansteckenden Delta-Variante zurück. Seit Sonntag stufen die deutschen Behörden das Land wieder als Risikogebiet ein und raten bei Reisen zu besonderer Vorsicht. Seit Ende Juni ist die Sieben-Tage-Inzidenz von 25 auf 177 gestiegen. Vor allem in den Beach Bars und Nachtklubs, in denen jetzt viele Urlauber feiern, breitet sich das Virus wieder rasant aus. Auf der Party-Insel Mykonos verhängten die griechischen Behörden am Wochenende ein Musikverbot und eine nächtliche Ausgangssperre. Eine vierte Welle könnte den Tourismus und damit die griechische Wirtschaft noch einmal zurückwerfen.
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