Swiss Re-Chef Christian Mumenthaler: „Beim Klimawandel könnte plötzlich etwas kippen“
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Christian Mumenthaler im InterviewSwiss-Re-Chef: „Beim Klimawandel könnte plötzlich etwas kippen“
Der Chef des Rückversicherers warnt vor zunehmenden Gefahren durch Fluten und Waldbrände. Corona habe die Welt nur vorübergehend klimafreundlicher gemacht.
Der Chef des Rückversicherers Swiss Re hält eine verpflichtende Versicherung gegen Elementarschäden für durchaus sinnvoll.
(Foto: Salvatore Vinci / 13 Photo)
München, Zürich Wenige Wochen vor der UN-Klimakonferenz in Glasgow fordert der Chef des Rückversicherers Swiss Re mehr Entschlossenheit beim Absenken der Treibhausgase. „Beim Klimawandel besteht die Sorge, dass plötzlich etwas kippen könnte im System“, warnt Christian Mumenthaler im Gespräch mit dem Handelsblatt. Dann könnten relativ kurzfristig große Klimaveränderungen auftreten.
Schon jetzt sei zu beobachten, dass als Folge des Klimawandels die sogenannten sekundären Schäden zugenommen hätten, also durch Dürre, Hagel, Waldbrände oder Fluten.
Swiss Re bleibe bewusst auch in solche Unternehmen investiert, die eine verbesserungswürdige Klimabilanz aufweisen. Nur so könne man Druck machen, erklärt der Manager.
In Deutschland gibt es seit der verheerenden Flut im Sommer Diskussionen um eine mögliche Zwangsversicherung für Hausbesitzer. Einer solchen kann Mumenthaler im Gegensatz zu anderen Branchenvertretern durchaus etwas abgewinnen. Beispiele aus der Vergangenheit zeigten, dass der Staat als Krisenhelfer oft überfordert sei, erklärt er. Generell dürften die Preise nach seiner Einschätzung eher steigen. „Aber ich sehe kein fundamentales Problem, dass bestimmte Schäden gar nicht mehr versicherbar sind.“
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Herr Mumenthaler, wir haben in diesem Jahr eine Reihe von Naturkatastrophen erlebt, gefühlt häufen sie sich. Wie sehr bestimmt das Ihren Arbeitsalltag? Die Wahrnehmung hat sich stärker geändert als die Realität. In diesem Jahr ist vieles auch in Europa passiert, daher ist die Sensibilität der Bevölkerung hier stark gestiegen. In den Zahlen selbst sieht man das allerdings nicht. Im ersten Halbjahr lagen die wirtschaftlichen Schäden von Naturkatastrophen weltweit bei 77 Milliarden Dollar. Das ist deutlich unter dem Schnitt der letzten zehn Jahre.
Der Weltklimarat geht davon aus, dass das Wetter immer extremer wird. Kommen wir an den Punkt, an dem Elementarschäden nicht mehr versicherbar sind? In der Wissenschaft besteht Konsens, dass als Folge des Klimawandels die sogenannten sekundären Schäden zugenommen haben, also zum Beispiel durch Dürre, Hagel, Waldbrände oder Fluten. Das entspricht dem, was wir auch dieses Jahr beobachtet haben. Darauf müssen wir als Versicherer natürlich reagieren und die Risikomodelle anpassen. Die Konsequenz sind höhere Prämien. Für die allermeisten Kunden werden die Preise für Versicherungen in den kommenden zehn bis 20 Jahren steigen. Aber ich sehe kein fundamentales Problem, dass bestimmte Schäden gar nicht mehr versicherbar sind.
Können Sie die wachsende Bedeutung dieser Sekundarschäden beziffern? Letztes Jahr entfielen weltweit über 70 Prozent der versicherten Naturkatastrophenschäden auf Sekundärereignisse, was rund 60 Milliarden Dollar entspricht. Die absoluten Schadensummen der Sekundärgefahren haben in den letzten Jahren stetig zugenommen, getrieben auch durch die zunehmende Urbanisierung und die Ausbreitung besiedelter Fläche, gerade auch in gefährdeten Gebieten wie ehemaligen Überschwemmungszonen. So beliefen sich im Jahr 2000 Schäden von Sekundärgefahren auf elf Milliarden Dollar und im Jahr 2010 auf rund 30 Milliarden Dollar.
Lassen sich die Kosten des Klimawandels überhaupt noch verlässlich kalkulieren? Rückversicherer kalkulieren nicht alle anfallenden Kosten des Klimawandels, sondern modellieren die Einwirkung des Klimawandels auf Häufigkeit und Ausmaß von Naturgefahren wie Windstürme oder Überschwemmungen heute. Wir haben ein Team von rund 30 Wissenschaftlern, die alle Arten von Naturkatastrophen auf der ganzen Welt modellieren. Die Modelle werden laufend angepasst.
Halten Sie es für sinnvoll, nach Überschwemmungen in Ufer- oder Küstenregionen die Häuser wieder aufzubauen? Das müssen natürlich andere als Versicherer entscheiden. Aber die Branche ist insofern nützlich, als dass sie einen Preis für das Risiko ermittelt. Wenn die Prämie zu hoch ausfällt, ist das auch ein Signal, dass ein Wiederaufbau wirtschaftlich nicht sinnvoll sein kann.
Flutschäden in Altenahr
Im Juli führte zerstörte das Hochwasser an der Ahr und anderen Flüssen in Deutschland zahlreiche Häuser und Straßen.
Das heißt, man muss den Siedlungsbau in gefährdeten Regionen wie dem Ahrtal völlig neu denken? Auch in Deutschland kann man durchaus noch mehr in Prävention investieren, damit bei der nächsten Flut die Schäden geringer ausfallen. New Orleans ist bei dem Thema Klimaadaption ein Vorbild: Die Stadt hat nach Hurrikan Katrina 2005 rund 14,5 Milliarden Dollar in Schutzmaßnahmen investiert. Und dieses Mal haben die Dämme gehalten.
In Deutschland gab es den Ruf nach einer Zwangsversicherung für Elementarschäden. Die ist in der Branche durchaus umstritten. Wie sehen Sie das? Letztendlich muss das die Politik entscheiden. Was ich jedoch beobachte, ist, dass Systeme ohne Versicherung extrem ineffizient sind. Wenn die Menschen nicht versichert sind, aber erwarten, dass der Staat einspringt, passiert oft das Gleiche: Im Katastrophenfall braucht der Staat Zeit, hat das Geld nicht parat, oft fehlt ein Mechanismus, mit dem das Geld verteilt wird. Darum sind Systeme, in dem die Versicherungen früh eingebunden sind, im Vorteil. Aus meiner Sicht ist das gesamtwirtschaftlich sinnvoller. Das Erdbeben in L’Acquila in Italien 2009 ist ein gutes Beispiel. Die staatlichen Hilfsgelder sind verpufft, die Ruinen stehen aber noch. Wieder aufgebaut wurden nur die wenigen Häuser, welche versichert waren.
Welche Möglichkeiten haben die Versicherer selbst, den Klimawandel zu bekämpfen? Grundsätzlich haben die Versicherer zwei Hebel: bei der Frage, welche Unternehmen sie versichern wollen, und bei der Frage, wie die Prämiengelder angelegt werden sollen. Das Ziel, bis 2050 keine Treibhausgase mehr zu emittieren, muss aus meiner Sicht der Weg sein, den wir alle nehmen. Und zwar durch die ganze Wertschöpfungskette hindurch gesehen, also auch unsere Zulieferer und unsere Produkte müssen CO2 „netto null“ sein.
Swiss Re gehört mit rund 40 Großinvestoren der Net Zero Asset Owners Alliance der Vereinten Nationen an, in der 6,6 Billionen Dollar vereint sind. Hilft nur gemeinsamer Druck, um Veränderungen zu erreichen? Zuallererst: Die Summe soll bald auf zehn Billionen Dollar wachsen, das ist mehr als die gesamte Wirtschaftsleistung von Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen. Alle Firmen, in die investiert wird, müssen künftig auf dem Null-Emissions-Pfad sein. So üben wir Druck aus, auch mit Zwischenzielen. Natürlich könnten wir das Ziel eines emissionsfreien Portfolios schon heute erreichen, indem wir alle schwierigen Bonds aus dem Portfolio werfen. Aber dann könnten wir keinen Druck mehr machen. Stattdessen bleiben wir bewusst in allen Industrien involviert. Das ist der Gamechanger.
Genau daran entzündet sich jedoch immer wieder Kritik von Umweltverbänden, die beispielsweise den sofortigen Ausstieg aus der Kohle fordern. Gewisse Entwicklungsländer sind auf Kohle angewiesen, sonst kollabiert ihr System. Das wäre nicht in unserem Sinne. In den entwickelten Ländern haben wir dagegen unseren Rückzug angekündigt. Auch versichern wir keine neuen Kohlekraftwerke oder -vorkommen mehr. Für die bestehenden Verträge müssen wir Lösungen finden.
Reicht denn das Net-Zero-Ziel bis 2050, oder ginge es womöglich schneller? Das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 ist eine Riesenherausforderung. Die Dimensionen des Wandels sind episch. Ich sehe keine Chance für die Menschheit, das früher zu erreichen.
Warum? Es braucht dann grünen Stahl, Aluminium, Zement, Ammonium und Treibstoffe. Selbst dann wird es aber immer noch Emissionen geben. Deswegen müssen zusätzlich Technologien entwickelt werden, die Kohlendioxid aus der Atmosphäre extrahieren. Aus Sicht der Wissenschaftler vom IPCC-Bericht sind das zehn bis 20 Gigatonnen pro Jahr. Heute liegt die gesamte Emission bei rund 40 Gigatonnen. Wir müssen also in 30 Jahren von plus 40 Gigatonnen auf minus zehn bis 20 Gigatonnen kommen, und diese Negativemissionen dann noch 50 Jahre bis ins Jahr 2100 durchziehen. Allerdings gibt es die Industrie dazu noch gar nicht, nur ein paar Start-ups. Bis 2050 muss so eine ganze Industrie aus dem Boden gestampft werden. Aber wenn man das schafft, ja, wenn die Menschheit sich auf die 2050er-Ziele einigen kann, dann stehen wir natürlich vor einem riesigen Wirtschaftsboom.
Welchen Beitrag müssen die Länder dazu leisten? Die weltweite Initiative dazu gibt es schon, nämlich das Pariser Abkommen. Die Summe aller Länder müsste sich darauf einigen. Bisher haben sich aber nur zwei Drittel dieses Ziel gesetzt.
Vita Christian Mumenthaler
Der 52-jährige Christian Mumenthaler leitet seit Juli 2016 den großen Schweizer Rückversicherer, der der wichtigste Rivale des Dax-40-Konzerns Munich Re ist. Nach der Promotion in Molekularbiologie und Biophysik begann Mumenthaler seine Karriere im Jahr 1999 bei Swiss Re und stieg rasch auf. Von 2005 bis 2007 war er Group Chief Risk Manager und von 2007 bis 2010 leitete er die Geschäftseinheit Life & Health. Das Weltwirtschaftsforum in Davos wählte ihn zwischen 2005 und 2010 zum Young Global Leader.
Swiss Re zählt zu den größten Rückversicherern der Welt und ringt seit Jahren mit der Munich Re um den Titel des Branchenführers. Corona belastete den Versicherer jedoch schwer. Seither haben die Münchener wieder die Nase vorn. Im vergangenen Jahr fuhr Swiss Re einen Verlust von 878 Millionen Dollar ein, nachdem im Jahr davor ein Gewinn von 727 Millionen Dollar erzielt worden war. Allein 3,9 Milliarden Dollar mussten die Schweizer für Corona-bedingte Schäden zurückstellen.
Und die Firmen? Bisher haben sich ungefähr 20 Prozent der 2000 größten Firmen der Welt dazu verpflichtet, 2050 netto null zu erreichen, und täglich werden es mehr. Um das zu schaffen, werden diese Firmen Druck auf Zehntausende von Zulieferern machen, welche dann denselben Weg einschlagen müssen. Es gibt dadurch einen „Schneeballeffekt“, der mich zuversichtlich stimmt.
Gibt es dazu Zahlen? Die meisten CO2-intensiven Produkte wie Stahl, Aluminium, Zement und so weiter könnte man mit neuen Technologien „grün“ herstellen, allerdings zu viel höheren Kosten. Eine Studie zeigt aber, dass Endprodukte wie Autos, Häuser, Kleider nur um zwei bis vier Prozent teurer würden, wenn man diese Kosten auf die ganze Wertschöpfungskette rechnet. Das Problem ist, dass die Industrien mit dem größten Umstellungsprozess heute die kleinsten Margen verdienen. Sie brauchen Zusagen der Endkunden, die zum Beispiel den teureren grünen Stahl abnehmen.
Auf Länderebene müssten dann auch die beiden größten CO2-Emittenten USA und China gemeinsame Sache machen. Ist das angesichts der jüngsten Auseinandersetzungen überhaupt denkbar? Hier ruhen große Hoffnungen auf der UN-Klimakonferenz Cop26 Ende Oktober in Glasgow, dass hier das Bekenntnis zum Pariser Abkommen erneuert und verstärkt wird. China hat sich allerdings erst für 2060 zur Klimaneutralität verpflichtet, weil sie in einem anderen Stadium ihrer Entwicklung stehen. Bei den USA, die zwischenzeitlich ausgestiegen waren, kann man nur hoffen, dass von der dortigen Führung noch mehr kommt.
Sind Sie als Investoren damit weiter als die Politik? Wir erreichen mit unseren Forderungen auch Firmen, die in Ländern ohne Klima-Restriktionen tätig sind. Daneben gibt es das Risiko, dass andere Firmen eigene Kreisläufe ohne Verpflichtung schaffen. Dafür ist dann die Länderebene notwendig, um Druck auszuüben. Generell bin ich im Moment optimistischer bei den Firmen als bei der Politik, aber mittelfristig muss alles Hand in Hand gehen.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Risiken in den nächsten fünf Jahren? Die geopolitischen Risiken mit den Spannungen zwischen USA und China sind klar vorhanden. Hier kann man sich auch noch schlechtere Szenarien vorstellen. Beim Klimawandel besteht die Sorge, dass plötzlich etwas kippen könnte im System und innerhalb relativ kurzfristiger Sicht große Klimaänderungen auftreten könnten. Solche sogenannten nichtlinearen Effekte kann man nicht voraussehen. Dazu sind Cyberrisiken mittlerweile ein natürliches Feld für Großrisiken.
Die Corona-Pandemie hat die weltweite Mobilität in den vergangenen anderthalb Jahren stark gebremst. Hat das im Nachhinein für das Klima etwas gebracht? Nein. Indem alle Wirtschaftsaktivitäten runtergefahren wurden, wurden ein paar Prozent an Emissionen weniger ausgestoßen. Wenn die Wirtschaft wieder loslegt, ist das in null Komma nichts wieder verbraucht. Es wurde nichts systemisch verbessert. Herr Mumenthaler, vielen Dank für das Interview.
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