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  4. Forscherin entschlüsselt die geheimen Codes des Auktionators Hugo Helbing

Forschungen zum KunsthandelAnnotierte Auktionskataloge: Blick ins schlagende Herz des Kunsthandels

Brisante Quellen der Galerie Hugo Helbing wurden digitalisiert und ausgewertet. Die für die Restitution relevanten, meist geheim gehaltenen Verkäufernamen sind jetzt abrufbar. Eine Sensation.Susanne Schreiber 16.02.2022 - 11:24 Uhr Artikel anhören

Diese handschriftliche Liste enthält die Namen der Einlieferer.

Foto: Sophia Barth, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München

München. Noch sind sie unterschätzt. Auktionskataloge rücken nur langsam ins Bewusstsein von Juristen, Politikerinnen und Erben, von Kunsthistorikerinnen, Provenienz-Forscherinnen und Gutachtern der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Doch Auktionskataloge sind eine reich sprudelnde Quelle in Zusammenhang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut.

Vor allem, wenn Mitarbeitende des Versteigerers sie mit Notizen zu den ansonsten streng gehüteten Käufernamen und Zuschlagspreisen gefüllt haben. Das allein ist eine Rarität und eine Fundgrube für Forschende. Noch besser wird es, wenn nicht nur die Protokollkataloge überliefert sind, sondern zusätzlich auch die Auktionatoren-Exemplare mit notierten Verkäufernamen, Mindestverkaufspreisen und Auftragsgeboten. Solch ein doppelter Katalogsatz ist durch Schenkung und Dauerleihgabe für die Galerie Hugo Helbing ins Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) in München gelangt.

Der Münchener Kunsthändler Hugo Helbing gehörte zur Weltklasse. Er veranstaltete zwischen 1887 und 1937 etwa 800 Auktionen. Darunter waren so berühmte Sammlungen wie die von Walter von Pannwitz, die Porzellansammlung Georg Hirth und zusammen mit seinem Berliner Partner Paul Cassirer die Sammlungen Dr. Richard Kaufmann und Joseph Spiridon.

Helbing brachte aber auch weniger wertvolle Bilder, Skulpturen, Grafik, Porzellan und Silber unter den Hammer. So lange, bis ihn die Nationalsozialisten 1935 zur Geschäftsaufgabe zwangen und ihn 1938 folterten - mit tödlichen Folgen.

In dem DFG-Gemeinschafts-Projekt „Unikales Quellenmaterial“ wurden 1100 mit Notizen angereicherte Handexemplare des Auktionshauses Hugo Helbing vom ZI, der Universitätsbibliothek Heidelberg in Kooperation mit der Technischen Universität Berlin digitalisiert und erforscht. Auf der Plattform arthistoricum.net stehen diese wertvollen Dokumente unter „German Sales“ im Kontext anderer Auktionshäuser kostenlos zur Verfügung.

Der Kunsthändler hatte seine Geschäftsräume in der Liebigstraße 21 Ecke Wagmüllerstr. 15 in München. Die Bilder wurden 1901 und 1902 gemacht.

Foto: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München

Eine Online-Tagung der Projektbeteiligten führte kürzlich die Relevanz des hochkarätigen Materials für viele Disziplinen anschaulich vor Augen. Von über einer halben Million Seitenaufrufen aus aller Welt, berichtet Maria Effinger, die bibliothekarische Leiterin des Projekts.

Die Forscherin Theresa Sepp hat am ZI die Digitalisate wissenschaftlich aufbereitet. Erst durch ihre Studien werden Handschriften, Namen und Kürzel verständlich und verweben sich zu Einblicken in Geschichte und Kunsthandelsgeschichte. Ein paar ihrer für die Branche so wichtigen Ergebnisse seien hier vorgestellt.

Theresa Sepp hat, wie sie in ihrem Referat erläuterte, 363 Kataloge mit Einlieferer- und 912 mit Käufernamen erschlossen. Dabei ließen sich sogar Decknamen und Vertreter wie Rechtsanwälte bestimmten Sammlern oder deren Nachlässen zuweisen.

Weltklasse
Hugo Helbing
Helbings Auktionskataloge

Doch der für Restitutionsbegehren folgenreiche Knaller sind 278 Listen von einliefernden Besitzern – säuberlich in alphabetischer Reihenfolge mit Tinte geschrieben. Viele Kunstsammler verkauften in den 1930er-Jahren nicht freiwillig, sondern auf Grund wirtschaftlicher Not, in die sie durch die nationalsozialistische Rassepolitik geraten waren.

Diese brisanten Verkäufernamen sind jetzt digital abrufbar. Nehmen wir an, eine Familie weiß, dass ihre Vorfahren bis in die 1930er-Jahre hinein ein Spitzweg-Gemälde besaßen. Sie kann jetzt unter Spitzweg im Volltext-Feld nach Katalogbeschreibungen suchen, aber auch in den Einliefererlisten den Familiennamen. Man muss lediglich wissen, dass man „Liste der Personen“ in das Titelfeld zu schreiben hat.

Besitzerwechsel sind jetzt vielfach erstmals eindeutig zu belegen. Damit haben diese digitalisierten Listen politische Relevanz für zahlreiche kommende Restitutionsverfahren.

Theresa Sepp konnte Handschriften, Namen und Kürzel entschlüsseln.

Foto: Theresa Sepp, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München

„Das ist ein Blick ins schlagende Herz des Kunsthandels“, sagt Christian Fuhrmeister, Professor am ZI, dem Handelsblatt. Aber es wird noch besser. Theresa Sepp kann aus 350.000 Helbing-Losen Transaktionen rekonstruieren, die für die Frage, an wen restituiert werden muss, von großer Wichtigkeit sind. Etwa, wenn bestimmte Kunstwerke mehreren Eigentümern zu unterschiedlichen Anteilen gehörten, weil Kooperationen und sogenannte Shares üblich waren.

Die nun digitalisierten Hugo Helbing-Kataloge erlauben tiefen Einblick in Geschäftspraktiken. So tauchen in vielen Katalogtypen Preiscodierungen durch Buchstaben auf. Dank Theresa Sepp kann die Kunstbranche jetzt anhand des Begriffs „Rindskopf“ bestimmen, welcher Preis versteckt wurde.

Nationalsozialismus

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Sepp vermutet, der Code für die Ziffern 1 bis 9 leite sich aus dem ersten Buchstaben des hebräischen Alphabets ab, dem nach einem stilisierten Stierkopf geformten Alef. Anne Uhrlandt lüftete auf dem Kolloquium den Code der Galerie Max Stern. Der Düsseldorfer Händler Stern hatte „compagnies“ benutzt. Auch der Code der Galerie Heinemann aus München ist geknackt. Sie verwendete die Buchstaben aus dem Wort „Vorsehung“.

Warum aber werden Preise in internen Katalogen chiffriert? Stephan Klingen, Leiter der Photothek des ZI, erklärt im Video-Gespräch mit dem Handelsblatt, dass ausgewählten Kunden durchaus Einblick gewährt wurde in die Handexemplare: „Da verrieten die codierten Preise dann nicht, was ein Mitbieter bereits als Limit abgegeben hatte.“

Regelmäßig wurden bei Helbing auch außer Katalog Kunstwerke versteigert, erläuterte Theresa Sepp bei dem Kolloquium. Auch bei a.K.-Objekten lassen sich jetzt erstmals durch handschriftliche Ergänzungen in den Katalogen die Art eines Objektes ermitteln, Preiserwartung bzw. Zuschlagspreis, Einlieferer und Käufer.

Die digitale Verfügbarkeit der Auktionsdaten aus der Galerie Hugo Helbing hat bereits jetzt breite Forschung angeregt. Das machten Kolloquiums-Beiträge zu Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kunsthandelsgeschichte, zu Judaika und antiker Kunst deutlich. So konnte der Archäologe Georg Gerleigner die Sammlung des verfolgten Archäologen Georg Dehn rekonstruieren und die Provenienzen im Erlangener Antikenmuseum klären.

Doch mit der reinen Digitalisierung von Massendaten allein ist es nicht getan. Es braucht kundige Erläuterung. Das spürt jede Nutzerin, die sich durch die Helbing-Kataloge klickt. Was stellen jene Ziffern dar, die weder Mindestpreis noch Zuschlagspreis sind? „Das sind meistens die Lagernummern der Galerie Helbing“, erläutert die promovierte Kunsthistorikerin Sepp. Lagerbücher aber sind nicht überliefert.

Wer solche Notate nicht selbständig entziffern kann, ruft nach weiteren Handreichungen auf der durchaus hilfreich gestalteten Hugo Helbing-Startseite. Doch sie könne keine Leseanleitung liefern, die Sachverhalte fixiere, räumt Sepp ein. „Die Geschäftspraktiken ändern sich immer wieder. Nicht immer stehen die Einlieferer und ihre Preisvorgabe links, die Käufer mit dem Zuschlag rechts am Rand und die Lagernummer links in lila.“

Restitution

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Das ZI hat bereits vor Helbing die Archive der Kunsthandlung Julius Böhler, der Galerie Heinemann sowie annotierte Kataloge des Auktionators und NSDAP-Mitglieds Adolf Weinmüller erforscht und erschlossen. In diesem vibrierenden Forschungsknotenpunkt ist geballtes Wissen vorhanden, mehr als sich digital darstellen lässt.

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Vielleicht muss sich jetzt im Bewusstsein der geldgebenden Politiker etwas ändern: Weg von der Projektförderung, hin zu festen Stellen. Forschungseinrichtungen wie das ZI tragen auf internationaler Ebene dazu bei, dass Deutschland die Prinzipien des fairen und gerechten Umgangs mit NS-verfolgungsbedingt abhanden gekommenem Kulturgut umsetzen kann.

Schreibt man aber die Projektförderung fort, droht fortgesetzter Braindrain, wenn junge Wissenschaftlerinnen nach Projektende weiterziehen. Vielleicht ist die Zeit nach der wissenschaftlichen Erschließung der Helbing-Kataloge reif für die Einsicht, dass Archivmaterial unser gemeinsames Kulturerbe ist. Es muss gepflegt werden wie die Kunst.

Mehr: Buchbesprechung: Die Restitution von Kulturgütern: Ein politisches Projekt

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