Künstlernachlässe: Plötzlich ist alles nur noch ein Drittel wert

Atelier in der Fondation Hartung-Bergman im südfranzösischen Antibes.
Berlin. „Wer als Künstler nicht auf dem Markt präsent ist, existiert nicht. Der Markt ist Teil ihres Jobs.“ Der belgische Kunsthistoriker Joost Declercq wusste, wovon er sprach, als er im September 2016 in Berlin seine Erfahrungen mit dem Management von Künstlernachlässen zusammenfasste. Zehn Jahre arbeitete er für die südfranzösische „Fondation Hans Hartung et Anna-Eva Bergman“, bevor er 2005 die Leitung des Museums Dhondt-Dhaenens in der Nähe von Gent übernahm.
Dabei hatte es Declercq im Fall Hartung mit komfortablen Bedingungen zu tun. Der Künstler, der nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die sechziger Jahre zu den Stars der europäischen abstrakten Malerei gehörte, hinterließ Geld, eine schöne Immobilie und ein so umfangreiches Œuvre, dass aus ihm auch verkauft werden konnte. Ebendies ist für einen Nachlass von essenzieller Bedeutung, da er nur so Zugang zum Kunstmarkt erhält.
Doch der Markt ist ein komplexes Phänomen und die Kompetenz, sich darin zu bewegen, ist nicht unbedingt im Museum angesiedelt. Laut Declercq sind Museen sogar „komplett unfähig, einen Estate zu führen“. Täglich etwa hätte sich der Hartung-Estate „mit diesem Geldproblem“ herumschlagen müssen. „Dabei saßen wir auf einem Haufen Geld“, erinnert sich der Kunsthistoriker. Doch der französische Staat verlangte 25 Millionen Franc Erbschaftsteuern. Als Hartung 1989 starb, wurde sein Nachlass mit drei Milliarden Franc bewertet. Kurz danach kam es infolge der Kunstmarktkrise zu einem Preissturz, und alles war plötzlich nur noch ein Drittel wert.
Die Gründe, warum Declercq den Museen in Sachen Nachlass so wenig zutraut, liegen aber tiefer. Kunsthistoriker sind noch immer zu sehr fixiert auf das Objekt. Sie sind an Auslegung und Einordnung interessiert, womit sie den Gegenstand ihres Interesses nebst ihrem Schöpfer aber auch ungewollt verklären. Estates dagegen hätten sich auf die Lebenswirklichkeit des Künstlers zu konzentrieren. Sie seien Kompetenzzentren, die Wissen über seine künstlerische Praxis und sein Tun im gesellschaftlichen Kontext sammeln und anschaulich machen. In Sachen Hartung rückt er zu romantische Vorstellungen gerade: Bis zu 23 Bilder habe der Maler täglich produziert. „Das war tatsächlich eine Fabrik.“
Vorlass für Wuppertal
„Keeping the Legacy Alive“ hatten Loretta Würtenberger und Daniel Tümpel ihre Tagung betitelt, wohl wissend, wie unterschiedlich die Wege sein können, die von den Estates beschritten werden. Die Arbeit an einem Nachlass muss jedoch nicht zwangsläufig erst posthum einsetzen; und sie kann von Fall zu Fall auch gewinnbringend in einem Museum angesiedelt sein. Das beweist nicht nur die eigens für die Aufnahme von Künstlernachlässen konzipierte Berlinische Galerie, sondern auch das Gerhard Richter Archiv unter dem Dach der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Erst vor wenigen Wochen gelang es dem Wuppertaler Von der Heydt-Museum, einen kleinen Vorlass des Fotografen Bodo Niederprüm zu erwerben. Entdeckt wurde er vor einem Jahr von dem Künstler Bogomir Ecker. Es war nur ein einziges Konvolut, bestehend aus 139 Negativen. Aber die hatten es in sich, weil Niederprüm, der spätere Werbefotograf, mit gutem Auge eine der wegweisenden Fluxus-Aktionen Deutschlands ins Bild gesetzt hatte: „24 Stunden“, aufgeführt am 5. Juni 1965 in der Wuppertaler Galerie Parnass. Sie gehörte damals zu den führenden Treffpunkten der Avantgarde im Rheinland.
Die schönsten Bildstrecken waren kürzlich im Malkasten in Düsseldorf ausgestellt, in den Hauptrollen mit Wolf Vostell, Joseph Beuys und Nam June Paik mit seinem lebensgroßen Roboter und seiner anmutig müde werdenden Partnerin Charlotte Moorman. Mitten unter ihnen ein fasziniertes und schockiertes Publikum. Bislang gab es von dem sogenannten „24-Stunden-Happening“ nur eine Bildserie von Ute Klophaus. Durch den Bilderfund wissen wir nun mehr über dieses vergängliche Kunstwerk.





