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KunstfälschungenGeschenk mit Nebenwirkungen

Vergiftetes Geschenk: Das kritische Auge der Kunsthistoriker und Museumsfachleute hat versagt. So konnten Max-Ernst-Fälschungen teuer verkauft werden.Christiane Fricke 02.07.2011 - 18:02 Uhr Artikel anhören

Düsseldorf. Es war kein harmloses „Ei“, das der Max-Ernst-Experte Werner Spies da ins von ihm selbst so bezeichnete „Nest“, das Max Ernst Museum in Brühl, gelegt bekam, eher schon ein vergiftetes Geschenk. Aber das kam erst fünf Jahre später heraus. Da begann die Kunstwelt, die Fäden einer verworrenen Geschichte zu ordnen und Fragen zu stellen. Die Rede ist von einem ungewöhnlich großzügigen Geschenk, das Ende 2006 in das Max Ernst Museum in Brühl gelangte: ein als „Hommage an Werner Spies“ deklariertes Selbstporträt von Max Ernst, überreicht von der Pariser Galerie Cazeau-Béraudière. Im Zuge der Aufklärung des Fälscherskandals könnte das „Ei“ nun ungeahnte Kräfte entwickeln. Gibt es eine Verbindung zum 7-Millionen-Verkauf des angeblich 1927 gemalten Max-Ernst-Gemäldes „La Forêt (2)“, das zuvor einige Monate im Max Ernst Museum ausgestellt wurde? War das Geschenk ein Dankeschön?

„Diese Verbindung gibt es nicht", dementiert Peter Raue, der Anwalt des Experten. Werner Spies habe mit dem 7-Millionen-Verkauf gar nichts zu tun und auch nicht mit dem Geschenk an das Museum, „sieht man davon ab, dass er dankbar war, in ,seinem’ Museum, dessen geistiger Vater er ist, ein weiteres Werk von Max Ernst zu wissen“. Auch das Max Ernst Museum in Brühl wehrt sich gegen die Spekulationen, die Schenkung der Galerie Cazeau-Béraudière hätte etwas mit dem vorausgegangenen Verkauf an Filipacchi zu tun. „Zudem: Was mit Leihgaben passiert, wenn sie das Museum wieder verlassen haben, das entzieht sich unserem Einfluss“, sagt Museumschef Achim Sommer.

„La Forêt (2)“gehört zu den sieben angeblichen Max-Ernst-Werken, die von Werner Spies begutachtet und für eine Aufnahme ins Werkverzeichnis vorgesehen waren. Damit gehört Max Ernst (1891-1976) zu jenen von dem Fälschungsfall Jägers betroffenen Künstlern, von dem die meisten Falsifikate auf den Markt gelangten. (Handelsblatt v. 26.11.2010) Insgesamt stellten die Ermittler bislang 47 Bilder sicher, darunter vermeintliche Werke von Heinrich Campendonk, Max Pechstein, André Dérain, Kees van Dongen und Fernand Léger. Eine vierköpfige Betrügerbande soll sie gefälscht und als „Sammlungen Jägers“ und „Knops“ über Jahre in Verkehr gebracht haben. Der Schaden beläuft sich allein für die 14 Fälschungen, die Gegenstand des bevorstehenden ersten Verfahrens am Kölner Landgericht sein werden, auf 34,1 Millionen Euro.

Unterdessen findet sich Werner Spies vor Gericht wieder: in Deutschland als Zeuge im Kölner Verfahren gegen die Kunstfälscher und Erfinder der Sammlungen Jägers und Knops; in Frankreich als Beklagter. Wie erst vor wenigen Wochen bekannt wurde, wurde der Kunsthistoriker zusammen mit dem Galeristen Jacques de la Béraudière im französischen Nanterre bereits vor einem halben Jahr auf Schadensersatz verklagt. Kläger ist die Firma des zuletzt durch den Bankrott seiner Plaza Group in New York bekannt gewordenen holländischen Finanzjongleurs Louis Reijtenbagh, Monte Carlo Art S.A.. Sie war es, die das vermeintliche Max-Ernst-Bild „Tremblement de Terre“ bei Sotheby’s New York eingeliefert hatte, wo es am 4. November 2009 für 1,14 Millionen Dollar versteigert worden war. Der Kauf wurde rückabgewickelt.

Die Geschichte der „La Forêt (2)“ betitelten Leinwand zeigt beispielhaft, dass die Falsifikate mit der Aussicht auf Museumsausstellungen binnen weniger Jahre geradezu schwindelerregende Preiskarrieren machten. 2006 wurde dem Bild von der Galerie Cazeau-Béraudière eine aufwendige Verkaufspublikation gewidmet. Ausgestellt war es von März bis August 2006 im Max Ernst Museum in Brühl, anschließend bot es Cazeau-Béraudière für 6 Millionen Euro auf der Biennale des Antiquaires an.

2004 hatte sich nach Erkenntnissen des Magazins „Der Spiegel“ Kunstagent Marc Blondeau, ehemaliger Direktor von Sotheby’s Frankreich, um die Vermittlung des Gemäldes gekümmert, das schließlich noch im selben Jahr für rund 1,8 Millionen Euro an die Firma Salomon Trading verkauft wurde. 2006 sei es laut Staatsanwaltschaft über zwei Firmen, die Diva Fine Arts und die Hanna Graham Associates, schließlich für 7 Millionen Dollar (5,5 Millionen Euro) zum Verleger und Sammler Daniel Filipacchi gelangt.

Brühl ist kein Einzelfall. Wie ist es möglich, dass vom Steuerzahler finanzierte öffentliche Institutionen sich als Durchlauferhitzer für offenbar ungenügend geprüfte Kunstmarktware hergeben? Auch sie müssen sich Fragen stellen, Fragen nach wissenschaftlichen Prüfstandards, wenn marktfrische Ware ins Haus kommt. Beispielsweise nach der Herkunftsgeschichte der Spies aus den erfundenen Sammlungen Jägers und Knops angebotenen Bilder. Warum ging man ihr nicht nach? Spies selber gab sich mit der Antwort der heute in Haft sitzenden Betrüger zufrieden, „die ihm plausibel erschien“, wie Anwalt Raue formuliert. „Wusste er doch von Max Ernst, dass dieser stets behauptet hat, Flechtheim Arbeiten überlassen zu haben, die später nicht an ihn zurückgegangen sind, und über deren Verbleib er, Max Ernst, nichts wisse.“

Zeit, um Verdacht zu schöpfen, hatte der Max-Ernst-Experte mehr als genug. Das zeigt auch das Beispiel des zweiten angeblichen „La Forêt“-Gemäldes von 1926, das etwas kleinere Maße hat. Nach Auskunft einer Max-Ernst-Sachverständigen gelangte die Leinwand 1999 nach Berlin in eine renommierte Galerie am Kurfürstendamm. Vorausgegangen war ein längerer Briefwechsel zwischen Spies und Otto S.-K., einem angeklagten Mitglied der Betrügerbande. In Berlin soll Spies das Bild für eine authentische Max-Ernst-Schöpfung gehalten haben, wie er der Journalistin Renate Meinhof gegenüber erzählte. Der Galerist führte es einige Monate in seinem Angebot; und auch die Galerie Hopkins-Custot in Paris, wohin es 2001 gelangte, soll es auf ihrer Homepage angeboten haben.

2003 tauchte „La Forêt“ im Katalog der „Max Ernst“-Ausstellung in der Pariser Galerie Malingue mit der Provenienzangabe „Alfred Flechtheim/Werner Jaegers, Köln; Privatsammlung“ und dem Vermerk auf, es solle in den Ergänzungsband des Werkverzeichnisses aufgenommen werden, das Werner Spies derzeit vorbereitet; 2005 im Katalog der Max Ernst-Retrospektive im Metropolitan Museum New York.

Mindestens zwei Bilder der bereits 2003 veranstalteten Max-Ernst-Ausstellung in der Galerie Malingue stammten aus der Quelle Jägers/Knops, darunter auch „La Mer“, das damals bereits an die Triton Collection, Den Haag, verkauft war. Fünf Jahre später erhielt es durch die von Spies mitkuratierte Max-Ernst-Ausstellung „Traum und Revolution“ in renommierten skandinavischen Häusern die höheren musealen Weihen. Es hing im Louisiana Museum of Art von Humlebaek (Dänemark) und im Moderna Museet Stockholm.

Weitere Fragen tauchen mit Blick auf die Begutachtung der Bilder auf. Werner Spies ist nicht dumm und auch nicht blind. Verwunderlich ist, dass er wegen der gefälschten Flechtheim-Aufkleber auf den Rückseiten einiger Leinwände nicht von vornherein Kontakt mit dem Kunsthistoriker Ralph Jentsch aufgenommen hat. Jentsch ist mit dem Kunsthändler Alfred Flechtheim (1878-1937) bestens vertraut und wird immer gerufen, wenn Kollegen bei ihren Nachforschungen auf seinen Namen stoßen. Man tauscht sich aus. Warum tat Spies es nicht? Doch, er hat ihn konsultiert, ist auf Nachfrage durch den Anwalt zu erfahren. Allerdings erst nachdem herausgekommen war, dass die Etiketten gefälscht waren.

Wer sich die Summen vergegenwärtigt, die Sammler für die von Werner Spies testierten Leinwände gezahlt haben, der mag kaum glauben, was eine stilkritische Inspektion zutage fördert. Einige Falsifikate sind nach Auffassung eines mit dem Werk des Künstlers Vertrauten extrem flach und leblos. Auffällig sind ihre zum Teil unnatürlichen Farben, die zudem in ungewöhnlicher Art und Weise aufgetragen wurden. Die Linienführung wirkt stellenweise wie modernes Graphik-Design. Es gibt wie mit dem Zirkel gezogene Linien und erstaunliche Wellenbewegungen, die aussehen, als hätte sie ihr Schöpfer am Computer entworfen. Zu besichtigen etwa auf der „La Mer“ betitelten Leinwand aus der Triton Collection. Das Bild wirkt wie aus verschiedenen, Max-Ernst-typischen Gestaltungsmitteln zusammengesetzt.

Auch die Signaturen sind überaus dilettantisch gemacht. Sie wirken nicht wie aus einem Guss, eher wie eine mühsame, von einer Vorlage abgemalte Aneinanderreihung von Buchstaben. Auffällig sind in allen Fällen ein unsicherer Schriftduktus. Authentische Signaturen von Max Ernst aus den 1920er-Jahren sehen anders aus. Hätte Werner Spies diese Diskrepanzen nicht sehen können? Was hat er bloß gesehen? „Weder ich noch meine Mitarbeiter haben einen ,unsicheren’ Schriftduktus erkennen können. In den Signaturen des Künstlers gibt es, wie auch sonst bei Künstlern, die an die 70 Jahre gearbeitet haben, eine Unzahl an Differenzen und Varianten“, lässt Spies über seinen Rechtsanwalt ausrichten.

Es dürfte kein Zufall sein, dass beliebte Max-Ernst-Motive wie „La Mer“ oder „Forêt“ gefälscht wurden. Allein zu dem von Ernst obsessiv bearbeiteten Thema des Waldes gibt es mindestens 100 Graphiken und 20 Ölbilder. Die Fälscher nutzten das aus. Vor allem dürfte ihnen entgegengekommen sein, dass hinter dem Künstler keine streng und penibel prüfende Familien-Stiftung steht wie im Fall Picasso.

Die Max-Ernst-Forschung liegt in den Händen der mit deutschen Steuergeldern finanzierten und bis Mitte Juni von Werner Spies mitgeleiteten Forschungsstelle Max Ernst in Paris und des Max Ernst Museums in Brühl, in dem Werner Spies u.a. die Funktionen des Chefkurators und Präsidenten des Stiftungsrates bekleidet. Zwei Kompetenzzentren, die nichts bewirkt haben sollen? Was ist von deren gutachterlichem Urteil zu halten, wenn sich im Nachhinein so viele Bilder als Fälschungen herausstellen? Rechtsanwalt Raue zufolge waren die Fachleute von der Authentizität der Bilder „völlig überzeugt und begeistert“. Raue führt selbst die inzwischen 102 Jahre alte Max-Ernst-Witwe Dorothea Tanning ins Feld. Sie habe „schriftlich die Echtheit von ,La Forêt (2)’ bestätigt!“ heißt es in einem Schreiben des Anwalts, das dem Handelsblatt vorliegt. Aus stilkritischer Sicht seien die Arbeiten nicht als Fälschung zu erkennen.

Der Direktor des Max Ernst Museums, Achim Sommer, zieht sich auf den Hinweis zurück, das Museum habe erst im September 2005 eröffnet, Spies jedoch die Gemälde zwischen 1999 und 2004 begutachtet.

Aktuell rechnen die Ermittler mit deutlich mehr als 25 auf dem Markt kursierenden Max-Ernst-Fälschungen. Nach Angaben von Sigrid Metken, der Witwe des 2000 verstorbenen Bearbeiters der Werkverzeichnisse, Günter Metken, tauchen diese in ihrer Vielzahl erst in jüngerer Zeit auf. Überhaupt staunen Fachleute über die Bildermenge auf dem Markt. Wo kommen diese Arbeiten alle her? Und was bedeutet das für den Max-Ernst-Markt? Wird er für Jahre in die Knie gehen wie der Markt für Jawlenski, nachdem 1998 die im Essener Museum Folkwang ausgestellten gefälschten Aquarelle aufgeflogen waren? Seit langem beschäftigt die Branche, wie viel Spies mit der Vermittlung der von ihm für echt erklärten Bilder verdient hat, und fragt sich, ob er mit Werken auch gehandelt hat. Kurz bevor der Kunsthistoriker 2003 mit dem Art-Cologne-Preis ausgezeichnet wurde, soll er laut Pressemeldung der Kölner Messe gesagt haben: „Ich selbst habe mit dem Handel nichts zu tun.“ Der „Süddeutschen Zeitung“ gegenüber räumte Spies im Oktober 2010 ein, er habe vom damaligen Kaufpreis der von ihm vermittelten Werke eine Provision bekommen, die ausnahmslos im einstelligen Bereich gelegen habe. Wenige Monate später dementiert er französischen Medien gegenüber, dass er – anders als von der deutschen Presse dargestellt – jemals Kommissionen angenommen hätte.

Inzwischen ist klar, dass die deutsche Presse nicht lügt. Bestätigt werden die von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ verbreiteten Angaben durch Spies-Anwalt Peter Raue: Provisionen für jedes verkaufte Bild in Höhe von sieben bis acht Prozent des Verkaufserlöses zuzüglich einer ungenannten Summe vonseiten Marc Blondeaus, der als Käufer auftrat. Auch diese Praxis provoziert Fragen: Welche Marktverzerrungen erzeugt eine Expertenarbeit unter der Prämisse, dass eine negative Expertise gleich mit einem Verdienstausfall einhergeht, wenn das Bild unverkäuflich wird?

Seit Jahren produziert der boomende Kunstmarkt Ereignisse, die andächtig beklatscht werden. Kritische Fragen an die Mitwirkenden werden selten gestellt. Doch nun fordert der Fall Jägers/Knops von der Branche eine nie praktizierte Selbstkritik und Transparenz. Die Zeit ist reif, die „vornehme“ Zurückhaltung in diesem diskreten Geschäft zu beenden und allen Marktteilnehmern, einschließlich sakrosankter Kunsthistoriker und ehrenwerter Museen, unangenehme Fragen zu stellen.

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