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  4. Die Kölner Ausstellung zur Russischen Avantgarde ist ein Weckruf für den Kunsthandel

Russische Avantgarde in KölnEine Ausstellung redet dem Kunsthandel ins Gewissen

Das Kölner Museum Ludwig hat Teile seiner Sammlung Russischer Avantgarde auf ihre Echtheit untersucht und eine fulminante Ausstellung dazu gemacht. Sie stellt dem Kunstmarkt ein miserables Zeugnis aus.Christiane Fricke 15.10.2020 - 17:39 Uhr Artikel anhören

Der ursprüngliche Urheber dieses vorgeblich von Alexandra Exter gemalten Kostümentwurfs (li.) ist nicht bekannt.

Foto: Museum Ludwig, Rheinisches Bildarchiv, Köln; Foto: Chrysant Scheewe

Köln. Die Ausstellung im Kölner Museum Ludwig ist eine Sensation. Zum ersten Mal hat es ein öffentliches Museum gewagt, gleich eine ganze Spezialsammlung auf Authentizität zu prüfen und die Ergebnisse für eine Ausstellung aufzuarbeiten (bis 3.1.2021).

Es geht um einen der weltweit größten musealen Bestände an Kunst der Russischen Avantgarde, gesammelt von dem Schokoladenfabrikanten und Namensgeber des Museums, Peter Ludwig, in den Jahren zwischen 1977 und 1996. Fast 600 Werke, darunter 100 Gemälde, umfasst dieses Konvolut, das – wie von Irene Ludwig testamentarisch verfügt – seit 2011 dem Museum gehört. Das ernüchternde Ergebnis der Bestandserforschung: Von den 49 in einem ersten Schritt untersuchten Gemälden steht die Echtheit bei 22 infrage.

Zweifel an der Authentizität im Bereich der Russischen Avantgarde gab es schon länger, spätestens seit Baron Heinrich Thyssen-Bornemisza 1993 seinen eigenen Bestand grundlegend untersuchen ließ und in diesem Zusammenhang auch auf suspekte Bilder in Köln verwies.

Zwei Gemälde aus der Sammlung des Barons, zu denen es eine zweite Version in Köln gibt, hängen als Leihgaben in der Ausstellung. Darunter Ljubow Popowas „Malerische Architektonik“. Auf der kleinformatigen Leinwand schweben orangefarbene, blaue und weiße Formen wie leuchtende Schwerter über die Bildfläche. Die deutlichen Unterschiede in Farbauftrag und Pinselduktus sind nur zwei von mehreren Indizien, dass Köln eine nicht eigenhändige Kopie besitzt.

Schockierend sind die Kölner Untersuchungsergebnisse für die Öffentlichkeit, nicht für Fachkreise. So gehen laut dem Kunstmarktjournalisten Christian Herchenröder die führenden Auktionshäuser heute von der Annahme aus, dass alle russische Avantgardekunst, die im Ursprungsland und in Europa angeboten wird, falsch sei – bis ihre Echtheit erwiesen sei. Kunsthändler klagen über einen verseuchten Markt, auf dem sich keine angemessenen Preise mehr erzielen lassen.

Links die Version aus dem Besitz des Museum Ludwig, rechts die authentische Fassung aus der Sammlung Thyssen-Bornemisza.

Foto: Rheinisches Bildarchiv, Köln; Foto: Chrysant Scheewe

Dass es so weit kommen musste, daran tragen die Marktteilnehmer eine Mitschuld. Warum lassen sie nicht die Finger von fragwürdigen Werken? Was tragen sie zur Aufklärung bei? Wie verhindern sie den Handel mit suspekten Werken? Warum verbünden sie sich nicht mit Museen und Sammlern zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung? Hat der Handel sich nicht den Ast mitabgesägt, auf dem er sitzt?

Ausgedient hat die Rechtfertigung, dass sich Legenden zur Herkunft von Bildern spinnen lassen, die infolge der politischen Verhältnisse in der Sowjetunion von der Bildfläche zu verschwinden hatten und später exportiert wurden – ohne Dokumente, die sie als echt auswiesen. Seit den Siebzigerjahren werden sie auf den Markt geworfen. Korrupte Experten schrieben die Gutachten oder etwas, das so genannt wurde. Es ist auch bekannt, dass in den Achtzigerjahren organisierte Fälscherringe Werke in industriellem Ausmaß herstellten.

Bilder bleiben in Umlauf

Es finde sich niemand, der nicht die vielen Fälschungen beklage, die den Markt überschwemmen und trüben, die Kunstgeschichte verunklären und das Œuvre der innovativen und mutigen Kunstschaffenden der Russischen Avantgarde brutal verfälschen, konstatiert Rita Kersting, stellvertretende Direktorin des Museums Ludwig: „Aber anstelle der gewünschten Bereinigung des Markts oder der eigenen Sammlungen bleiben die fraglichen Bilder in Umlauf.“

Warum werden Händler und Auktionatoren nicht vom Gesetzgeber verpflichtet, fragwürdige Werke zu kennzeichnen und polizeilich zu melden? Könnte das die Strafverfolgung von jenen, die sie in Verkehr bringen, und der Fälscher nicht erleichtern?, fragt man sich als Marktbeobachter.

Auch die Museen sind gefragt. „Wie bekommt man – auch angesichts der amtlich vorgegebenen Zurückhaltung des Museums- und Universitätspersonals gegenüber Stellungnahmen in Rechtsstreitigkeiten – neutrale, kompetente, zuverlässige Gutachten für russische Avantgardekunst ohne Befangenheit?“, fragen die Berliner Juristinnen Friederike von Brühl und Ruth Lecher.

Für die Eigenhändigkeit dieses 1918 datierten Gemäldes sprechen unter anderem Farbauftrag und Pinselduktus (Ausschnitt).

Foto: Thyssen-Bornemisza Collection, Foto: Museo Nacional Thyssen-Bornemisza

Das Museum Ludwig bezeichnet die Bilder, die sich als nicht authentisch herausgestellt haben, bewusst nicht als Fälschungen, sondern als „frühere Zuschreibungen“ oder als „Falschzuschreibungen“. Die einleuchtende Erklärung: „Wir können nicht beweisen, dass sie in betrügerischer Absicht gemalt wurden“, sagt Kersting. Zu beweisen, dass betrogen wurde, ist auch nicht Aufgabe des Museums. Das Forschungs- und Ausstellungsprojekt des Museums Ludwig liefert vielmehr belastbare Fakten, fungiert als Sehschule und ist als Weckruf zu verstehen.

Der schlug schon vor der Eröffnung Wellen. Die seit 2005 in der Schweiz, zuvor in Köln ansässige Galerie Gmurzynska, bei der Ludwig die meisten Werke gekauft hatte, fürchtete um ihren Ruf und ging gerichtlich gegen das Museum vor. Sie verlangte, auf das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) verweisend, vorab Einblick in Untersuchungsergebnisse. Die verweigerte das Museum. Selbst war es vergeblich um nähere Informationen zur Herkunft einiger Gemälde bei der Galerie vorstellig geworden.

Unbefriedigende Pattsituation

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln, das Museum müsse die Unterlagen herausrücken, wurde vom Oberverwaltungsgericht Münster wieder kassiert mit der Begründung, das IFG NRW gelte nicht für Forschungseinrichtungen. Dazu zähle auch das Museum Ludwig.

Auf Handelsblatt-Nachfrage erklärte die Eigentümerin der Galerie, Krystyna Gmurzynska, bis heute würden, trotz wiederholter Anfrage, die vollständigen technischen Untersuchungsergebnisse geheim gehalten. „Eine derartige Intransparenz und Weglassung von Forschungsergebnissen missachtet fundamentale Grundregeln des wissenschaftlichen Austauschs und verunmöglicht somit bewusst nach wie vor eine unabhängige Bewertung.“ 

Malewitsch-Gemälde „Schwarzes Rechteck, rotes Quadrat“

Die 50-Millionen-Fälschung

Zuletzt ließ die Züricher Galeristin durch eine Berliner Agentur vor der Pressekonferenz eine Mitteilung verteilen, in der sie dem Museum schwere Vorwürfe macht. „Da geht es um reißerische Werbung auf Kosten der Kunst und unter Ausschluss weltweit anerkannter Experten dieses Gebiets“, wird Gmurzynska zitiert. Auch halte sie eine Ausstellung zum Thema ‚Fälschungen“, zu der gerade die Russische Avantgarde herangezogen werde, nicht für einen Zufall: „Das ‚Feindbild Russland“ ist bereits in der Politik ein probates Mittel.“ Jetzt werde es eben auch in der Kunst gebraucht, und die Werke einer ganzen Epoche würden darauf reduziert.

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Unter dem Strich liefern die Untersuchungen am Museum Ludwig die Instrumente zu unterscheiden: Wie sieht eigenhändige Kunst der Russischen Avantgarde aus? Woran sind – auch für den Ausstellungsbesucher – die Täuschungsmethoden zu erkennen, die dieses so wichtige kunstgeschichtliche Kapitel des frühen 20. Jahrhunderts so in Misskredit gebracht haben? Ein „Feindbild Russland“ zu nähren wäre das Letzte, was diesem von vielen internationalen Wissenschaftlern unterstützten Forschungsprojekt des Museums Ludwig vorzuwerfen wäre.

Mehr: Malewitsch-Fälschung: Wenn Kunst abgeschrieben wird

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