Sammlungspolitik: Das Museum Morsbroich erfindet sich neu

Diese beeindruckende Installation im Spiegelsaal des Museum Morsbroich dürften Brautpaare im Leben nicht vergessen. Entstanden im Rahmen des Transformationsprojektes „Werkstatt Morsbroich 2022-2026“.
Leverkusen. „Sammeln – Ist das noch das Kerngeschäft des Museums?“ Die Frage provoziert. Aber alles sollte auf seine Gültigkeit geprüft werden können, schwor sich Jörg van den Berg, als er vor zwei Jahren den Posten des Museumschefs für das angeschlagene Museum Morsbroich übernahm. Das Haus im nordrhein-westfälischen Leverkusen hatte auf der Kippe gestanden, nachdem es 2016 in Folge eines Gutachtens der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG schon abgewickelt zu werden drohte.
Doch es kam anders. Heute kann van den Berg mit einem Budget von 1,9 Millionen Euro den Neustart vorantreiben und das Museum neu erfinden – in bestem Einvernehmen mit der Stadt, seiner Geldgeberin.
„Hier wird gebaut. Werkstatt Morsbroich 2022–2026“ steht auf der erst vor wenigen Tagen vor dem Haus installierten Infotafel. Damit bewirbt das Museum mitnichten den vor fünf Jahren noch ins Spiel gebrachten Erweiterungsbau, sondern einen tief greifenden, bereits im letzten Jahr begonnenen Transformationsprozess.
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Mit seinem Verwandlungsprozess befindet sich van den Berg auf Augenhöhe mit dem kürzlich vorgestellten neuen Leitfaden „Standards für Museen“. „Diese Gesellschaft verändert sich, sie wird dynamischer, komplexer, digitaler, vielstimmiger, vernetzter und nachhaltiger“, formuliert der Deutsche Museumsbund in seinem Vorwort. Das Bedürfnis nach Transparenz und Teilhabe wachse. Museen seien dazu aufgefordert, „diese Veränderungen als Teil ihrer Arbeit zu begreifen, sich beständig zu hinterfragen und weiterzuentwickeln“. Die vor einem Jahr vorgestellte neue Museumsdefinition des Weltverbandes der Museen (ICOM) hatte eine ähnliche Stoßrichtung.
Ein Schnellschuss wird es nicht, worauf Morsbroich sich da eingelassen hat. Die Transformation beinhaltet ein ganzes Bündel von Maßnahmen und einen entsprechend langen Atem. Im Zentrum der Wille, das außerhalb im Grünen gelegene Haus wieder mit der Stadt und ihren Menschen zu verbinden.

Das „Parklabyr“ lud 2022 zum Ausprobieren, Mitmachen und Mitdenken ein.
Ein Beispiel für den Handlungsbedarf: Nur vier Busstationen liegt etwa ein Leverkusener Gymnasium vom Museum entfernt. Doch ließ sich die Lehrerin der sechsten Klasse bislang lieber mit einem gecharterten Bus in ein Kölner Museum chauffieren als ins nahe gelegene Museum Morsbroich, erzählt Jörg van den Berg im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Partizipation und Teilhabe, die der Museumsbund als ein Kernelement in den Grundsätzen seines Leitfadens verankert hat, sind zentral für van den Berg und sein Team. Unabdingbar auch der Austausch mit dem kommunalen Träger und der Kulturpolitik.
Einen „guten Draht zu den Trägern aufbauen“ und sich „durch Präsenz in die Stadtgesellschaft einbringen“ hatte Katja Mieth, Sprecherin der Konferenz der Museumsberatungsstellen in den Ländern (KMBL), bei der Vorstellung der Standards gefordert. Ebendies dürfte den Leverkusenern gelungen sein. So hat das Engagement der Stadt dazu geführt, dass nun auch Drittmittel beim Land beantragt werden können.
Die Stadt stellt außerdem einen weiteren siebenstelligen Betrag in Aussicht, mit dem das Depot endlich ausgelagert werden kann. So wird Raum für das Spiel mit den eigenen Beständen frei, die zuvor oft genug den Wechselausstellungen weichen mussten. „Ich brauche keinen Zehn-Millionen-Neubau“, betont van den Berg. „Ich möchte vielmehr intelligenter mit Raum umgehen“.
Was heißt das für ein Haus, das seit drei Jahrzehnten keinen Ankaufsetat mehr sah, das sich mit übervollen Depots plagte und über keine eigene Fläche für die Präsentation der eigenen Sammlung verfügte? Allein im vergangenen Jahr wurden vier feste Sammlungsräume eingerichtet, darunter ein „Schauraum“ im ersten Geschoss, in dem sich Besucherinnen ein Werk aussuchen können, das anschließend für sechs Tage an der Wand hängt.
Neu ist darüber hinaus eine „Filmkammer“, ein „Grafisches Kabinett“ und ein „Terzine“ benannter Raum, in dem drei Werke aus der ständigen Sammlung aufeinander treffen. Die Auswahl treffen die Künstler, die Leverkusen für das Projekt „Werkstatt Morsbroich“ gewinnen konnten.
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Van den Berg hat auch – sehr geschickt – den Freundeskreis des Museums eingebunden. Im sogenannten „Gästezimmer“ entscheiden Mitglieder des Museumsvereins, was aus der ständigen Sammlung an die Wände kommt. „Ich will das Alleinherrschertum hinter mir lassen“, unterstreicht der Morsbroicher Museumsdirektor. Im gleichen Atemzug kündigt er für November eine Ausstellung an, die gemeinsam mit zehn Bürgern kuratiert werden soll.
In Morsbroich wird an so vielen Stellschrauben gedreht, dass man leicht den Überblick verlieren könnte. Aber was macht die Neuerungen nun so besonders? Es ist der unvergleichliche Charme dieses historischen Ensembles in Verbindung mit der Verpflichtung, hier ein Museum für die streitbare zeitgenössische Kunst zu betreiben. Als es 1951 unter dieser Prämisse gegründet wurde, war es im Übrigen das erste für die Gegenwartskunst in der Bundesrepublik.

Diese Tuschezeichnung des Einsiedlers „Hl. Onophrius“ war Teil des inklusiven Ausstellungprojektes „Weitsicht“ im Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen.
Der Ort ist also Dreh- und Angelpunkt des von van den Berg angestoßenen Transformationsprozesses. Die Künstlerinnen und Künstler, die für das Werkstatt-Vorhaben gewonnen wurden, haben denn auch den Auftrag, mit dem Ort in seiner gewachsenen Gesamtheit zu arbeiten. Ihre Arbeiten werden angekauft. So wandelt man sich in Morsbroich vom Ausstellungs- und Eventmanager zum Auftraggeber.

Morsbroich ist nur ein Beispiel unter den über 7000 deutschen Museen, die Neuland betreten, aber ein besonders umfassend ansetzendes. In den meisten anderen Häusern werden behutsam neue Formate ausprobiert. Das Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen etwa zeigte Anfang des Jahres eine gemeinsam mit den Werkstätten der Aachener Lebenshilfe konzipierte Ausstellung. Dafür schufen die Künstler der Werkstätten, angeregt von den Alten Meistern, eigene Arbeiten.
Während das Aachener Projekt Mitwirkende und Publikum begeistern konnte, stieß eine Dortmunder Initiative auf Unverständnis: Wütenden Protest, vor allem im Netz, erntete das Landesmuseum auf „Zeche Zollern“, als es auf die Idee kam, an einem Wochentag vormittags nur „Black, Indigenous and People of Color“ in seine Ausstellung „Das ist kolonial“ zu bitten. Transformationsprozesse sind eben auch Lernprozesse. Und wer experimentiert, geht Risiken ein.
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