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Miriam Wohlfarth und Nina Pütz im InterviewStart-up-Chefinnen: „Ein CEO muss Schwächen zeigen“

Wer gründen will, sollte es einfach versuchen, sagen die beiden Unternehmerinnen. In ihrem Buch zeigen sie, wie es klappen kann mit der eigenen Karriere.Tanja Kewes, Claudia Panster 09.04.2022 - 15:13 Uhr Artikel anhören

Die Autorinnen des Buchs „Die Macherinnen“.

Foto: Stephan Redel/PR

Düsseldorf. Sie sind ein eingespieltes Team. Nina Pütz hat Miriam Wohlfarth 2020 als CEO des Zahlungsanbieters Ratepay abgelöst. In der vergleichsweise langen Übergangszeit wurden sie zu Freundinnen, die merkten, dass sie viele Ansichten über gute Führung teilen. Darüber haben sie nun ein Buch geschrieben, „Die Macherinnen“, über das sie exklusiv mit dem Handelsblatt sprechen.

Eigentlich sollten die Beiden zusammen vor dem Bildschirm sitzen bei diesem Video-Interview. Aber Wohlfarth musste umdisponieren. Ihre Tochter brauchte sie zum Üben für die Abiturprüfung. Also verschob sie ihre Termine und schaltete sich aus dem Zug zu. Die Verbindung hielt, Pütz und Wohlfarth warfen sich die Bälle zu, als säßen sie nebeneinander.

Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?
Miriam Wohlfarth: Wir haben in der Übergangszeit viel geredet und haben gemerkt, dass wir daraus eine Art Anleitung schreiben könnten, wie man seinen Weg gehen kann.

Nina Pütz: Vieles von dem, was für uns selbstverständlich ist an moderner Führungskultur, ist bei anderen mittelständischen Unternehmen noch nicht so normal. Daran wollten wir anknüpfen.

Das Buch ist auch persönlich geworden…
Wohlfarth: Wir beide halten uns nicht für superschlau, uns ging es nie um Ruhm, Macht und Geld. Wir sind kein Elon Musk. Und dennoch haben wir es geschafft, erfolgreich zu sein. Genau das wollen wir zeigen.

Nina Pütz: Wir möchten andere Menschen, insbesondere natürlich Frauen, ermutigen, UnternehmerInnen zu werden.

Ihr Buch trägt den Titel „Die Macherinnen“. Das klingt nach Superfrauen…
Wohlfarth: Nein, nein, das sind wir natürlich nicht. Wir stehen nicht einmal für gerade Lebensläufe. Ich war als Jugendliche nicht besonders zielstrebig, habe ein mittelmäßiges Abitur, das Studium abgebrochen, wusste jahrelang nicht, was ich will. Und dennoch, oder gerade deswegen, bin ich stolz. Ich bin stolz, es geschafft zu haben, ein Unternehmen zu gründen und jahrelang erfolgreich zu führen. Und es hat mich geprägt: Ich versuche auch heute bei meinen Mitarbeitern, sie nicht nach Noten und Abschlüssen zu beurteilen, sondern nach ihren Fähigkeiten und ihrer Begeisterung für ein Thema.

Miriam Wohlfarth, Nina Pütz: Die Macherinnen. Campus Verlag Frankfurt 2022 227 Seiten 25 Euro Das Buch erscheint am 13. April. Foto: Stephan Redel/PR Foto: Stephan Redel/PR

Frau Wohlfarth, Sie sind als erfolgreiche Gründerin eine absolute Ausnahmeerscheinung…
Wohlfarth: Leider ja. Die Gründerinnenquote in Deutschland ist absolut und vor allem auch im internationalen Vergleich gesehen sehr gering. Das müssen wir ändern. Auch deshalb haben wir das Buch geschrieben. Ich will zeigen, dass man normal sein, ein normales Leben führen kann und dennoch sehr erfolgreich gründen und führen. Da muss mehr Mut mitspielen.

Sehen Sie sich als Vorbilder?
Pütz: Wir stellen uns sicher nicht hin und sagen, dass wir Vorbilder sind. Aber wir merken, dass viele Leute gucken, was wir machen. Kürzlich hatte ich wieder eine Bewerberin, die schon in einigen Fintechs erfolgreich gearbeitet und sich dann gezielt Ratepay ausgesucht hat, weil sie keine Lust mehr auf diesen Boy’s Club hat. Sie wollte in ein Team, das von Frauen geführt wird.

Ist es für Frauen noch wichtiger als für Männer, Vorbilder zu haben?
Wohlfarth: Ja. Weil es für Frauen bisher nur sehr wenige Vorbilder im Business-Umfeld gab. Das ändert sich jetzt. Zudem sind Frauen häufig angepasster, perfektionistischer, risikoaverser als Männer, gehen seltener krumme Wege. Um hier mutiger zu sein, brauchen sie Vorbilder. Es ist wichtig, entsprechende Bilder im Kopf zu erzeugen. You can’t be what you can’t see.

Wer sind oder waren Ihre Vorbilder? Sie zitieren in Ihrem Buch die Philosophin Hannah Arendt für ihren Mut und ihre Weitsicht, die Investorenbrüder Strüngmann für ihre Risikobereitschaft, die Verlegerin Brigitte Mohn für ihre Innovationsfreude und den Unternehmer Elon Musk für seine Klarheit…
Wohlfarth: Das sind großartige Persönlichkeiten, waren aber für mich keine Vorbilder. Mein erstes Vorbild war wesentlich nahbarer, nämlich meine Tante. Ich bin in der absoluten Provinz aufgewachsen, sie lebte in der Stadt, reiste viel und hatte einen offeneren Blick. Später war es mein Chef, der gar nicht superschlau war, sondern ganz normal. Und er hat es trotzdem geschafft zu gründen. Das gab mir Mut, dass ich es auch schaffen kann.

Pütz: Es hilft, wenn man viele verschiedene Menschen hat, die man für verschiedene Sachen großartig findet. Ich bin absoluter Fan von Hillary Clinton. Ich habe sie an dem Tag erlebt, als diese E-Mail-Affäre rauskam. Wie offen und professionell sie damit umging, das war sehr beeindruckend. Ein Vorbild war für mich auch eine Chefin bei Ebay, die war unglaublich authentisch.

Was hat Sie an ihr beeindruckt?
Pütz: Sie hat Gefühle gezeigt. Sie hat etwa gegen Abend im Großraum ihren Mann angerufen und ihm vor unser aller Ohren erzählt, wie ihr Tag so war. Und das klang dann mal so: „Ich bin fix und alle, komme gleich nach Hause... Kannst du mir bitte schon einmal ein Bad einlassen?“

Wohlfarth: Das fand ich bei meinem Chef damals auch toll. Er hat ehrlich gesagt, wenn er vor etwas Angst hatte, unsicher war oder ihm etwas unangenehm war. Das habe ich mir als Leitgedanken mitgenommen. Wenn man sagt, wie es einem geht, ist man viel mehr auf Augenhöhe mit den Mitarbeitern, dann steht ein viel größerer Teamgedanke dahinter.

Ein guter Unternehmer muss also authentisch sein, ehrlich sein, Schwächen zeigen… Was noch?
Pütz: Genau. Niemand ist perfekt, es gibt nicht den einen Chef, der alles weiß. Er muss aber natürlich auch Ergebnisse liefern. Wir leben in einer Performancekultur.

Sie lassen in Ihrem Buch seitenweise Experten sprechen. Warum tun Sie das? Sind Sie selbst nicht Expertinnen, reich an Erfahrungen genug?
Pütz: Wir sind beide Generalisten. Wir können alles und nichts. Wir haben deshalb für die einzelnen Kapitel zusätzlich Koryphäen für die einzelnen Bereiche hinzugezogen.

Ist dieses Hinzuziehen von Experten nicht, pardon, typisch Frau? Zeigen Sie damit nicht zu viel Schwäche?
Pütz: So funktioniert Führung. Ich als Chefin weiß doch nicht alles. Und diesen Anschein sollte ich auch nicht erwecken. Ich habe meine Teams, meine Experten, und denen muss ich im Geschäftsalltag vertrauen. So gewinne ich auf dieser Basis den Durchblick und brauche dann den Mut, um Entscheidungen zu treffen.

Vita Wohlfarth und Pütz
Vita Wohlfarth
Vita Pütz

Und dann passieren Fehler… Welche sind Ihnen passiert?
Pütz: Ich habe wahnsinnigen Spaß an meiner Arbeit und hatte etwa noch nie eine Sonntagsdepression, also Angst vor der Woche oder Unlust auf den Montag. Dieses Glück haben aber nicht viele Menschen. Ich habe das jedoch schon anderen Menschen unterstellt – und so dann Mitarbeiter überfordert. Die haben dann gekündigt.

Wohlfarth: Ich habe einmal meine Teams nach dem neuesten Lehrbuch umstrukturiert, und das führte dann zu totaler Frustration. Ich hätte besser auf mein Bauchgefühl vertraut und alles so gelassen, wie es war.

Wann und wie haben Sie in Ihrer Karriere an sich gezweifelt? Gab es kritische Momente?
Pütz: Ich zweifele ständig an mir und meiner Leistung. Grundlegend wurde es aber nur einmal: Ich sollte in einer Restrukturierung die besten Leute rauswerfen, weil sie die teuersten waren. Das konnte ich moralisch nicht verantworten. Ich habe dann den Konflikt mit den Eigentümern gesucht – und gefunden, und war dann selbst raus.

Wohlfarth: Es gibt Tage, an denen würde ich am liebsten im Bett bleiben… Ich hatte in den letzten 13 Jahren meines Gründertums viele solcher Phasen – als wir uns als Gründerteam zerrüttet haben zum Beispiel. Grundlegend wurde es bei mir vor zwölf Jahren, als ein bösartiger Tumor gefunden wurde. Da ging es nur ums Funktionieren und die Verantwortung für andere Menschen. In so einer Situation fragt man sich schon, vor allem wenn man ein Kind hat: Ist es das alles wert? Die Antwort auf diese Frage muss jeder ständig selbst finden.

Und Ihnen war es das offensichtlich wert ...
Pütz: Ich hatte das große Glück, dass bei mir alles gut ausgegangen ist. Ich hatte in der Zeit viel Unterstützung und konnte dadurch trotzdem vieles machen. Hätte ich das nicht gehabt, hätte ich mich wahrscheinlich für oder gegen die Karriere entscheiden müssen. Ich bin sehr dankbar, dass sich trotz Rückschlägen alles vereinen ließ.

>>Lesen Sie auch: Start-up Teens – Netzwerk gewinnt neue Gesellschafter und gründet Talentvermittlung

Was raten Sie angehenden Gründerinnen und Gründern?
Wohlfarth: Wenn ihr eine Idee habt, macht einfach. Was habt ihr zu verlieren? Scheitern ist auch in Deutschland inzwischen akzeptierter. Gründet nicht allein, macht es im Team, man braucht einen für die Zahlen, aber vergesst nicht die Vertriebskompetenz und legt los. Setzt euch ein realistisches Ziel. Zieht etwa nach einem Jahr ein Resümee. Ein kleines finanzielles Polster hilft natürlich in dieser ersten Zeit. Und: Wenn ihr an das Kinderkriegen denkt, schaut, dass ihr den richtigen Partner habt. Erziehung ist keine Frauensache, sie sollte Elternsache sein.

Frau Pütz, Sie haben bisher nicht gegründet. Warum nicht?
Pütz: Ich hatte bisher keine gute Idee. Meine Konzernkarriere lief vielleicht auch zu gut. Ich bereue das Nichtgründen aber schon. Vielleicht gehe ich deshalb in meiner jetzigen Rolle so auf bei Ratepay, einem Start- beziehungsweise Scale-up.

Sie schreiben in Ihrem Buch vom „Privileg des Gründens“. Man könnte sich etwa mit sympathischen, begeisterten Mitarbeitern umgeben. Damit ist das Gründen respektive Unternehmertum eigentlich die ideale Form für Frauen mit Familie. Warum tun es dennoch so wenige Frauen?
Wohlfarth: Die gesellschaftliche Akzeptanz für Vollzeit arbeitende Frauen ist immer noch zu niedrig. Das Ehegattensplitting muss sich ändern, es muss viele strukturelle Rahmenbedingungen geben, die sich ändern. Kinderbetreuung muss steuerlich komplett absetzbar oder noch besser kostenlos werden. Viele sehen nicht, wie sie das alles stemmen sollen.

Sie selbst wurden – so schreiben Sie in Ihrem Buch – selbst nie diskriminiert. Haben Sie keine Nachteile erfahren dadurch, dass Sie Frauen sind?
Pütz: Doch. Aber ich war in einer positiven Blase. Bei Ebay, wo ich quasi beruflich aufgewachsen bin, hat das nie eine große Rolle gespielt. Aber sogar in dem Umfeld hatte ich mal einen Chef, bei dem das Thema war. Deshalb habe ich aktiv die Position gewechselt und rate jeder: Geht lieber in einer solchen Situation und versucht nicht, es auszusitzen.

Sind Sie wegen solcher Erfahrungen für die Frauenquote?
Wohlfarth: Die Zeit hat leider gezeigt, dass sich ohne Quote zu wenig tut.

Pütz: Wir brauchen eine kritische Masse an Frauen in den Führungsetagen, sonst ändert sich nichts.

Was halten Sie vom Gendern? Wichtig oder überflüssig?
Wohlfarth: Wichtig und notwendig. Ich persönlich tue mich zwar noch schwer damit, aber es tut unserer Gesellschaft gut. Wir sollten es für unsere Kinder tun, denn es ist wichtig, dass Menschen sich trauen zu sagen, wenn sie anders sind. Von daher ist es die Mühe wert.

Pütz: Durch das Buch ist es ein Stück selbstverständlicher geworden. Da war keine Frage, dass wir gendern.

Geben Sie Ihren Kindern das Buch zum Lesen?
Wohlfarth: Ja, natürlich. Meine Tochter hat eines der ersten Exemplare bekommen.

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Pütz: Meine Jungs sind noch zu klein. Später werden sie es bestimmt mal lesen.

Mehr: Rüstet beim Gendern ab – ein Gastkommentar

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